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ACTION: Strich der Verwüstung

"Hard Boiled" von "Sin City"-Schöpfer Frank Miller und Geof Darrow ist eine präzise gezeichnete Orgie aus Glassplittern, Blutspritzern und sterbenden Cyborgs. Jetzt gibt es eine Neuauflage - passend zur Ankündigung von Frank Miller, das beeindruckende Werk zu verfilmen.

Von Jan Oberlaender

Irgendwann brennen die Sicherungen durch. Man kennt das zum Beispiel aus Joel Schumachers großartigem Film "Falling Down" von 1993, in dem Michael Douglas als plötzlich durchgeknallter kleiner Angestellter schwer bewaffnet eine Spur der Verwüstung durch Los Angeles zieht. 

Oder ein anderes Horrorszenario: Man merkt, dass die Welt, die man selbst für real hält, in Wahrheit eine von macht- und profitgierigen Dunkelmännern erzeugte Simulation ist – siehe Peter Weirs "Truman Show" (1998) oder natürlich "Matrix" der Wachowski-Brüder (1999).

Der von Frank Miller ("Sin City", "300") geschriebene und von Geof Darrow gezeichnete Cyborg-Kracher "Hard Boiled" erinnert an alle dieser Filme. Mit dem Unterschied, dass dieser amerikanische Amok-Comic von 1990, den der Crosscult-Verlag nun in einer Neuauflage auf den deutschen Markt bringt, einen noch viel zynischeren, brutaleren und kritischeren Blick auf die Gesellschaft wirft. 

Dreistellige Opferzahlen

Ursprünglich ab 1990 in den USA als dreiteilige Serie erschienen, handelt "Hard Boiled" von dem Cyborg Nixon, der im Auftrag der Firma Willeford als Steuereintreiber arbeitet. Nixon übertreibt ein wenig in Erfüllung seiner Pflicht und mäht reihenweise Leute nieder, die Opferzahlen sind dreistellig. Sein im Verlauf der Kämpfe zerschossener Körper wird geborgen und unter Einsatz kompliziertester techno-organischer Gerätschaften wiederhergestellt, sein Denksystem wird neu installiert.

Und schon befindet er sich in einer neuen Scheinexistenz, in einem suburbanen Idyll mit Haus und Frau und Kinderspielzeug in der Garagenauffahrt: "Pfannkuchen und Burger. Becky macht sie mir jeden Morgen und ich kriege nie genug davon."

Neues Leben, neuer Name, neuer Job. Als Carl Seitz ist Nixon nun Versicherungsermittler. Schon bei seinem nächsten Einsatz aber gerät Nixon an einen anderen Roboter – in Gestalt einer übergewichtigen älteren

Dame im orangefarbigen Jogging-Dress. Der Kampf und die anschließende Verfolgungsjagd lädiert Nixon wiederum derart, dass seine Kabel und Drähte, Schrauben und Scharniere sichtbar werden. 

"Ich bin ein Durchschnittstyp!"

Die Roboterin klärt ihn über sein wahres Wesen auf: "Es ist kein Gramm Fleisch an dir. Kein Klumpen echter Hirnmasse." Trotzdem, Cyborgs haben Gefühle. Und der Super-Killer Nixon ist die einzige Hoffnung seiner geknechteten Genossen. Zuerst beharrt er zwar darauf: "Ich bin ein Durchschnittstyp!" Aber dann sieht er seinen eigenen Markennamen - und realisiert endlich, dass er benutzt wurde. Nixon startet einen Ein-Mann-Feldzug gegen Willeford.

Die Umsetzung der Story ist auf mehreren Ebenen einfach beeindruckend. Action-Liebhaber werden sich an den Explosionen und Schießereien, den brennenden Autos und zerberstenden Wänden erfreuen. Der Splatter-Faktor ist hoch: Nixon trägt fette Kanonen und er macht ausgiebig von ihnen Gebrauch.

Aber der Gewaltexzess ist kein reiner Selbstzweck. Comic-Fans müssen die grandiosen, detailbesessenen Gewalt-Panoramen, die Geof Darrow in "Hard Boiled" entwirft, als herausragende Leistungen würdigen. Mehrere Doppelseiten zeigen Leichenhaufen, Massenkarambolagen, Feuer. Und stets ist noch der letzte Glassplitter, noch der kleinste (meist aber größere) Blutspritzer an der Wand, sind Einschusslöcher, Patronenhülsen, Brandflecken klar erkennbar. Apokalyptische Wimmelbilder zum Alpträumen.

Risse in der Matrix

Ebenso detailliert dargestellt sind die verslumten Innenstädte, die überfüllten Supermärkte, Sexorgien und Schrottplätze voller Zivilisationsmüll. Schokoriegel, Coladosen. So zeichnet Darrow ein brutales, satirisch übertriebenes Zerrbild der westlichen Konsumgesellschaft, des American Way of Life.

Auffällig ist dabei die totale Statik des Stils. Obwohl ständig gerannt, geballert, in die Luft gejagt wird, wirken die Bilder wie eingefroren. Es gibt keine Speedlines. Die seltsame Bewegungslosigkeit passt zur Festgefahrenheit des korrupten, ausbeuterischen, mörderischen Imperiums. Willeford ist unbesiegbar, Nixon vermag die Verhältnisse nicht zu ändern, auch wenn er ein paar

Dutzend Handlanger umlegen, ein, zwei Gebäude sprengen kann. Und doch sind seine Fehlfunktion, seine Selbsterkenntnis und sein Widerstand nur Risse in der Matrix. Die erneute Gehirnwäsche folgt auf dem Fuß.

Wenn du mal durchbrennst, scheint der Comic zu sagen, dann brenn richtig durch. Denn morgen früh sitzt du wieder im Auto und fährst zur Arbeit. Womit man wieder bei „Falling Down“ wäre. Übrigens hat Frank Miller gerade angekündigt, "Hard Boiled" auf die große Leinwand zu bringen. Zu erwarten ist ein Film für Hartgesottene.

Frank Miller / Geof Darrow: Hard Boiled. Crosscult Verlag. Hardcover, 24 Euro.

Leseprobe und weitere Informationen auf der Verlagswebsite
www.crosscult.de.

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