Lee Miller im Martin-Gropius-Bau: Spuren sichern
Mit ihren Kriegs- und Nachkriegsbildern wurde Lee Miller bekannt. Der Berliner Martin-Gropius-Bau zeigt nun das großartige Werk der amerikanischen Fotografin.
Sie hat nur ein schmales Werk hinterlassen. Knapp einhundert Fotografien von Lee Miller sind im Martin-Gropius-Bau ausgestellt, sie füllen zwei der großen, lang gestreckten Räume. Der Besucherweg endet bei einer Aufnahme zweier Besucher im Farley Farm House im Jahr 1955, das Lee Miller mit ihrem Mann, dem Kunsthistoriker und Ausstellungsmacher Roland Penrose bewohnte. Die professionelle Fotografie hatte sie längst aufgegeben, nach dem Ende des Weltkriegs, in dem sie ihre bewegendsten, bleibenden Aufnahmen gemacht hatte.
Es liegt nahe, die Abkehr von der Fotografie als Reaktion auf die furchtbaren Erfahrungen zu deuten, die Miller im besiegten Deutschland gemacht hatte, als sie die Überlebenden und die Toten im Konzentrationslager Dachau sah – und als Kontrast die gut genährten Deutschen, die mit dem eben noch wohlgelittenen Regime nichts mehr zu tun gehabt haben wollten. Diesen schreienden Gegensatz hat sie in Reportagen für die „Vogue“ sowohl mit Fotos als auch mit eigenen Texten dargestellt, deutlicher in der amerikanischen, zurückhaltender in der britischen Ausgabe.
Nahaufnahmen: Lee Miller fotografierte die Toten in den KZs von Buchenwald und Dachau
Lee Millers Sohn Antony Penrose berichtet, seine Mutter sei in den KZs von Buchenwald und Dachau „in einem eisigen Panzer aus Hass und Wut herumgelaufen“. Sie geht nah heran, so nah, wie es der Kriegsreporter Robert Capa immer gefordert hatte. Sie zeigt die Leichen der eben noch von den Wachmännern zu Tode gebrachten Häftlinge, denselben Wachmännern, die sie blutüberströmt nach ihrer Festnahme zeigt. Wenn sie sich nicht selbst umgebracht haben wie jener SS-Mann, dessen Leiche nun im Wasser treibt. Sie zeigt die Leichenstapel mit den GIs, die halb nachdenklich, halb fassungslos auf das Grauen blicken. Sie hatte zuvor, bei der Einnahme von Leipzig, die durch eigene Hand umgekommene Familie des Bürgermeisters in dessen Amtszimmer im Rathaus aufgenommen, während ihr Kollege und Begleiter während des Krieges, der amerikanische Fotoreporter David E. Scherman, in die Hocke geht, um den besten Bildausschnitt zu finden.
In St. Malo war Lee Miller in die heftigen Kämpfe bei der Eroberung der als uneinnehmbar geltenden deutschen Festung geraten, dabei wurde auch die geheim gehaltene Waffe Napalm eingesetzt. Die betreffenden Fotos wurden zensiert. Dass sie überhaupt an die Front gekommen war, verdankte Lee Miller ihrem forschen Auftreten und ihren Französischkenntnissen. Die Briten ließen keine weiblichen Reporter zu, erst die Amerikaner akkreditierten immerhin sechs Frauen, darunter Miller und die durch ihre erfolgreichen Buchpublikationen besser bekannte Margaret Bourke-White.
Einen Namen als Reportagefotografin hatte sich Miller in London gemacht, mit ihren Aufnahmen vom „Blitz“, den traumatischen Bombardements der deutschen Luftwaffe. Da zeigte sie Frauen, die als Hilfsfeuerwehrleute eingesetzt waren; zwei Millionen Frauen übernahmen Arbeiten von Männern, die als Soldaten an die Front geschickt wurden. Der Foto-Chef des „Vogue“-Verlags Condé Nast, der gebürtige Luxemburger Edward Steichen, war ein einflussreicher Fürsprecher Lee Millers.
Für die britische "Vogue" begann Lee Millers große Zeite als Reportagefotografin
Im Jahr 1907 nicht weit von New York geboren, begann Lee Miller ihr Berufsleben mit zwanzig Jahren als Model – eben für „Vogue“. Nach nur zwei Jahren ging sie nach Paris, dort fand sie Zugang zum Kreis um Man Ray, zu den Surrealisten. Sie fotografierte fortan surrealistisch. Die im Gropius-Bau ausgestellten Aufnahmen aus diesen Jahren machen die Hälfte des gezeigten Œuvres aus. Mit Man Ray verband sie eine sowohl berufliche als auch private Beziehung, ehe sie, die überraschende Entscheidungen liebte, nach New York zurückkehrte und ein eigenes Studio eröffnete. Auch das war nicht von langer Dauer, sie heiratete einen wohlhabenden Ägypter und zog mit ihm nach Kairo. Als sie Roland Penrose in Paris kennenlernte, reiste sie mit ihm um die halbe Welt, ehe sie gemeinsam in London lebten. Der Krieg zog herauf, die Lebensbedingungen im England der Vorkriegszeit waren alles andere als berauschend. Für die britische „Vogue“ begann ihre große Zeit als Reportagefotografin. Doch ihre Bildsprache ist nach wie vor vom Surrealismus geprägt, nur dass sie das Surreale jetzt nicht mehr arrangieren muss, sondern in den zuweilen grotesk wirkenden Verwüstungen der Stadt findet.
Lee Miller hielt die allzu schnell verwischten Spuren der Nazi-Zeit fest
Ihre besten Aufnahmen stammen aus der kurzen Spanne an und nach dem Ende des Krieges, da besuchte sie München und Wien und hielt die allzu schnell verwischten Spuren der Nazi-Zeit fest. Berühmt wurde die Aufnahme, die Kollege Scherman von ihr macht: wie sie in der Badewanne von Hitlers Münchner Wohnung sitzt. „Nicht das Außergewöhnliche, sondern das Banale und Durchschnittliche standen im Vordergrund“, heißt es dazu im informativen Katalog. Banaler als mit dem Badezimmer Hitlers konnte man das NS-Regime kaum darstellen. Eindrucksvoll dann ihre Wien-Bilder, aus einer halb zerstörten, bitterarmen Stadt, in der ihr Mitgefühl allein den Kindern im Heim galt, die sie mit großer Empathie fotografierte.
Warum Miller ihre Arbeit danach vollständig abbrach und bis zu ihrem Tod 1977 nie wieder fotografierte, ist wohl nicht vollständig zu klären. Dass sie fortan unter Depressionen litt, steht außer Frage; doch erinnert sich ihr Kollege Scherman Jahrzehnte später, sie habe sich während des Kriegs „im siebten Himmel“ gefühlt: „Wenn sie überhaupt eine emotionale Reaktion hatte, dann war es eine nahezu orgiastische Erregung über die Größe der Geschichte. Wann hat man als Journalist schon mal die Chance, so schnell zu fotografieren, wie du kannst, links und rechts, und ein schreckliches, aufregendes, historisches Bild zu machen?“
Lee Miller selbst schrieb im September 1945 ihrem späteren Ehemann Penrose, „ich scheine meinen Biss oder Enthusiasmus verloren zu haben“. Was sie aber fotografierte, überdauert als Zeugnis historischer Momente. So schmal das Werk, so groß doch sein Gehalt.
Martin-Gropius-Bau, Niederkirchnerstr. 7, bis 12.6., Mi–Mo 10–19 Uhr, Katalog, Hatje Cantz, 25 €, Buchhandel: 29,80 €
Bernhard Schulz
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