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Ein Eindruck von der Neuhardenberg-Nacht, die mit ihrem vielfältigen Programm zu den Höhepunkten der Kulturfestreihe zählt.
© Andreas Beetz

Stiftung Schloss Neuhardenberg: Start in die neue Saison

Das Ensemble ist Ort preußisch-deutscher Erinnerungen - und zugleich Schauplatz lebendiger Weltkultur.

Die großen symbolischen Orte der Erinnerungskultur kann jeder auswendig aufsagen: Venedig und Paris, Prag und Berlin. Und auch manche kleineren haben es zu Dauerplätzen im Bildungsbewusstsein gebracht: Bayreuth und Weimar etwa. Aber es gibt auch Überraschungsplätze zu entdecken, die sich nicht in den Must-see-Listen des Kulturtourismus finden. Und gerade sie können, weil es etwas zu entdecken gilt, zu wirklichem Erkenntnisgewinn führen und ans Herz wachsen – gerade weil sie abseits der ausgetretenen Trampelpfade liegen.

Theodor Fontanes Wanderungen in der Mark Brandenburg leben vom Zauber solcher Entdeckungen. Der Berliner UmlandErkunder suchte vor 150 Jahren nach Schauplätzen, wo sich bedeutende Ereignisse, interessante Persönlichkeiten und weitgespannte geschichtliche Linien auf widersprüchliche Weise schnitten und damit Erinnerungswürdigkeit auch für scheinbar unspektakuläre Plätze schufen. Darum findet sich auch Neuhardenberg schon in Fontanes Bestseller.

Aber wie sehr wäre der märkische Entdeckungsreisende erst heute fasziniert. Denn Neuhardenberg hat seit drei Jahrzehnten eine Wieder- und Neugeburt erlebt aus Motiven, die in seiner älteren Geschichte nicht alle angelegt gewesen waren. Neuhardenberg ist ein faszinierender Beweis für die Kraft der Geschichte, ihre Richtung zu ändern. Dass in alten Gehäusen ganz neue Ideen blühen können, dass vielleicht erst aus einer Reibung zwischen Tradition und Innovation die stärkste kulturelle Produktivität erwächst: Darüber lässt sich am Exempel Neuhardenbergs trefflich spekulieren.

Alles hat dort so begonnen, wie an tausend anderen Plätzen Brandenburgs, ja ganz Mitteleuropas. Land und Herrschaft waren eins: Das Band, das alles Geben und Nehmen zusammenhielt, war das Lehensprinzip. Nur auf Zeit galt Besitz; Todesfälle, fürstliche Gnade oder Ungnade konnten alle Verhältnisse ändern.

1348 erscheint "Quilicz" zum ersten Mal in den Urkunden

1348 erscheint der Ort zum ersten Mal in den Urkunden als Quilicz, wo sich drei aristokratische Rittergüter finden. 1681 kaufte Kurfürstin Dorothea von Brandenburg-Schwedt die im Dreißigjährigen Krieg ruinierten Güter auf. 1762 fiel Quilitz durch einen Todesfall an die Krone zurück und wurde Verfügungsmasse des preußischen Königs.

Und jetzt geschieht zum ersten Mal, was sich noch mehrfach wiederholen wird: Die große, dramatische europäische Geschichte wirft ihr flackerndes Licht auf den vorher bedeutungslosen Platz. 1742 ist der junge König Friedrich II. zu seinem „Rendezvous mit dem Ruhm“ aufgebrochen. Er hat mit der vom Vater geerbten Riesenarmee Schlesien erobert. Zwanzig Jahre dauert der Selbstbehauptungskampf der ehrgeizigen neuen Macht Preußen um den Platz an der Sonne. Aber Friedrich scheitert katastrophal. Am Ende wäre er beinahe selbst in Gefangenschaft geraten. Gerettet hatte ihn ein Husaren-Rittmeister, Joachim Bernhard von Prittwitz, der auf seinem Schimmel heransprengte und Friedrich den Weg zur Flucht freischlug.

1762 schenkte der König aus Dankbarkeit seinem Retter die Herrschaft Quilitz. Der Schimmel fand ein Ehrengrab im Schlosspark. Denn ein Schloss wurde nun aus dem Gutshaus, Prittwitz hatte Sinn für architektonische Repräsentanz und wurde nur durch kritische Worte Friedrichs II. am Bau eines zweiten Stockwerks gehindert.

Zum zweiten Mal in die große (Kunst-)Geschichte hineingezogen wurde der Ort im Gefolge des Weltkriegs um 1800. Die französische Revolution hatte das Europa der Monarchien über den Haufen geworfen. Im Herbst 1806 kapitulierte Preußen vor der Übermacht Napoleons. Die preußischen Reformer Graf Hardenberg und Freiherr vom Stein versuchten ihren König davon zu überzeugen, dass nur ein radikaler Neuanfang, eine Adaption der bürgerlich-egalitären Prinzipien innerhalb der Monarchie das Land retten könnte. „Demokratische Grundsätze in einer monarchischen Regierung: Diese scheint mir die angemessene Form für den gegenwärtigen Zeit-Geist.“

Dass eine solche Quadratur des Kreises nicht ganz gelingen konnte, liegt auf der Hand. Aber die „Stein-Hardenberg’schen Reformen“ modernisierten ab 1807 den feudalistischen Militärstaat doch so weit, dass er im 19. Jahrhundert eine Karriere als Hort des wirtschaftlichen Fortschritts machte und der bürgerlichen Gesellschaft und Selbstverwaltung große Chancen einräumte – nicht zuletzt durch die Erfindung des Sparkassenprinzips.

Die beherrschende Figur dieses Prozesses war Karl August von Hardenberg. Kultiviert, weltgewandt, mit politischem Weitblick und diplomatischem Geschick bestimmte er mehrere Jahrzehnte die preußische Politik. Ab 1810 leitete er sie als Staatskanzler. Dank Hardenberg ging Preußen gestärkt aus der großen Existenzkrise nach 1806 hervor. 1814 erhob ihn der König in den Fürstenstand und schenkte ihm die Herrschaft Quilitz – 1811 war sie durch Verkauf an die Krone zurückgefallen. Sie wird ab 1815 auf Wunsch des Königs Neu-Hardenberg heißen.

Karl Friedrich Schinkel kennt den Ort bereits von früher

Der Karriere als Landsitz der preußischen Macht entspricht die Karriere der Architektur und Topografie. Karl Friedrich Schinkel, das Genie des europäischen Klassizismus, der den Ort aus seinen frühesten Berufsanfängen kennt, gestaltet ab 1815 die Kirche, den Park und das Schloss zu einem bedeutenden Bau- und Gartenensemble des preußischen Klassizismus um. Außenproportionen und Innendekors von erlesenem Raffinement machen Neuhardenberg zu einem Juwel der europäischen Kunstgeschichte. Aufstieg und Fall Preußens sind eine historisch verhältnismäßig kurze Erzählung. Auf den Triumph der preußisch- deutschen Reichsgründung 1871 folgte die machtpolitische Hybris, die in den Ersten Weltkrieg führte. Kein Menschenalter später kam die noch größere, noch katastrophalere Hybris NS-Deutschlands, die auch Preußen in den Abgrund riss. Neun Monate bevor die Sowjetmacht auf den Seelower Höhen in der Nachbarschaft Neuhardenbergs den Endkampf um Berlin begann, versuchten die Verschwörer des 20. Juli, die Verbrechensherrschaft Hitlers abzuwerfen. Unter ihnen Carl-Hans von Hardenberg, der sein Schloss zur Konspiration zur Verfügung stellte. Auch seine Tochter Reinhild wirkte mit. Nach dem Scheitern des Attentates versuchte er sich während der Verhaftung in Neuhardenberg zu töten, um sein Wissen in den Tod mitzunehmen. Er überlebte und kam ins KZ; vor dem Todesurteil bewahrte ihn die Befreiung durch die Rote Armee. Zurück in Neuhardenberg erlebte der Graf 1946 die Enteignung in der sowjetischen Besatzungszone.

Aus ihr wurde 1949 die DDR, dem Selbstverständnis nach ein marxistisch-leninistischer Staat. Und das aristokratisch geprägte Neuhardenberg erhielt den Zeitgeist-Namen „Marxwalde“. Aus dem Schinkel’schen Musterort sollte ein sozialistisches Musterdorf werden – samt Flugplatz für die Nationale Volksarmee. LPGs ersetzten die Gutswirtschaft auf den Fluren rund um Schloss und Anger. Das Schloss wurde Schulgebäude und die Hardenberg’schen Andenken verschwanden – scheinbar für immer.

Nach der Wende bekommt Neuhardenberg seinen alten Namen zurück

Aber dann ergriff ein viertes Mal die große Geschichte den kleinen Ort. 1989/90 wehte der Wind des Wandels in Europa territoriale und geistige Blockaden hinweg. Neuhardenberg bekam seinen alten Namen zurück und befand sich nun auf Sichtweite der Hauptstadt des vereinigten Deutschland. Und ein Glücksfall geschah: Ein kultureller Brückenschlag über zwei Jahrhunderte fand statt. Die deutschen Sparkassen erinnerten sich an ihre Ursprünge in den Stein-Hardenberg’schen Reformen, erwarben das Ensemble im Jahr 1997 und machten es zu ihrem Flaggschiff. Sein Kurs konnte nur ein im weitesten Sinne demokratisch-kultureller werden. „Die reine Demokratie müssen wir noch dem Jahre 2440 überlassen“, hatten die preußischen Reformer 1807 geschrieben. Es kam dann doch schneller. Wer nach einem „Bild“ der demokratischen Kulturgesellschaft suchte, der fände in Neuhardenberg ein vorbildliches Phänomen. Vier Jahre lang hat der Deutsche Sparkassen- und Giroverband das von Schinkel 1820 bis 1823 umgebaute Schloss umfassend restauriert. Ein Veranstaltungssaal, Ausstellungsräume und ein Hotel wurden dem Ensemble ergänzend hinzugefügt. Architektur und Innenarchitektur sind von vollkommener Schönheit.

Gleiches gilt auch für die geschmackvolle Rekonstruktion des seit 1945 derangierten Schlossparks und aller Plätze und Sichtachsen. Käme Schinkel des Weges, er hätte seine Freude daran. Wer je Gast in Neuhardenberg war, kommt von dort beschwingt und bereichert um große und kleine ästhetische Erlebnisse zurück. Allein schon die Möblierung mit ihrer Bandbreite zwischen Werken des Klassizismus um 1800 bis zur schnörkellosen Moderne der Gegenwart ist unvergesslich.

Ein aristokratischer Ort wird fundamental demokratisiert

Einer breiteren Öffentlichkeit ist in Deutschland, dem Land der Staatskultur, meistens nicht bekannt, dass die Sparkassen gleich nach der öffentlichen Hand die zweitgrößten Kulturförderer des Landes sind. Sie helfen mit, ein lebendiges, kontrastreiches und aufklärerisches Kulturleben zu beflügeln. Gleichsam exemplarisch dafür hat die vom Deutschen Sparkassen- und Giroverband (DGSV) gegründete Stiftung Schloss Neuhardenberg seit der Eröffnung des Neuen Neuhardenberg ein Programm entfaltet, das gute zeitgenössische Ideen verbindet. Ein aristokratischer Ort wurde fundamental demokratisiert, ein preußischer Ort wurde der Weltkultur gewidmet. Das Politische und das Soziale, das Ästhetische und das Gesellige finden hier zusammen. Wer sich hinbegibt, findet Zeit für schöpferisches Nachdenken und für Begegnungen mit Menschen, denen es ernst ist mit Kultur und gesellschaftlichem Zusammenhalt – und dies an einem der schönsten Plätze Deutschlands. Neuhardenberg war und ist der ideale Raum für leidenschaftliche, den Problemen der Gegenwart gewidmete politisch-kulturelle Diskussionen ohne die kurzatmige Hektik des großstädtischen Polit- und Kulturbetriebs.

Das Programm von Neuhardenberg vereinigt Qualitätsansprüche mit menschlichem Maß. Die Verantwortlichen für die Stiftung Neuhardenberg, zuerst der Generalbevollmächtigte Bernd Kaufmann, dann seit 2015 seine Nachfolgerin Heike Kramer, haben das Kunststück geschafft, den sinnlosen Konflikt zwischen sogenannter „Hochkultur“ und „Avantgarde“ hier und Tradition und Allgemeinverständlichkeit dort erst gar nicht aufkommen zu lassen. Neuhardenberg ist fest verankert in der Sympathie und Zustimmung durch die regionale Gesellschaft.

Für Menschen, die Neuhardenberg schon erlebt haben, ist der Ort „Kult“. Das Schöne daran ist, dass er nichts Exklusives ist, sondern eine Einladung an alle, ihrem Katalog symbolischer Kulturorte auch diesen hinzuzufügen.

Der Autor ist Präsident der Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar und Mitglied des Kuratoriums der Stiftung Schloss Neuhardenberg.

Christoph Stölzl

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