Queer in Kenia: „Stories Of Our Lives“: Das andere Nairobi
Regisseur Jim Chuchu und Co-Drehbuchautorin Njoki Ngumi über ihren schwarz-weißen Episodenfilm „Stories Of Our Lives“, der von jungen Queers in Kenia erzählt und dort verboten wurde.
Frau Ngumi, Herr Chuchu, die fünf kurzen Geschichten in „Stories Of Our Lives“ basieren auf Interviews mit queeren Kenianerinnen und Kenianern. Wie haben Sie sie gefunden?
JIM CHUCHU: Das lief sehr informell ab. Wir fragten Freunde, die wiederum ihre Freunde fragten.
NJOKI NGUMI: Außerdem haben wir Organisationen kontaktiert, die mit dem Thema befasst sind. Manchmal kamen ganze Gruppen. Wir garantierten den Leuten, dass sie anonym bleiben würden. Niemand würde ihre Stimmen hören. Dadurch vertrauten sie uns.
CHUCHU: Manche Interviews dauerten zwei Stunden, andere nur 15 Minuten. Insgesamt haben wir rund 250 Menschen aus sechs Orten in Kenia befragt.
Wegen der Anonymitätsfrage entwickelten Sie Spielhandlungen für den Film?
CHUCHU: Die Idee, einen Film zu machen, kam erst auf als wir schon mitten in dem Projekt steckten. Ursprünglich wollten wir nur herausfinden, wie es ist, queer in Kenia zu sein – aus Neugierde und weil es noch niemand getan hatte. Wir dachten eher an ein Buch. Doch nach etwa 40 Interviews ...
NGUMI: ... merkten wir, dass ein Buch all diese Geschichten nicht würde einfangen können. Wir sahen Bilder, während wir zuhörten.
CHUCHU: Also drehten wir probeweise den kurzen Film, der jetzt am Anfang von „Stories ...“ steht. Eher zufällig sah ihn eine Repräsentantin des Toronto-Filmfestivals und meinte, sie würde gern mehr sehen. Es war schwer für uns, weil wir komplett umdenken mussten.
„Stories Of Our Lives“ hat einen eleganten Schwarz-Weiß-Stil. Wieso haben Sie sich gegen Farbe entschieden?
CHUCHU: In Kenia gibt es normalerweise keine Schwarz-Weiß-Filme. In unserem Fall hat es den Effekt, dass man die Orte in Nairobi zwar erkennt, sie so aber noch nicht gesehen hat. Es ist, als sehe man eine andere Version dieser Orte. Wir fanden, es steht auch dafür, wie queere Leute leben, quasi in einer anderen, unbekannten Version der Stadt.
In dem Segment „Run“ sieht man eine Art Gay Bar in einer Nebengasse. Gibt es solche Orte in Nairobi, wie sieht das queere Nachtleben in Kenia aus?
CHUCHU: Es existieren keine offiziellen Gay Bars. Aber natürlich gibt es Läden, in denen sich die queeren Leute treffen. Das Management kriegt es irgendwann mit. Aber solange man genügend Drinks bestellt, geht es meist. Der bekannteste Ort für queere Menschen in Nairobi ist eigentlich eine Ecke in einem Club. Es gibt eine Art unsichtbare Linie, die die Heterosexuellen nicht übertreten.
„Stories Of Our Lives“ zeigt einen Kuss von zwei schwarzen Mädchen und einmal küsst ein Schwarzer einen Weißen. Nur ein Kuss von zwei schwarzen Männern ist nicht im Bild. Absicht?
CHUCHU (lacht): Interessant. Aber nein, das war kein Ausweichmanöver. Wir haben auch eine Geschichte mit zwei küssenden Männern gedreht, aber sie hat einfach nicht reingepasst. Am Set war der Kuss der beiden Mädchen der Moment, in dem alle begriffen: Jetzt sind wir wirklich in eine andere Region vorgestoßen.
NGUMI: In diesem Moment haben wir uns wirklich entschieden, den Film zu machen. Wir fühlten uns verpflichtet.
Das Classification Board hat „Stories Of Our Lives“ in Kenia verboten. Konnten Sie den Film zu Hause überhaupt zeigen?
CHUCHU: Als das Toronto-Filmfestival den Film eingeladen hatte, wollten wir nicht, dass das dortige Publikum das allererste ist, das ihn sieht. Also organisierten wir ein Screening für Cast und Crew. Auch um ihren Segen zu haben.
NGUMI: Wir hatten weitere private Vorführungen für die Community etwa in Kisumu, wo eine laute Debatte über die Schulmädchen begann.
CHUCHU: Als wir aus Toronto zurückkamen, war das Interesse so groß, dass wir es nicht mehr mit Mini-Vorführungen decken konnten. Also beantragten wir eine Klassifizierung, die man für offizielle Aufführungen braucht. Wir wussten, dass es schwierig würde, wir hofften auf ein „Ab 18“-Rating, bekamen aber das Verbot. Später wurde auch noch unser Produzent verhaftet. Sein Prozess steht demnächst an.
Wie lautete die Begründung des Verbots?
CHUCHU: Öbszönität, Werbung für Homosexualität ...
NGUMI: ... und der Film stehe im Widerspruch zu kenianischen Normen und Werten.
Homosexualität gilt als unafrikanisch. Das Argument ist auch im Film zu hören.
CHUCHU: Ja, das ist eines der Narrative der Anti-Gay-Bewegungen in Afrika. Und es war für uns einer der Auslöser, die Geschichten zu sammeln. Dass sie so alltäglich sind und Homosexualität geradezu normal wirkt, war ein Kritikpunkt von offizieller Seite. Genau das wollten wir ja. Aber es passt natürlich nicht ins Konzept des West-Importes.
Vor einem Jahr hatte der kenianische Autor Binyavanga Wainaina sein öffentliches Coming-out. Helfen solche Aktionen?
CHUCHU: Für uns war es spannend zu sehen, wie es ihm anschließend erging. Er versicherte uns, dass alles in Ordnung sei – egal was gebloggt und geschrieben wurde. Wainaina, der unser Projekt übrigens auf väterliche Weise unterstützte, ist zudem prominent. In Kenia attackieren einen die Leute selten direkt. Sie nehmen Umwege. So wurde am Abend von Wainainas Outing eine etwa zehnköpfige Mädchengruppe aus ihrem Haus in einer armen Gegend geworfen, weil sie irgendwie verdächtig erschien.