Geburtstag: Tasten, wandern, leben
Der Perfomance-Pionier Bruce Nauman wird 70. Jahre alt. Eine Gratulation
Theoretisch hat sich Bruce Nauman auch mit Malerei beschäftigt. In den sechziger Jahren, nach einer kurzen Phase als Assistent von Wayne Thiebaud, unterrichtete der Künstler am Art Institute in San Francisco. Das Ergebnis war die völlige Abwendung von allen malerischen Instrumenten: Niemand kennt Nauman mehr mit einem Pinsel in der Hand. Zu den Werkzeugen des amerikanischen Künstlers, der heute 70 Jahre alt wird, zählen neben Texten, Neonröhren und Hologrammen diverse skulpturale Materialien. Und es gehört der eigene Körper untrennbar zum Werk eines Mannes, der als ein Pionier der Performance gilt.
„Walking in an Exaggerated Manner around the Perimeter of a Square“ hieß 1967 etwas umständlich sein erster Auftritt, der fast schon vorbei war, wenn man den Sinn des Satzes verstanden hatte: Naumans legendäre Aktion zeigt ihn, wie er im Wiegeschritt ein auf den Boden gezeichnetes Quadrat abwandert. Dass man noch der einfachsten Geste sinnliche Qualitäten abgewinnen kann, ist die eine, simple Botschaft jener minimalen Performance. Die andere betraf das Genre selbst und gehört in die experimentelle Zeit der Sechziger, die die Kunst im Wortsinn vom Sockel holen wollte, um sie erfahrbar zu machen.
Nauman, der seit 1989 in New Mexiko lebt, bewahrt diesen Anspruch bis heute. Seine Skulpturen alias Installationen lassen sich durchwandern, erleben, betasten. Frühestes Stilmittel sind jene engen, manchmal farbig ausgeleuchteten Korridore, in denen man unvermittelt auf andere Besucher trifft und ihnen nur mit Mühe aus dem Weg gehen kann. Oft begegnet man sich auch selbst, weil Nauman diskret Kameras installiert und Monitore aufstellt, die einen zeitverzögert von vorne, hinten, beim Näherkommen und Weggehen zeigen. Auch das gehört zum Werk: ein unangenehmes Grundgefühl, mit dem noch die jüngeren Arbeiten operieren. Vielleicht nicht mehr ganz so direkt, dafür seit den achtziger Jahren zunehmend politisch konnotiert.
Wer keine Beklemmung verspürt, wenn bei der Video- und Audioinstallation „Raw Material-OK,OK,OK“ (1990) mehrere Köpfe aus Wachs den immergleichen Singsang – Soldatendrill? Kriegsgeheul? – intonieren, der muss schon hartgesotten sein. Auch der alternde Künstler lässt sich nicht auf eine Botschaft festlegen, seine Arbeit beibt offen, ohne beliebig zu sein. Das hat ihn auf fünf Ausgaben der Documenta in Kassel, nach Venedig und in zahllose internationale Museen gebracht, die zu Recht stolz auf Naumans Werke in ihren Sammlungen sind.
Im Hamburger Bahnhof schmückt man sich seit einem Jahr mit der begehbaren Architektur „Room With My Soul Left Out, Room That Does Not Care“ (1984), einem Geschenk von Friedrich Christian Flick. Letztes Jahr wurde der schwarze Raum am Ende einer Passage, in dem man durch einen Bodenrost in kellertiefes leeres Orange blickt, in den Rieckhallen installiert und für Nauman dazu eine Werkschau eingerichtet. „Dream Passage“ zeigte die klaustrophobischen Installationen mit ihrem Licht am Ende des Tunnels – das man jedoch nie erreicht, weil die Öffnung immer enger wird. Und Naumans Neonskulpturen, in denen Männer kopulieren oder im Sekundentakt mit dem Aufblinken der farbigen Röhren ihre Arme, Beine und Geschlechter recken. Sie alle sind zum 70. Geburtstag des Virtuosen anderswo. Aber der seelenlose Raum wartet noch. Christiane Meixner
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