Die Bude ist der Hammer: Survival-Guide für Wohnungssuchende in Berlin
Jeden Tag sind Menschen in Berlin auf der Suche nach Wohnraum. Und es werden immer mehr. Dem alltagstheatralen Ausnahmeszenario „Wohnungsbesichtigung“ kommt in solchen Zeiten große Bedeutung zu. Eine kleine Typologie des Schreckens – und Überlebenstipps.
1. Die klassische Massenbesichtigung
Wir hatten schon viel erlebt, als wir an diesem Frühsommertag in die Nostitzstraße in Kreuzberg einbogen: Makler und Verwalter, die nur stumm Bewerbungsmappen mit Schufa-Auskünften, Personalausweiskopien, Bürgschaften, Geburtsurkunden, Arbeitszeugnissen, Babyfotos, Bettelbriefen und Bestechungssummen einsammelten. Wir hatten Wohnungen gesehen, die – frisch entkernt – im Rohbauzustand angeboten wurden und trotzdem Heerscharen lockten. Und doch konnten wir uns nicht vorstellen, was passieren kann, wenn eine städtische Wohnungsbaugesellschaft zum fairen Preis eine Wohnung im Szenekiez anbietet. Unsere Reise endete drei Treppen vor der Wohnungstür, am hinteren Ende eines Pulks, der sich – unendlich langsam in der Vorwärtsbewegung, aber nach allen Seiten auskeilend, dazu pöbelnd – die Treppe hochschob. Genauer gesagt endete die Reise, als vor uns eine elegant aussehende Frau mit Seidenschal hörbar zu ihrer Tochter – jedes Wort betonend – sagte: „Guck sie dir an, die armen Säue: Alle keine Chance!“ Wir kehrten um. „Wegen der Selbstachtung“, sagtest du, als wir ins Sonnenlicht traten. „Um die Menschen weiter mögen zu können“, sagte ich und kaufte uns ein Eis.
Strategie: dickes Fell anziehen.
Auf keinen Fall: in Gesichter blicken.
2. Die forcierte Konkurrenzbesichtigung
Als klar war, dass die jetzigen Mieter mit ihrem Vorschlagsrecht gegenüber der Hausverwaltung tatsächlich Macht über das Wohl und Wehe der Bewerbungen hatten, brachen in einem Pankower Altbau alle Dämme. Die annähernde Unmöglichkeit, sich durch forciertes Gequatsche als angenehmer Mensch darzustellen, wurde konsequent ignoriert. „Auch wenn man es uns nicht ansieht: Wir sind total ordentlich und zuverlässig“, betonte eine Frau, die – ebenso wie der Mann neben ihr – bunte Perlen in die Dreadlocks geflochten hatte. „Wir sind Lehrer, Lehrer, verbeamtet, beide!“, schrie ein Brillenträger. Dann war die Reihe an uns. „Wir können gar nicht so viel sagen“, stammelte ich, „außer, dass wir die Wohnung wirklich, wirklich, wirklich gerne haben würden und ordentliche und solvente Menschen sind – so eklig das jetzt auch klingt.“ Wir übergaben unsere Mappe. Beim Gehen fühlte ich mich so mittel. Am Ende landeten wir auf Platz 2.
Strategie: Authentisch und zugleich unaufdringlich verzweifelt wirken.
Auf keinen Fall: „Unser Sohn will uns nicht mehr beim Sex zugucken müssen!“
3. Der exzentrische Makler
Herr D. war ein Mann in Eile. Erschwerend kam hinzu, dass sich Herr D. auf dem Weg zur Wohnungsbesichtigung erkennbar mit einer Ladung kolumbianischen Marschierpulvers verproviantiert hatte. Seine Lieblingswörter waren „Wahnsinn“, „Hammer“ und „geschnitten Brot“. Die Haare wirr, die Augen flackernd, begrüßte er uns an der Haustür: „Wahnsinn, das läuft ja wie geschnitten Brot!“ Viel Zeit habe er leider keine, dafür sei „die Bude der Hammer“. Der Hammer erwies sich als dunkles Erdgeschoss im Hinterhaus. Während wir durch die Räume eilten, berichtete Herr D. unablässig von angesagten Clubs und seinen Lieblingsbars im Viertel. Als Stimmungskiller erwies sich unsere Frage nach der Wohnungsgröße. „Steht alles im Dossier, schick’ ich euch“, sagte Herr D. und dass er jetzt wirklich losmüsse, schließlich sei man bereits zehn Minuten hier. Kurz darauf dann die Mail, Betreff: Wohnung, Priorität: hoch. Für alle Vokale blieb da keine Zeit. „BITTE SORGFÄLTG DURCHLESN!!!“, schrieb Herr D. Von der Wohnungsgröße stand nichts im Dossier. Bei aller Not: Wir haben uns nie mehr gemeldet.
Strategie: Nicken, erdulden, abwarten.
Auf keinen Fall: Fragen stellen.
4. Der rassistische Makler
Hätten wir geahnt, dass diese Geschichte später diverse „Genau wie bei uns!“ hervorrufen würde, wir hätten wohl heftiger reagiert. Wir hätten Herrn B. stellvertretend für eine ganze Heerschar verkommener Kollegen aus- und angepfiffen. Und das ungeachtet der Schleimer um uns herum, die – in vollendeter Bionade-Biederkeit – wegzulächeln versuchten, was B. uns, einer kleinen Gruppe klischeehaft mittelschichtiger Möchtegern-Neu-Neuköllner, an einem Frühlingsabend im Schillerkiez an avanciertem Sozialzynismus anbot. Als sein Blick in den Hof ging, auf Frauen mit Kopftüchern und ihre tobenden Kinder. Als er, junger Typ, Sneakers, zerschlissene Bootcut-Jeans, sich umdrehte und sagte: „Das Problem hat sich auch bald erledigt.“ Und: „Das sind die guten Seiten der Gentrifizierung.“ Da hätten wir schreien sollen wie die Kinder im Hof. Doch wir sahen uns nur schweigend an und gaben ihm unsere Bewerbungsmappe nicht. Immerhin.
Strategie: Ausspucken, wegrennen!
Auf keinen Fall: „Das hoffe ich doch!“
5. Die Einzelbesichtigung alter Schule
Eigentlich hatten wir schon aufgegeben. Zumindest an diesem Tag, an dem uns ein rassistischer Makler und eine Massenbesichtigung bereits den letzten Nerv geraubt hatten. Nun also, noch einmal alles auf diese eine Karte: Die Lage im Schöneberger Norden war vielversprechend, die Beschreibung, die die Vormieterin bei wg-gesucht.de eingestellt hatte, klang zwar einerseits ein wenig wahnsinnig („Mich erinnert die Wohnung an den Stil der Wiener Secession!“), andererseits aber auch nach einem guten Angebot (Altbau, Dielen, Balkon, Badewanne). Wir rechneten, nachdem uns in einer Keinwortmail in ein paar Ziffern grußlos ein Termin genannt worden war, mit dem schlimmsten Massentermin aller Zeiten, und waren geradezu verstört, als wir in der Wohnung allein die Vormieterin antrafen. Ja, sagte die, sorry für die schroffe Nachricht, aber bei über 600 Zuschriften könne man ja nun nicht allzu detailreich mailen – zumal, wenn man sich die 50 vielversprechendsten Interessenten „persönlich“ anschauen wolle – und zwar einzeln. „Die Wohnung soll ja in gute Hände“, sagte sie. Und dann sagte sie noch, dass sie Dramatisches Schreiben studiere. Wir sagten, dass wir auch mal so was Ähnliches studiert hätten, und fragten, ob der Vermieter seriös sei. Auf jeden Fall, sagte sie – und wen wir gern läsen. Wir sagten: Max Goldt. Es gab Bratkartoffeln und eine Zusage. Alles war gut.
Strategie: Nett sein, nicken.
Auf keinen Fall: „Ach, du malst auch? Naja, für den Hausgebrauch reicht’s.“
Tiemo Rink, Johannes Schneider
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