Eröffnung der Documenta: Steinmeier: "Griechenland gehört zum europäischen Haus"
Zum ersten Mal eröffnen zwei Staatspräsidenten eine Documenta. Am Vorabend der Eröffnung wirbt Frank-Walter Steinmeier in Athen für den Mut zur Freiheit und zur Demokratie. Auszüge aus dem Redemanuskript.
Es ist nicht das erste Mal, dass ein Bundespräsident die Documenta eröffnet. Aber das erste Mal seit der ersten Weltkunstschau 1955, dass es nicht in Kassel geschieht. Und dass es zwei Präsidenten gemeinsam tun. An diesem Samstag geben Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und sein griechischer Amtskollege Prokopis Pavlopoulos den Startschuss zur Documenta 14. Steinmeier hält sich zu einem zweitägigen Staatsbesuch in Athen auf, es ist seine dritte Auslandsreise – mit hohem symbolischen Wert für das oft angespannte deutsch-griechische Verhältnis und für Europa. Beim gemeinsamen Präsidenten-Essen am Vorabend sprach Steinmeier auch über das Documenta-Motto "Von Athen lernen". Wir zitieren aus dem Redemanuskript:
"Gerade die Kultur kann die unterschiedlichen Perspektiven aufzeigen, die unseren eigenen Blick und die Blicke anderer auf die Welt prägen. Die documenta ist ein solches Forum für Perspektivwechsel und für die daraus entstehenden Kontroversen – und auch wenn sie gewiss keine Komfortzone für Politiker ist: das macht sie wertvoll!
Kontroverse und Mut zum Streit brauchen wir gerade heute, wo die Demokratie an vielen Orten der Welt, auch in unmittelbarer Nachbarschaft Griechenlands, angefochten und herausgefordert wird. Griechenland selbst hat einst – wie wir Deutsche – schmerzlich erfahren müssen, dass die Demokratie verloren gehen kann.
Genau fünfzig Jahre liegt nun jener Putsch zurück, mit dem griechische Militärs 1967 die Herrschaft an sich rissen. Zahlreiche der Griechinnen und Griechen, die in der Folge ihr Land verließen, suchten und fanden Zuflucht in Deutschland. Einige kamen an die Universität Gießen, wo später auch ich studiert habe. So auch Sie, Herr Minister Kotzias – von Deutschland aus beteiligten Sie sich am Widerstand gegen die Militärjunta in Ihrem Heimatland. Wer weiß, vielleicht sind wir – der junge Grieche und der junge Deutsche, die beide einmal Außenminister werden sollten – in den Gängen der Universität oder in den Gassen der Altstadt Gießens damals schon einmal aneinander vorbeigelaufen. Erst als Amtskollegen haben wir uns dann Jahrzehnte später kennengelernt. (...) Nach sieben dunklen Jahren der Diktatur fand Griechenland seinen Weg zurück zur Demokratie – und 1981 in die Europäische Union. Sie, Herr Präsident, haben diesen Weg von Anfang an eng begleitet. Was Sie und Ihre Mitstreiter geleitet hat – hat Konstantinos Karamanlis zusammengefasst: ,Griechenland gehört zum Westen!'
Steinmeier: "Wir schulden den Griechen Dank und Unterstützung"
(...) Heute lasten die Folgen der Eurokrise auf den Leben vieler Menschen in Griechenland. Und als ob das nicht reichen würde, stemmt Ihr Land auch in der Flüchtlingskrise enorme Lasten. Dafür sind wir, die übrigen Europäer, nicht nur dankbar – dafür schulden wir Ihnen Unterstützung und Solidarität. (...) Es geht mir darum, ein Zeichen zu setzen. Ein Zeichen, dass für uns Deutsche Griechenland zum gemeinsamen europäischen Haus gehört. Und dass ich mir eine Europäische Union ohne Griechenland nicht vorstellen kann und mag. Wir wollen, dass die EU der 27 zusammenbleibt und zusammenhält – allen Schwierigkeiten und Differenzen zum Trotz.
Der Bundespräsident zitiert auch eine Mahnung von Perikles
Zwischen Deutschland und Griechenland, so scheint mir, ist in den vergangenen Jahren manches Stereotyp am Werk gewesen. Das deutsch-griechische Verhältnis aber ist dann erfolgreich und gewinnbringend, wenn statt Misstrauen gegenseitiges Vertrauen herrscht, wenn nicht Vorwürfe dominieren, sondern Offenheit und die Bereitschaft, voneinander zu lernen.
Griechenland und Deutschland sind einander weiterhin verbunden – auch durch die Werte und Überzeugungen offener und demokratischer Gesellschaften. Gültig bleibt für jede Gesellschaft die Mahnung von Perikles:
,Wisset, dass das Geheimnis des Glücks die Freiheit, die Voraussetzung der Freiheit aber der Mut ist.' Ja, wir brauchen Mut zur Demokratie! Dieser Rat, den uns ein Urvater der Demokratie genau an diesem Ort hier gab, der bleibt auch zweieinhalbtausend Jahre später relevant. Denn so unverzichtbar sie ist, selbstverständlich ist die Demokratie nicht, und sie war es nie: Das wissen doch gerade wir Deutsche und Griechen, und danach wollen wir handeln!" (Tsp)