Die Ingredienzen sind markant: Luzern mit seinem Sommerfestival, Uraufführung im Auftrag der Paul-Sacher-Stiftung, die in Deutschland lebende russische Komponistin Sofia Gubaidulina, 76, ihr Violinkonzert, geschrieben für die Stargeigerin Anne-Sophie Mutter – und die Berliner Philharmoniker unter Simon Rattle.
Ein ausgeklügeltes Programm: Sir Simon kontrastiert Mysterien, indem er Gubaidulinas religiös verwurzelten Bekenntnisstil Ligetis „Mysteries“ in Gestalt dreier Arien aus „Le Grand Macabre“ entgegensetzt, für Koloratursopran (Caroline Stein) und kurioses Instrumentarium (mit Papierknistern, Pfeifen, Schnalzen, Rufen, Schlagwerkartistik). Dem folgt zuletzt Strawinskys „Symphony in Three Movements“: Wie Ligeti ein Opus des musikalischen Witzes, dessen spirituellen Kampfgeist Rattle fast zu kulinarisch sprühen lässt. So gibt der zweite Konzertteil eine Antwort auf den ersten, der mit Brahms’ „Tragischer Ouvertüre“ begann, von den Philharmonikern schwelgend schön gespielt, aber ohne Biss. Legitim vielleicht in Vorahnung auf Gubaidulina.
Die metaphysische Verankerung der Komponistin prägt auch ihr zweites Violinkonzert – das erste hob Gidon Kremer in den Achtzigern aus der Taufe. Die konventionell-expressiven Mittel sind noch plastischer eingesetzt, die Klangsphären radikaler: „feurig-knisternde“ Cembalofarben, dunkles Timbre in einer Partitur ohne Geigen, Effekte wie Peitschenknall, Glockenspiel und Wagnertuben.
Die Botschaft? Es ist ein Konzert um die „sophia“, die Göttin der Weisheit, geschrieben von Sofia für Anne-Sophie: fünf Episoden evozieren Bedrohung und Sieg der Heiligen Sophia in Gestalt einer sublimen und raffiniert virtuosen Sologeige. Maßgeschneidert für Anne-Sophie Mutter, als wär’s ein Stück von ihr: makellos intonierend, mühelos, aber intensiv, gezügelt im Ausbruch, im Lyrischen betörend, schön, kühl und kaum wirklich persönlich. Fast scheint dieses Violinkonzert der derzeit wohl berühmtesten Komponistin säkularer zu sein als frühere Werke. Als dächte Gubaidulina hier in Kunstbegriffen, indem sie ein Violinkonzert über die Idee des Solokonzerts schreibt.
Die Komponistin nennt das Werk „in tempus präsens“ – für die Gegenwart. Das Schicksal der Weisheit im Hier und Jetzt, gipfelnd in 40 orchestralen Schlägen, in der Verabsolutierung des einen wiederholten Tones, der das Unvergängliche manifestiert? Das Publikum applaudiert begeistert. Georg-Albrecht Eckle
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