Superhelden-Persiflage: Teenager im Blutrausch
Der Comic „Kick-Ass“ hat das Zeug zum Bestseller des Jahres, vor allem dank der jetzt anlaufenden Kinoverfilmung. Dabei ist die makabre Serie alles andere als leichte Kost.
Man kann dieses Buch hassen oder davon begeistert sein, und für beides gibt es gute Gründe. „Kick-Ass“, dessen Kinoverfilmung an diesem Donnerstag in Deutschland anläuft (zur Tagesspiegel-Filmrezension geht es unter diesem Link), ist ein Comic, der kontroverse Reaktionen provoziert. Er ist makaber und berechnend, er strotzt vor demonstrativ augenzwinkernder Selbstironie und ist aus altbekannten Genre-Versatzstücken zusammengebastelt.
Aber zugleich ist diese Superhelden-Persiflage von Autor Mark Millar und Zeichner John Romita junior einfach verdammt gut gemachte Comic-Unterhaltung. Egal, ob man „Kick-Ass“ mag oder nicht: Kalt lassen dürfte die Geschichte eines Teenagers, der sich ungeachtet fehlender Superkräfte ein albernes Kostüm anzieht, dem Verbrechen den Kampf ansagt und dabei in einen alptraumhaften Strudel der Gewalt gerät, kaum einen Leser. Das zeigen auch die bisherigen Rezensionen: Einen vorläufigen Überblick über die kontroversen Kritiken zur Verfilmung von „Kick-Ass“ und zum Comic hat Torsten Alisch auf dem Blog des Berliner Comicladens „Grober Unfug“ zusammengetragen.
Fangen wir bei dem Offensichtlichsten an, der Brutalität. „Kick-Ass“ ist gewalttätig, zynisch und menschenverachtend, im Comic noch mehr als in der Verfilmung. Auch reproduziert die Geschichte unreflektiert rassistische Stereotype, indem die positiv besetzten Figuren durchgehend der weißen US-Mittelschicht angehören, die Gangster und Kleinkriminellen hingegen ausschließlich Schwarze, Latinos oder italienische Einwanderer sind – diesen Aspekt analysiert sehr kritisch ein fundierter Text von Björn Wederhake beim Fachmagazin Comicgate. Vor allem aber wird in „Kick-Ass“ ausführlich gefoltert und gemetzelt, ohne dass das für den Handlungsverlauf in dieser Detailfreude nötig wäre.
Aber, und das ist im Comic ein durchaus legitimes Gegenargument, diese Gewalt sieht verdammt gut aus! Die meisterhaft gezeichneten Gemetzel, die Altmeister Romita hier zusammen mit dem Tuschezeichner Tom Palmer sr. und Dean V. White als Kolorist aufs Papier bringt, sind ein Fest fürs Auge und erinnern an die ikonenhaften Blutrauschbilder, mit denen sich Frank Miller in „Sin City“ und anderen Werken einst in die Spitzenliga zeichnete.
Zwei Profis, die das Handwerk des Todes beherrschen
Die Kampfszenen in „Kick-Ass“, von denen es mehr als genug gibt, sind durchchoreographiert bis zum letzen Blutspritzer, John Romitas Zeichnungen sind in ihrer kantigen, schlichten Eleganz wie geschaffen für die visuelle Umsetzung der wilden Geschichte um den Teenager Dave Lizewski, der sich in jugendlicher Selbstüberschätzung in ein Abenteuer stürzt, das ihm schon schnell viele Nummern zu groß wird – bis er unerwartet Hilfe bekommt von zwei Profis, die das Handwerk des Todes perfekt beherrschen.
Dennoch: Trotz aller Schönheit der Inszenierung bleibt beim Lesen zumindest ein ambivalentes Gefühl. Die Gewaltorgien, die sich durch das Buch ziehen, machen den Leser zum Voyeur, zum Komplizen einer Lust an übersteigerter Brutalität, die zumindest im Teenager-Superhelden-Genre selten so genüsslich zelebriert wurde.
All dies lässt sich jedoch wiederum gut ertragen, wenn man sich auf die Charaktere einlässt, die die Handlung tragen. Und zwar weniger auf die offizielle Hauptfigur, den Ich-Erzähler Dave, einen traurigen Helden, der sich einsam, bemitleidenswert und ziellos durchs Leben langweilt, bis er sich ein selbstgebasteltes Kostüm anzieht, das sein Leben verändern wird.
Abgebrüht, großmäulig - und bezaubernd kindlich
Nein, die eigentliche Heldin von „Kick-Ass“ ist Hit-Girl, ein unglaublich cooles, abgebrühtes, großmäuliges und doch bezaubernd kindlich daherkommendes zehnjähriges Mädchen, das Nacht für Nacht mit seinem „Big Daddy“ auf Verbrecherjagd geht, aber im Gegensatz zu Dave mit Waffen jeder Art meisterhaft umzugehen weiß und jede anatomisch noch so unmöglich scheinende Kampftechnik im Schlaf beherrscht. Wenn sie das Ninja-Schwert zückt, spritzt das gezeichnete Blut in Hektolitern. Außerdem flucht die Kleine so vulgär, während sie ausgewachsene Kerle im Dutzend metzelt, wie man es im Comic bei einem kleinen Mädchen wohl noch nie gesehen hat - auch wenn das in der deutschen Übersetzung von „Kick-Ass“ in einer Schlüsselszene etwas abgeschwächt wurde.
„Cunts“ klingt einfach schärfer als „Wichser“, vor allem wenn das Schmähwort von einem kleinen Mädchen in Richtung hart gesottener Berufsverbrecher gezischt wird. Hit-Girl hat das Zeug zur Kultfigur – auch weil sie im Gegensatz zu den sonst in diesem Genre üblichen Frauendarstellungen eben nicht als verhuschtes Mäuschen oder draller Kurvenstar dargestellt wird, sondern weil sie tougher auftritt als all die männlichen Figuren um sie herum. In den Maßstäben der Superhelden-Comicwelt ist das fast schon revolutionär.
Mark Millar/John Romita jr: Kick-Ass. Auf Deutsch liegt ein erster Sammelband mit den ersten vier Heften als Buch vor (100 Seiten, 12,95 Euro, Panini), im englischsprachigen Original ist der erste Erzählstrang mit acht Kapiteln bereits als komplettes Buch veröffentlicht worden. Eine Leseprobe gibt es hier. Und zur deutschen Website des Films geht es hier.
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