Berlinale: Tänzer in der Schwebebahn
Wim Wenders' Hommage an Pina Bausch ist eine große Trauerarbeit geworden, eine Hommage an das Leben. Die 3-D-Technik liefert Bilder, wie man sie noch nie gesehen hat, weder im Kino, noch auf der Bühne.
Sie selbst ist kaum im Bild, nur in ein paar Archivaufnahmen, und manchmal hört man ihre Stimme. Doch die Abwesenheit verstärkt ihre Präsenz, bis ins Schmerzhafte. Sie starb im Sommer 2009. Wim Wenders wollte diesen Film gemeinsam mit Pina Bausch realisieren. Nun ist es eine große Trauerarbeit geworden, eine Hommage an das Leben. „Pina steckt in uns allen, und wir stecken alle in ihr“, sagt eine Tänzerin. Was ist Sehnsucht? Warum haben wir Sehnsucht? Die Frage schwebt über dem Werk, das Pina Bausch weltberühmt gemacht hat, das die Welt bewegte. Wim Wenders nennt sie die „Erfinderin einer neuen Kunst“.
Pina, so haben sie sie alle genannt, als sei sie eine Heilige, eine Freundin, eine Kollegin, eine Schwester. „Pina“ heißt auch dieser Film mit langen Sequenzen aus vier epochalen Stücken des Wuppertaler Tanztheaters. „Sacre du Printemps“ (1975), „Kontakthof“ (1978/2008), „Café Müller“ (1978) und „Vollmond“ (2006). Ein breiter Strom von Körpern, Gesichtern, Emotionen und Verausgabungen. Wie ein Erdbeben waren ihre Choreografien, und über drei Jahrzehnte lang war Wuppertal das Epizentrum. Im Studio, auf der Bühne, im Park, in der Schwebebahn und draußen in der Landschaft, auf den Abraumhalden des Bergischen Landes suchen die Ensemblemitglieder nach ihr – und finden sich, so unerschöpflich reich ist der Schatz der Erinnerungen, der Körpersprache.
So viel hat Pina Bausch dem Tanz gegeben, vor allem Schönheit und Würde. Die Schönheit eines trainierten Körpers, der altern darf und sich neu entdeckt. Bei ihr waren die Tänzerinnen und Tänzer auch Schauspieler, Clowns, Athleten, und sie zeigen noch einmal Glanznummern, persönliche Stücke, Etüden, hingetupft wie Blumen, ein Poesiealbum für Pina. Trauer verwandelt sich in Dankbarkeit, Schmerz in Bewegung. Pina Bausch hat die Tänzer zu Individuen gemacht.
Wenders ist ihnen ins Pina-Land gefolgt, wie in ein Märchen. Die 3-D-Technik liefert Bilder, wie man sie noch nie gesehen hat, weder im Kino, noch auf der Bühne. Nur mit dieser Fantasy-Technologie, davon ist der Filmemacher überzeugt, lassen sich Dynamik und Plastizität der Bausch-Choreografien für die Leinwand einfangen. Ein altes Desiderat: Wie filmt man Tanz ohne substanziellen Verlust?
Der Betrachter setzt die 3-D-Brille auf, am Sonntag im Berlinale-Palast für gleich drei Filme, für den Animationsfilm „Les contes de la nuit“ (siehe S. 25), für Wenders und Werner Herzogs Höhlenexpedition „Cave of Forgotten Dreams“. Auch bei „Pina“ muss man sich an den Fremdkörper gewöhnen. Ein Tänzer schwebt heran, ein Shakespeare’scher Luftgeist. Fliegen und Schweben, das ist der Aggregatzustand, in den die Tänzer versetzt werden. „Pina“, 100 Minuten in der Schwebebahn. Seltsam, wie das forcierte räumliche Sehen das Tänzerische zugleich verstärkt und verschiebt. Man ist nah dran, zu nah vielleicht, aber auch der gegenteilige Effekt stellt sich ein. Die Tänzer rücken weiter weg, werden in einen Raum geworfen, der etwas Halluzinatorisches hat. Riesenhaft verzwergt – eine widersprüchliche Wahrnehmung. HighTech, die erst am Anfang steht – und auf die altertümliche Welt des panoptischen Schaukastens verweist, einen Vorläufer des Kinos.
Herrlich die 3-D-Bilder unter freiem Himmel, wie von einem andern Stern. Die Prozession des Ensembles am Rand eines Kraters, so greifbar und unbegreiflich wie der Sturz der kleinen Alice durch das Kaninchenloch. Bis zum Ende bleibt der Konkurrenzkampf zwischen Tanz und 3-D-Philosophie unentschieden. Nur schade, dass man den Eindruck gewinnt, hier möchte das filmische Experiment über sein Sujet triumphieren, das sinnlicher und lebendiger nicht sein könnte.
Fortschritt ist immer relativ, man muss ihn an etwas messen. Ist das Kino, das wir kennen, zweidimensional? Auch wenn man es nicht einfach vergleichen kann: 2008 lief auf der Berlinale „Shine a Light“, Martin Scorseses Konzertfilm mit den Rolling Stones aus dem New Yorker Beacon Theatre. Gedreht mit dem Besten, was die traditionelle Technik hergab, und den erfahrensten Kameraleuten Hollywoods. Die räumliche Wirkung war umwerfend, man war mittendrin. Bei Wim Wenders und „Pina“ weiß man nie so genau, wie die 3-D-Designerdroge anschlägt.
Heute 14.30 Uhr und 22 Uhr (Urania); 18. 2., 17.30 Uhr (Urania)