Schadow-Jubiläum: Stil in allen Lagen
Zum 250. Geburtstag des Berliner Bildhauers Johann Gottfried Schadow: eine Ausstellung im Ephraim-Palais.
Wer kennt sie nicht, die Quadriga auf dem Brandenburger Tor. Oder die Prinzessinnengruppe, Inbild erotisch individualisierter Aristokratinnen, tausendfach abgeformt in Gips und edlem KPM-Porzellan. Als Ikonen vermeintlich besserer Zeiten haben sie sich von ihrem künstlerischen Schöpfer emanzipiert. Sein Name Johann Gottfried Schadow ist längst nicht mehr so präsent wie seine populärsten Werke.
Schadow. Als Kind der Zukunft wurde er ein halbes Jahr nach dem Frieden von Hubertusburg gezeugt. Der Siebenjährige Krieg endete 1763 in allgemeiner Erschöpfung – in Preußen jedoch sah man Zeiten des Aufbruchs entgegen. Johann Gottfried Schadow kam am 20. Mai 1764 in Berlin zur Welt. Konfrontiert mit den Epochenstürmen von Aufklärung und Klassik, entwickelte er sich – nach Andreas Schlüter und vor Christian Daniel Rauch – zu einem der bedeutendsten Bildhauer der Stadt.
Innerhalb dieses Dreigestirns ist er der einzige echte Berliner. Theodor Fontane und Adolph Menzel, beide Neuberliner, haben ihn als Vorläufer im Geiste, als Realisten Berlinischen Typs gepriesen. „Unser Schadow“ heißt folgerichtig die Ausstellung zum 250. Geburtstag, die ihm die Stiftung Stadtmuseum und die Schadow Gesellschaft Berlin e.V. im Ephraim-Palais widmen.
Unser Schadow? Wer Schadow gewesen ist und was er in der Kunst bewegt hat, erfährt man in dieser facettenreichen Ausstellung – nicht nur im Rückblick der Historiker, sondern ebenso in der Anverwandlung durch das Berliner Malerurgestein Johannes Grützke, der wie Schadow Zeiten und Moden trotzt.
Diskussionswürdig bleibt jedoch die Frage, auf welche Gemeinschaft sich das Pronomen „unser“ im Ausstellungstitel bezieht. Berliner Institutionen, die Schadows persönliches, künstlerisches und kunsttheoretisches Erbe verwalten – Akademie der Künste, Nationalgalerie, Skulpturensammlung im Bodemuseum – haben sich nicht darum gerissen, ihm zum runden Geburtstag zu gratulieren. Die Friedrichswerdersche Kirche als Skulpturendependance der Nationalgalerie, in der wichtige Schadow-Werke gehütet werden, ist seit Oktober 2012 wegen Bauschäden geschlossen. In Schinkels Denkmalskirche fällt der Putz von der Decke, weil nebenan allzu kräftig gebaut wird. Kein Hinweisschild am Bretterzaun erklärt die missliche Lage: eine Bankrotterklärung der Hauptstadtkultur.
Auch das Stadtmuseum kam erst über Umwege zur Schadow-Hommage. Geplant war die Ausstellung im Potsdamer Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte, bis dessen Direktor Kurt Winkler aus Kapazitätsgründen absagen musste. Franziska Nentwig, Direktorin des Berliner Stadtmuseums, ist zu danken, dass sie das nicht mehr ganz taufrische Projekt übernommen hat, ebenso der Ernst-von-Siemens-Kunststiftung für ihre weitgehende Finanzierung. Mehr als 1000 Anmeldungen zur Ausstellungseröffnung in der Nikolaikirche untermauern die Relevanz des Projekts.
Handfeste Gründe für das ungebrochene Interesse an Schadow gibt es viele. Etwa der großartige Originalkopf eines der Quadriga-Pferde vom Brandenburger Tor. Was heute als skulpturale Bekrönung auf dem Symbol der deutschen Wiedervereinigung prangt, ist eine Rekonstruktion der 1950er Jahre.
Das Stadtmuseum bewahrt das einzige aussagekräftige Fragment des Schadow’schen Originals. Es ist kein Bronzeguss – die Technologie für den Guss von Großbronzen war um 1790 in Berlin nicht verfügbar –, sondern ein vom Kupferschmied Emanuel Jury nach Schadows nicht erhaltenem Holzmodell in Kupferblech getriebenes Unikat.
Dessen Fragilität kommt noch in den geflickten Einschusslöchern von 1945 zum Ausdruck. In der Ausstellung gewinnt dieser an sich banale Pferdekopf zusammen mit Karikaturen und Flugblättern der Besatzerzeit zwischen 1806 und 1814, als Napoleon Schadows Quadriga nach Paris entführen ließ, eine bedrückende politische Fallhöhe.
Es sind Trouvaillen wie diese, die die Kuratoren Claudia Czok, Jan Mende und Andreas Teltow zur Schadow-Geburtstagsausstellung inspiriert haben. Schätze, die mehrheitlich in den Schauräumen und Depots des Stadtmuseums zu finden waren. Natürlich kann das Stadtmuseum keine Nummernrevue von Schadows Meisterwerken bieten. Aus der Not der nicht verfügbaren und im Ephraim-Palais ohnehin nicht stellbaren Großskulpturen eine Tugend machend, entschieden sich die Kuratoren für einen kulturhistorischen Zugang.
Schadow starb 1850 mit fast 86 Jahren, seine Lebensspanne umfasste die Zeit Friedrichs des Großen bis zu dessen Urgroßneffen Friedrich Wilhelm IV. – Stoff für ein Epochengemälde. In Themenräume gegliedert, rückt in der Ausstellung neben dem 1788 als Nachfolger seines Lehrers Tassaert zum Hofbildhauer berufenen Staatskünstler auch der Familienmensch, Freund, Vereinsaktivist, kulturpolitische Repräsentant und akademische Lehrer in den Blick. Aspekte wie Schadows Mitgliedschaft in der Freimaurerloge „Royal York zur Freundschaft“, die seine Kunst und seine Lebensführung beeinflusst haben, oder die Zusammenarbeit mit der Tonwarenfabrik von Tobias Feilner bieten selbst der kunstwissenschaftlichen Forschung neue Nahrung.
Wiederzuentdecken ist Schadow als großartiger Menschenbeobachter. Als Zeichner beherrschte er alle Stillagen: vom pathetischen Überdruck des Klassizismus über zeitlos-schonungslose (Selbst-)Beobachtungen bis zur liebevoll spöttelnden Karikatur. Unbefangenes – heute würde man sagen: freies – Zeichnen ohne Hintergedanken an die Nachwelt bildete zunächst ein Gegengewicht zu offiziellen bildhauerischen Großaufträgen und nach 1815 eine willkommene Ablenkung vom eigenen Bedeutungsverlust. Nach den Befreiungskriegen war Schadows Ruhm, so das oft kolportierte Bonmot, in Rauch aufgegangen.
Die überschaubare Zahl dreidimensionaler Bildwerke in der Ausstellung lädt zum umso gründlicheren Betrachten ein. Als Meister erotischer Anmut deutet Schadow mythologische Szenen wie „Bacchus tröstet Ariadne“ (1802/04) im Sinne allgemeingültiger Paardynamik aus. Wer vom Ephraim-Palais über die Poststraße hinweg zum Knoblauchhaus wechselt, kann neben der Kabinettausstellung „Schadows Berlin“ weitere Arbeiten des Meisters entdecken. 1819 modellierte Schadow nach dem gemeinsamen Genuss einer Flasche Krimweins die Büste des Stadtgerichtspräsidenten Carl August Gerresheim zu dessen 50. Dienstjubiläum. Die ausgestellte Marmorfassung würdigt einen jovialen Greis.
Empathie heißt das Zauberwort zum besseren Verständnis dieses epochal zugewandten Werks. Der Literaturwissenschaftler Conrad Wiedemann prägte für die in Berlin so folgenreiche Geisteshaltung der Zeit um 1800 den Begriff „Berliner Klassik“. Johann Gottfried Schadow war ihr großer Menschenbildner.
Ephraim-Palais, bis 29. Juni, Begleitbuch 12 Euro.
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