Berliner Theaterpreis 2012: Sophie Rois: Die letzte Diva
Anstiftung zu grobem Unfug: Die Schauspielerin Sophie Rois erhält den Theaterpreis Berlin 2012.
Es war eine Volksbühnen-Inszenierung alter Schule – im Haus der Berliner Festspiele. Gegeben wurde die Verleihung des Theaterpreises Berlin 2012 an Sophie Rois – diese Protagonistin des Castorf-Theaters, seit 19 Jahren im Ensemble, letzte echte Diva, die Furchtloseste der einst zahlreichen Furien der Volksbühne. Entsprechend mühten sich alle Beteiligten, bloß kein anlassübliches Ehrungspathos aufkommen zu lassen. Subversive Komödie statt Einfühlungstheater im Frack!
Die undankbarste Rolle fiel dabei Klaus Wowereit zu, dem Ratsvorsitzenden der Stiftung Preußische Seehandlung, die den Preis vergibt. Der muss ja noch inmitten des schönsten Theaters die Realpolitik im Blick behalten. Und beschwichtigte daher unter vereinzelten Buhs erst mal die vor der Tür demonstrierenden Ernst-Busch-Studenten.
Aber bitte wieder zu Frau Rois. Die hat ihre Wiener Schauspielausbildung schon eine Weile hinter sich und auf der Bühne einen Stil geprägt, der sich nicht nachahmen lässt. Was sich nicht nur auf ihre berühmte Stimme bezieht, die restheiser bis kreissägenhaft tönt und immer nach Anstiftung zu grobem Unfug klingt. Nein, in ihrer gesamten, so damenhaft-anarchischen Verweigerung gängiger Rollengestaltung durch Gebrauchspsychologie hat sich die Rois von Beginn an übers Gros der Erfüllungsgehilfinnen männlicher Gretchen-Träume erhoben. Wie Komik, Chaoslust und schlicht auch Können bei ihr zusammengehen, das darf man gegenwärtig unter anderem in Herbert Fritschs Inszenierung „Die (s)panische Fliege“ bewundern, die zum Theatertreffen eingeladen ist.
Die Jury hätte keine würdigere Kandidatin wählen können als diese Österreicherin, der Würde auf der Bühne so fremd ist wie der Glaube an die romantische Liebe. Man hat Rois, die selbst in den „Polizeiruf“ Grandezza trägt, ein schön-schräges Fest ausgerichtet. Da tritt Mario Garzaner, einer der Helden aus Schlingensiefs „Freakstars“-Truppe, zu dadaistischen Moderationen von eigener Wahrheit an, ihm zur Seite Volksbühnen-Recke Bernhard Schütz. Dazu singt – auf Wunsch der Rois! – der knabenhelle Staats- und Domchor Berlin Stücke wie „Komm, süßer Tod“, um noch die letzte Heiligkeits-Huberei auszuhebeln.
„Ein Chor irrt sich gewaltig“, so hieß eine der vielen Inszenierungen, die Rois zusammen mit Autor und Regisseur René Pollesch gemacht hat. Der hat sich zur Laudatio bereit erklärt, und die hält er, hypernervös, in unverwechselbar theoriebefeuertem Freigeistduktus („Du belästigst deinen Körper nicht mit Lesbarkeit, nicht mit Sinn“). Und die Geehrte? Zeigt sich erleichtert, denn wie schnell, barmt sie, könnten solche Ehrungen „in Hinrichtungen, Erniedrigungen und Beleidigungen ausarten“. Sie hat es überlebt. Herzlichen Glückwunsch. Patrick Wildermann
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