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Ganz old school: Nick Cave
© Chloë Thomson

Nick Cave auf der Berlinale: Steuermann Nick Cave

Nick Cave ist schon 20.000 Tage alt - und von eben jenem Tag handelt seine Pseudo-Doku „20.000 Days on Earth“. Darin sinniert der "Bad Seeds"-Frontmann über die alten Tage und macht so eine Witzeleien. Besser noch: Endlich wird deutlich, wer Caves tatsächliches musikalisches Vorbild ist.

Einmal muss er heftig grinsen, da ist die Pose der Ernsthaftigkeit, die wegen der buschigen Augenbrauen so leicht mit Grimmigkeit verwechselt wird, plötzlich futsch. Wer Unwahrheit verbreite, könne dadurch auch viel Wahres vermitteln, hat Nick Cave soeben behauptet. Und dann gemerkt, dass dieser Satz überhaupt keinen Sinn ergibt: „Sorry, war mir gerade so eingefallen.“

Nick Cave, Musiker, Schriftsteller, Alternative-Gottheit, ist im Hyatt, um seinen Film „20 000 Days on Earth“ vorzustellen. Der handelt vom exakt 20 000. Tag seines Lebens. 54 musste Cave dafür werden. Der Ablauf des Tages ist fiktiv und besteht aus einigen wenigen Erledigungen in und um Brighton, Caves Lebensmittelpunkt, dem dauerverregneten südenglischen Küstenort. Zwischendurch sieht man, wie seine Band Stücke des aktuellen Albums „Push the Sky away“ probt.

Obwohl der Film von Iain Forsyth und Jane Polland nur vorgibt, eine Doku zu sein, schenkt er tiefe Einblicke in Caves Biografie und Gedankenwelt. Denn zur Handlung gehören auch ein Besuch beim Therapeuten und im – natürlich ebenfalls fiktiven – Nick-Cave-Archiv, in dem er alte Dias an die Wand wirft und Tonspuren abhört. Wenn der Musiker über seine Heroinerfahrungen oder den frühen Tod des Vaters spricht, beides ist wirklich passiert, erlebt man einen aufgeräumten und mit der Welt sichtlich versöhnten Nick Cave.

Was diese Pseudo-Doku auszeichnet: Sie ist herrlich unaufgeregt. In Rock-Dokumentationen wird ja gern gehetzt, ein übertriebenes Unterwegs-Sein zelebriert. Wer am Tag nicht wenigstens 2000 Kilometer im Tourbus zurücklegt, hat praktisch nicht gelebt. Wenn Cave dagegen in seinen Jaguar XJ steigt, schaltet er erst erstmal das Radio an und wieder aus, bevor es losgeht. In der Geschichte des Konzertfilms haben sich höchstens Sigur Rós in ihrem 2007er „Heima“ noch weniger bewegt – aber die sind sowieso unerreichbar, was Regungslosigkeit betrifft.

Auf seinen kurzen Fahrten von einem Termin zum nächsten unterhält sich Cave mit geisterhaft zu- und aussteigenden Mitfahrern, Menschen, die ihn im wahren Leben wenigstens zeitweise begleitet haben. Blixa Bargeld zum Beispiel, 20 Jahre lang Gitarrist von Caves Band Bad Seeds. Im Film verrät der Neubauten-Frontmann den Grund für seinen Ausstieg 2003: Es sei ihm schlicht unmöglich gewesen, gleichzeitig eine Ehe zu führen und in zwei Bands zu spielen. Cave erwidert, er höre hin und wieder die alten Platten und denke sich jedes Mal: Verdammt, warum hat uns damals niemand gesagt, dass unsere Stücke alle viel zu lang sind!

Im Berliner Hyatt behauptet Cave auch, dass er bis zum Filmdreh im Auto tatsächlich nicht wusste, warum Blixa Bargeld vor zehn Jahren die Band verließ. Der habe einfach eine zweizeilige Mail geschrieben, „das war’s“.

Popsängerin Kylie Minogue tritt ebenfalls auf. Beide haben sich gegenseitig eine Menge zu verdanken: Cave ihr seinen bis heute einzigen Mainstream-Hit, das düstere Duett „Where The Wild Roses Grow“ von 1995, sie ihm einen Imagewandel hin zur ernsthaften Künstlerin.

Während Cave so dahinfährt und plaudert, wird einem irgendwann bewusst, dass das einzige durchgehende Element des Films das metronomgleiche Schwenken des Scheibenwischers ist. Selbst auf der Landstraße bleibt Cave im Takt.

Ja, der Film hat auch humorige Stellen. Vor allem beim Jammen im Studio: Da meint etwa Warren Ellis, Caves aktuell wichtigster Begleitmusiker, er habe da „etwas Bekanntes“ rausgehört. „Vielleicht Tim Buckley?“, fragt Cave. „Nein. Ich glaube, es war ,All night long’ von Lionel Richie.“ Schon wieder wird gegrinst.

11.2., 22.30 Uhr (Cinestar), 12.2., 22 Uhr (Cinestar IMAX), 15.2., 15.30 Uhr (Colosseum)

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