Churchill: So groß mit Hut
Churchills weltgeschichtliche Stunde schlug vor 70 Jahren. Überraschenderweise waren seine hartnäckigsten Gegner nicht die Nazis, sondern Literaten der Bloomsbury Group.
Seine Markenzeichen sind die Zigarre und der Bowlerhut. Damit hat es Winston Churchill zum Maskottchen von Widerstandsgeist und Siegeszuversicht gebracht. Seine zum Victory-Zeichen gespreizten Finger und die „Blut, Schweiß und Tränen“–Rede gehören bis heute zur gerne zitierten Polit-Folklore. Genau genommen hatte Churchill in seiner ersten Ansprache als Premierminister vor dem britischen Unterhaus gesagt, er habe „nichts zu bieten außer Blut, Mühsal, Tränen und Schweiß“. Churchill kündigte Opfer an und löste Begeisterung aus. Mit schonungsloser Ehrlichkeit, das ist die Lehre seines Jahrhundertappells an nachfolgende Politiker, lassen sich am Ende sogar Weltkriege gewinnen.
Vor siebzig Jahren, im Sommer 1940, schlug Churchills weltgeschichtliche Stunde. Deshalb feiert ihn der „Spiegel“ jetzt in einer Titelgeschichte als den „Mann, der Europa rettete“. Im Mai überrollten deutsche Panzer Holland, Belgien und Luxemburg, im Juni kapitulierte Frankreich. Im August bombardierten deutsche Flugzeuge London, die Luftschlacht um England begann. Hitlers Friedensangebote wies Churchill zurück, mit „diesem üblen Menschen, dieser Missgeburt aus Neid und Schande“, wollte er sich nicht einlassen. Fast anderthalb Jahre, bis zum Kriegseintritt der Sowjets und Amerikaner, stand England allein gegen Deutschland.
„In den Jahren 1940 und 1941 war Churchill der Mann des Schicksals“, hat Sebastian Haffner festgestellt. Genussvoll zeichnet der „Spiegel“ das Bild eines regierenden Exzentrikers, der sich den Staatsgeschäften auch ausgestreckt widmet: „Da liegt er dann im roten Morgenmantel auf seinem Himmelbett, kaut an einer Zigarre und diktiert einer Sekretärin Vermerke, die oft den Hinweis tragen ,Action This Day‘“. So stilisiert das Nachrichtenmagazin den Krieg zum Zweikampf: Churchill gegen Hitler, der Sohn eines Lords gegen einen gescheiterten Kunstmaler, Moralist gegen Monster.
Aber es gab noch andere ideologische Schlachten, die Churchill auszukämpfen hatte. Seine hartnäckigsten Gegner waren überraschenderweise nicht die Nazis, sondern die Literaten der Bloomsbury Group. Die Mitglieder des Intellektuellenzirkels, darunter Virginia und Leonard Woolf, E. M. Forster, Roger Fry, Lytton Strachey und John Maynard Keynes, verachteten Patriotismus und Staatsdienst, sie warben für ein friedfertiges Weltbürgertum und das gut gelebte private Leben. Vor allem aber wollten sie anders als Churchill nicht daran glauben, dass Krieg und menschliche Aggression quasi naturgegebene Bestandteile der Weltordnung seien.
In der Augustausgabe der Kulturzeitschrift „Merkur“ schildert der amerikanische Politologe Algis Valiunas die Scharmützel zwischen den Bloomsberries und dem Staatsmann (und späteren LiteraturNobelpreisträger). Die Abneigung ging zurück auf den Ersten Weltkrieg, als Churchill als Marineminister die blutig gescheiterte Landung einer alliierten Streitmacht bei den Dardanellen zu verantworten hatte. E. M. Forster schrieb den Dialog „Our Graves in Gallipoli“, in dem zwei tote Soldaten Anklage erheben gegen „Churchill Löwenherz“. Und Virginia Woolf erinnerte sich in ihren Memoiren süffisant an eine Begegnung mit dem Politiker in vollem Ornat, „sehr rosig, ganz goldene Spitzen und Orden, auf dem Weg zum Buckingham Palace“. Churchill war für sie nichts als ein Imperialist, Militarist und Macho. „Wofür soll man kämpfen?“, hat Valiunas seinen Essay überschrieben, für ihn ist klar, dass es sich – auch im Hinblick auf aktuelle Konflikte – lohnt, anzutreten gegen „einen unversöhnlichen und unzivilisierten Feind“. Man kann sich dabei allerdings auch blamieren. George W. Bush ließ eine Churchill-Büste in seinem Oval Office aufstellen.
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