Art Week: Die ABC Messe ist eröffnet: Spitzenkünstler, Basiswerte
Die Kunstmesse Art Berlin Contemporary setzt mit performativen Arbeiten auf die Leichtigkeit des Seins. Und ein Geldsegen hilft Berlins Projekträumen auf die Sprünge.
Ihre Nester sind verlassen, die Künstler sind ausgeflogen. Björn Braun hat zehn Nester auf hellen Sockeln drapiert und besteht mit ihnen gleich am Halleneingang einen Härtetest: Können ein paar Perlen, Zweige und farbige Drähte gegen Baugerüste, Belüftungsrohre an der Decke und 119 konkurrierende Projekte bestehen? Die Galerie Meyer Riegger zweifelt keinen Moment an der Wirkmacht der winzigen Objekte (je 5000 Euro), die Braun von Zebrafinken fertigen lässt. Ihr Fleiß ist in den kleinen Nestern gespeichert und teilt sich jedem mit, der näher hinschaut. Auch deshalb passen sie zur Art Berlin Contemporary (abc), die sich als Ausstellungsformat mit Messe-Charakter – oder umgekehrt? – im sechsten Jahr locker auf performative, zeitbasierte Beiträge verständigt hat.
Dabei gibt es für die 130 Galerien seit vergangenem Jahr kein festes Thema mehr, nach dem die ausgestellten Arbeiten orchestriert werden. Wohl aber zeichnen sich Strömungen ab. Da sind liquide Arbeiten wie der große, 500 Kilogramm schwere Eisblock von Paula Doepfner (Galerie Tanja Wagner), der von der Decke tropft, während man nebenan ergründen kann, was die Künstlerin in ihre begleitenden Glasskulpturen eingeschlossen hat (je 4900 Euro). Oder die Soundinstallation von Pae White (Galerie Neugerriemschneider), die sich dank unzähliger Lautsprecher über das gesamte Areal verteilt. Alexandra Bachzetsis (Galerie Meyer Riegger) zeigt eine Performance, Diana Sirianni (Galerie Figge van Rosen) hat eine Ecke im hinteren Saal komplett mit ihrem temporären Mobile belegt. Von Anri Sala (Galerie Hauser & Wirth), Andy Hope (Galerie Guido Baudach) und Aino Laberenz stammen mehrere Skulpturen, die mit Christoph Schlingensiefs Operndorf Kontakt aufnehmen.
Statt globaler Wettstreit: In Berlin wird Zukunft gemacht
Dass sich die performativen Arbeiten eher auf der abc sehen lassen als auf anderen Messen, hat mit dem Charakter der Veranstaltung zu tun. Die imposanten Umsätze werden anderswo gemacht. Eine Präsentation ohne die Schwergewichte der Klassischen Moderne und Millionenware von Zeitgenossen wie Gerhard Richter muss sich aus dem globalen Wettstreit heraushalten. In Berlin wird stattdessen Zukunft gemacht. Eine Standmiete von 4000 Euro pro künstlerische Position lädt zum Experiment ein, wie es die Berliner Galerie Veneklasen /Werner wagt: Sie zeigt Michael Williams zum ersten und letzten Mal auf der abc, weil Galerist Michael Werner den jungen Maler nun in sein etabliertes New Yorker Programm aufnimmt. Andere Arrivierte wie Neu, Mehdi Chouakri, Konrad Fischer oder Johnen nutzen das Angebot, um Werke zu zeigen, bei denen die Sammler nicht reflexhaft zugreifen.
Dabei sind mit Santiago Serra, Klaus vom Bruch, Maria Eichhorn oder Tony Oursler viele international renommierte Künstler vertreten. Eichhorns blauer Container (Galerie Barbara Weiss) ist ebenso wenig Wohnzimmerware wie die monumentale Skulptur „Auf Wiedersehen“ (1996) von Olaf Metzel, die die Zerstörungswut von Hooligans auf drastische Weise vorführt: als habe jemand eine halbe, kaputte Fankurve in die Halle gebracht. Der Aufwand dafür und der Preis für die Arbeit (220 000 Euro) müssen von der Berliner Galerie Wentrup allerdings kalkuliert werden. Die abc gehört auf jeden Fall zu den Orten, an denen man solche Wagnisse sehen kann.
Noch etwas klärte sich am Eröffnungstag, der für geladene Gäste reserviert war. Wer dachte, die abc bekäme mit ihrer neuen künstlerischen Leiterin Maike Kruse mehr Messe-Look, der wurde eines Besseren belehrt. „Ist es farbig, ist es groß? Hängt es von der Decke, braucht es Licht?“, lauteten für Kruse die elementaren Fragen der vergangenen Wochen. Nach drei Jahren als Verantwortliche für die Kommunikation der Art Basel und damit der wichtigsten europäischen Kunstmesse sieht sie sich nun wieder in der kuratorischen Pflicht: In Berlin bekommen die Galerien keine Koje zugewiesen, sondern sollen mit einem Künstler eine räumliche Idee zu entwickeln.
So ähnelt die abc erneut mehr einer Ausstellung als einer auf Umsatz getrimmten Messe. Auch die Architektur, eine Konstruktion aus Baugerüsten, unterstreicht ihren provisorischen Charakter. Manche Teilnehmer ordern weiß gestrichene Wände, um ihre Bilder zu befestigen. Andere bringen eigene Aufsteller mit oder nutzen das Gerüst auf raffinierte Art für sich. Oft genug aber erweist sich die grobe Struktur als störend, lenkt ab. Zusammen mit der Nachlässigkeit vieler Details, wo Wände durch Keile gestützt oder Gerüste mit Gewichten beschwert werden, kippt allerdings der Eindruck charmanter Improvisation. Zumindest in diesem Punkt sollte sich die abc an den professionellen Messen ein Beispiel nehmen.
Art Berlin Contemporary (abc), Station Berlin, Luckenwalder Str. 4 - 6, bis 22.9., 12 - 19 Uhr
Parallel zur ABC: Eine Reise zu den Projekträumen und künstlerischen Off-Spaces Berlins
Dass Berlins Attraktivität als Kunststadt nicht nur von den Museen und Galerien ausgeht, ist bekannt. Die Off-Spaces sind vielfach der eigentliche künstlerische Bodensatz, der Startplatz für manche vielversprechende Karriere. Auch der Kulturstaatssekretär weiß um diese zarten Pflanzen, die eher im Verborgenen gedeihen und mit zunehmender Gentrifizierung meist als erste wieder gehen müssen. Ihre Bedeutung für den Kunstbetrieb lässt sich sogar in Zahlen fassen: 50 Prozent der Berliner Künstler haben in einem Projektraum ausgestellt, nur 30 Prozent in einer privaten Galerie.
Höchste Zeit also, den Betreibern solcher Provisorien offizielle Anerkennung zu zollen. Zum zweiten Mal vergibt die Senatskanzlei für kulturelle Angelegenheiten ihren Preis für herausragende künstlerische Projekträume und -initiativen: je 30 000 Euro für sieben Initiativen. Die Verleihung gestaltet sich auch diesmal als Rundreise zu den von der Jury ausgewählten Orten. Der Termin für diesen mobilen Festakt liegt nicht von ungefähr mitten in der Berlin Art Week, mit der die Stadt für sich als Mekka der zeitgenössischen Kunst wirbt. Der Glamour mag den Sammlern gelten, die Basisarbeit muss das restliche Jahr weitergehen. Deshalb hergeschaut!
Wer sich gemeinsam mit Staatssekretär André Schmitz auf Stadtreisen begibt, bekommt eine Ahnung von den 150 Projekträumen, die es in Berlin mindestens gibt, vermutlich sind es mehr. Sie alle eint, dass sie nicht marktorientiert arbeiten, sich selber organisieren, häufig wechselnde Räume bespielen, immer wieder zwischen Ausstellungen, Kursen, Symposien wechseln und spartenübergreifend funktionieren. 90 Prozent der Projekträume werden aus eigener Taschen finanziert, 45 Prozent kommen im Jahr mit weniger als 5000 Euro aus. Man ahnt, wie hoch das ehrenamtliche Engagement der Betreiber sein muss.
Für viele Projekte kommt der Preise gerade zur rechten Zeit
Die 30 000 Euro sichern so manchem Projektraum das Überleben. „Der Preis kommt gerade zur rechten Zeit,“ so Kuratorin Antje Weitzel bei der Entgegennahme der Auszeichnung im Projektraum Uqbar, wo gerade der Film „Off-White Tulips“ von Aykan Safoglu lief. Der türkische Künstler mit Wohnsitz in Berlin hat dafür im Frühjahr den großen Preis der Oberhausener Kurzfilmtage erhalten. Der vor sechs Jahren von einem Frauenkollektiv gegründete Raum im Wedding bietet Platz für Ausstellungen, Workshops und Diskussionen, die sich insbesondere mit Migration, Architektur und Stadt beschäftigen.
Das Zentrum für Kunst und Urbanistik im ehemaligen Güterbahnhof Moabit, in dem neben einem Veranstaltungsraum auch Künstlerateliers eingerichtet sind, wirkt selber gestalterisch in die Stadt hinein. Der Betreiberverein Kunstrepublik konnte den Standort für 40 Jahre pachten und rettete das Gelände so vor schnellem Investoren-Reibach. Wer dort heute auf die Verladerampe tritt, steht unvermutet vor eine große Wiese und entdeckt dann etwas abgelegen eine improvisierte Sauna als Projekt zweier skandinavischer Stipendiaten. Kunst zum Erwärmen, nicht zu erwerben. Nicola Kuhn
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