Comics ohne Worte: Stille Nacht, schweigsame Nacht
Frank Flöthmann und Xu Bing erzählen in „Stille Nacht“ und „Book from the Ground“ Geschichten mit Symbolen statt mit Worten. Das ist unterhaltsam, zeigt jedoch auch die Grenzen dieses Stilmittels auf.
Warum erzählt man eine der ältesten und den meisten Menschen bestens bekannten Geschichten neu? Und wie schafft man es, den Leser zu packen, obwohl er die Geschichte doch bereits kennt? Entweder durch neue Aspekte des Altbekannten oder durch eine außergewöhnlich innovative Form. Beides trifft auf Frank Flöthmanns Buch „Stille Nacht“ nur bedingt zu. Pünktlich zum Beginn der Adventszeit hat der Zeichner eine Comicversion der Weihnachtsgeschichte nach Lukas vorgelegt.
Im Gegensatz zu seinen Adaptionen der Grimmschen Märchen, in denen er den einen oder anderen Schluss kurzerhand veränderte, bleibt er hier ausgesprochen nahe am Original. Er ergänzt lediglich zwei kurze Episoden: einen Streit unter den Hirten sowie die Tatsache, dass die drei Weisen zunächst etwas orientierungslos den falschen Stall ansteuern. Ohne diese Ausschmückungen hätte der Comic es wohl auch nicht auf seine 170 Seiten gebracht. Diese Ergänzungen bringen den Leser zwar zum Schmunzeln, neue Aspekte eröffnen sie jedoch nicht.
Stilistisch bleibt Flöthmann sich einmal mehr treu und arbeitet auch hier mit äußert reduzierten Grafiken, die nur das Allernötigste zeigen. Die Optik ist geprägt von großen farbigen Flächen in blau, rot, schwarz und weiß. Auf Schattierungen verzichtet er ebenso wie auf Worte. Trotzdem dominieren Sprech- oder Denkblasen die oft ganzseitigen Panels. Statt mit Worten sind diese mit Symbolen gefüllt. Das ist durchaus witzig und unterhaltsam zu lesen, der Effekt nutzt sich jedoch schnell ab und trägt auf keinen Fall über die komplette Länge des Comics. Man schmunzelt während der Lektüre immer wieder, mehr als dieses kurze Schmunzeln bleibt am Ende jedoch leider nicht.
Xu Bings „Book from the Ground“ hat ein ähnliches Problem. Zwar adaptiert der chinesische Künstler keinen bekannten Text, die Geschichte, die er erzählt, dürfte jedoch trotzdem den meisten Lesern bekannt vorkommen. Erzählt, ja nahezu protokolliert, werden nämlich 24 Stunden im Leben eines durchschnittlichen (männlichen) Büroangestellten in einer westlichen Gesellschaft. Das ist nicht unbedingt spannend, vor allem, weil Xu Bing sich manchmal zu sehr in Details verliert.
Auch hier müsste also die innovative Form der Erzählung die Geschichte tragen und auch hier funktioniert das nur bedingt. Im Gegensatz zu Flöthmanns Comic ist die Form allerdings tatsächlich innovativ. Xu Bings Geschichte besteht ausschließlich aus Symbolen, Icons und Emoticons, die er in westlicher Leserichtung von links nach rechts aneinanderreiht. Strukturiert wird diese Kette aus Symbolen durch Satzzeichen und Klammern, die Gruppen von Symbolen einem anderen zu- oder unterordnen. Die Erzählung besteht aus 24 Kapiteln; jedes erzählt, was der Protagonist innerhalb einer Stunde erlebt.
Leider ist das nicht viel und schon gar nichts Interessantes. Der End-Zwanziger ist Single, arbeitet in einem Büro und sein Alltags ist genauso unspektakulär und von Routine geprägt wie es Alltag nun einmal oft ist. Er wird von Vogelgezwitscher geweckt, steht auf, füttert seine Katze, geht duschen, kann sich nicht entscheiden, welches Hemd er anziehen soll, frühstückt, hört dabei den Wetterbericht im Radio und macht sich dann auf den Weg zur Arbeit. Das alles ist so detailreich dargestellt, dass man den Eindruck bekommt, die tägliche Routine würde nur deshalb so ausführlich verhandelt, damit der Künstler möglichst viele verschiedene Symbole in seiner Geschichte unterbringen kann.
Genau wie bei Frank Flöthmann fühlt man sich als Leser zunächst gut unterhalten und schmunzelt über die Emoticons, die Xu Bing einsetzt, um die jeweilige Stimmung seines Protagonisten zu transportieren. Genauso schnell setzt aber auch hier die Abnutzung ein und man stellt fest, dass die Idee nicht über die mehr als 100 Seiten des Buches hinweg trägt. Hinzu kommt, dass das Werk hinter dem eignen Anspruch, der eng mit der gewählten Form verknüpft ist, zurückbleibt.
Laut Xu Bing sei es sein Ziel gewesen sei, ein Buch zu erschaffen, das jeder lesen könne. Zwanzig Jahre zuvor hatte er mit „Book from the Sky“ noch das genaue Gegenteil erreicht: ein Buch, das ausschließlich aus unlesbaren chinesischen Schriftzeichen besteht und damit komplett unverständlich ist. Das neue Werk soll dagegen für alle Leser zugänglich sein. Das funktioniert jedoch nur bedingt, denn man muss schon in einer der gegenwärtigen Industriegesellschaften sozialisiert worden sein, um die Geschichte verstehen zu können. Leider sind ein nicht unerheblicher Teil der verwendeten Symbole Logos verschiedenster Marken. Von Fernsehsendern, Fastfood-Ketten und Designerkleidung über Kreditkarten bis hin zu Suchmaschinen und Messenger-Diensten ist alles dabei.
Symbole und Emoticons sind in den vergangenen Jahren zum festen Bestandteil in Kurznachrichten und E-Mails geworden. Dass auch narrative Kunstformen damit experimentieren ist nur folgerichtig und durchaus spannend. Es zeigt sich jedoch sowohl bei Frank Flöthmanns Comic als auch bei Xu Bings Erzählung aus Symbolen, dass der witzige Effekt sich zu schnell abnutzt. In kurzen und pointierten Erzählungen mag der Einsatz von Emoticons und Symbolen gut funktionieren, für längere Erzählungen scheinen sie jedoch eher nicht geeignet zu sein.
Frank Flöthmann: Stille Nacht - Die Weihnachtsgeschichte ohne Worte, Dumont, 168 Seiten, 14,99 Euro.
Xu Bing: Book from the Ground - from point to point, MIT Press, 128 Seiten, 20,95 Euro
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