Graphic Novel: Taumelnder Totentanz
Uli Oesterles „Hector Umbra“ vereint meisterhaft Sprache, Bilder und Sounds. Jetzt gibt es eine Luxusausgabe des vielschichtigen Werkes.
Die Verwendung von Musik als Waffe ist ein Thema, das erst vor kurzem durch Guantanamo traurige Berühmtheit erlangt hat. Bereits 1986 beschreibt Kate Bush die Möglichkeit einer akustischen Kriegsführung und Tötung des Menschen durch Sound in dem Song „Experiment IV“. Im Dezember 2009 erschien bei MIT Press das Buch „Sonic Warfare“ von Steve Goodman, der in der Dubstep-Szene besser bekannt ist als Kode9 und wesentlich zur Popularität dieser elektronischen Musikrichtung beigetragen hat. Unter anderem erforscht Goodman in seiner Studie den militärischen Einsatz von Musik zur Kontrolle ganzer Menschenmassen.
Irgendwo dazwischen liegt die Handlung von Uli Oesterles Comic „Hector Umbra“, der jetzt von der Edition 52 in einer limitierten Luxusausgabe neu veröffentlicht worden ist. Um es gleich vorwegzunehmen: einen großen Unterschied zur der letztjährigen Publikation aus dem Carlsen Verlag gibt es nicht. Einzig die beigelegte nummerierte und signierte Druckgrafik dürfte vor allem für Sammler interessant sein. Die motivische Neugestaltung des Einbandes wurde von Uli Oesterle für diese Ausgabe gezeichnet, das Motiv wurde dann auch für die französische Version bei Akileos verwendet. Die Anzahl der Exemplare ist auf 150 Stück begrenzt. Anlass genug, um Uli Oesterles Graphic Novel noch einmal genauer unter die Lupe zu nehmen.
Ein kurzweiliger, tiefgründiger Trip
Bei all den fantastischen Einflüssen aus Literatur und Film, die der über 200 Seiten starken Geschichte von zahlreichen Rezensenten attestiert wurde, ist der realistische Bezug der Handlung oft vernachlässigt worden. In einem Interview mit Klaus Schikowski hat Uli Oesterle auf den autobiografischen Hintergrund seines Comics hingewiesen und betont, wie durch die Einbindung einer realen Umgebung selbst die haarsträubendsten Begebenheiten plausibler erscheinen. Und so präsentiert sich „Hector Umbra“ an der grafischen Oberfläche als kurzweiliger und actionreicher Trip, dessen gedanklicher Tiefgang sich trotz des morbiden Charmes der Charakterzeichnung erst beim genauen Hinsehen zu erkennen gibt. Nicht zuletzt der schnoddrige Ton der Dialoge und die sprachlichen Verballhornungen von Namen und Personen entfalten einen Humor, der comictypisch agiert und sein eigenes Medium persifliert.
Ein Hauptthema von „Hector Umbra“ ist die berauschende und zerstörerische Wirkung von Musik, das in seiner politischen Dimension von Oesterle als terroristischer, faschistoider Akt fremder Mächte inszeniert wird. Sprache, Bild und Sound vollziehen in „Hector Umbra“ einen modernen Totentanz, dessen feixende Fassade in Form dämonischer Invasoren und Geistwesen auch figürlich zum Ausdruck kommt. Am stärksten beeindruckt der Rhythmus der Panels im Zusammenspiel mit den Sprechblasen, deren Anordnung und Syntax eine melodische und zugleich höchst visuelle Bildgrammatik entwirft. Vor allem die unstetige Linienführung, das Kippen von Perspektiven, die Dehnung des Bildraumes und das Aufsprengen fester Seitenlayouts erzeugen einen temporären Taumel der Darstellung, der im Kino von Dziga Vertov bis zum Expanded Cinema eine reiche Tradition besitzt. Die experimentelle Musik hat ihrerseits durch die Technik des Field Recordings versucht, solche starken körperlichen Wahrnehmungen elektroakustisch zu stimulieren. Und nicht zuletzt hat die spürbare Präsenz von tiefen Bässen in der Geschichte des Deejayings einen festen Platz. Mit Blick auf ein berühmtes Selbstporträt von Arnold Böcklin könnte man sagen, der Tod fiedelt gut, und das nicht nur in der sinistren Szenerie von „Hector Umbra“.
Schon Hergé nutzte die suggestive Wirkung unheimlicher Schwarztöne
Diese Effekte sind nicht bloßes Beiwerk oder aufgesetzte Ästhetik, sondern regulieren und variieren äußerst bedacht den Erzählfluss der gesamten Handlung, werden selbst Teil des Geschehens. Das bei allem Witz dunkle Klangbild des Comics verdankt sich einer geradezu sprachphilosophischen Auseinandersetzung mit der Farbe Schwarz. Zum einen Sprachspiel, zum anderen gestalterische Form, steht das Schwarz für eine Vielzahl von Sinnes- und Farbeindrücken, deren tonale Abstufungen von Oesterle begrifflich durchdekliniert werden. Schon der Nachname der Titelfigur Hector Umbra verweist auf den erdigen Charakter der gesamten Kolorierung, die zugleich von einem seltsamen Leuchten durchzogen ist. Gespenstisch, fleckenhaft, wie ein lebendiger Organismus überwuchert das Schwarz die Bildflächen, Schatten und Konturen. Tapeziert mit einem breiten Pinselstrich treibt es die Darstellung in die Enge und droht jeden Moment, das gesamte Panel in eine dunkle Finsternis zu stürzen.
Das unheimliche Schwarz, von dessen suggestiver Wirkung bereits Hergé zu berichten wusste, präsentiert sich als eine malerische Instanz, die tief in der abendländischen Kunst- und Kulturgeschichte verwurzelt ist. Dementsprechend wird die Schwarzmalerei in „Hector Umbra“ nicht allein als sprachliche Metapher begriffen, sie ist vielmehr Symbol für das apokalyptische Grundgerüst des gesamten Comics. Das Diabolische und das Optische haben eine gemeinsame Mediengeschichte, die hier durch eine musikalische Palette aus Sound und Geräuschen ergänzt wird. Man muss nur genau hinsehen, um diese geheimnisvolle „Ode an den halbautomatischen Wahnsinn“, von der in „Hector Umbra“ die Rede ist, mit den eigenen Ohren zu hören.
Uli Oesterle: Hector Umbra, 216 Seiten, Luxusausgabe mit signiertem und nummeriertem Druck (auf 150 Exemplare limitiert), 49 Euro, Edition 52, zu bestellen unter diesem Link. Reguläre Ausgabe bei Carlsen, 24,90 Euro, mehr unter diesem Link.
Jens Meinrenken
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