Daishin Kashimoto: So früh auf dem Olymp
Die Geige spielt er, seit er drei ist. 2009 wurde Daishin Kashimoto Konzertmeister der Berliner Philharmoniker.
Der mythische Moment im Leben eines jeden Geigers reicht weit zurück in die Kindheit. Es ist der Augenblick, in dem er erstmals sein Instrument in die Hand nimmt, der Zeitpunkt, mit dem später seine offizielle Musikerbiographie beginnen wird. Jung muss er (oder sie) sein, natürlich, sehr jung. Die gedrehte Hand, die Knochen, all das ist bei Kindern noch formbar. Sieben Jahre, fünf Jahre. Daishin Kashimoto, geboren 1979, toppt das noch. Er war drei, als ihm seine Eltern in Tokio die ersten Instrumente zeigten: eine Klarinette, eine Flöte, eine Geige.
Letztere gefiel dem Knirps am besten, weil auch noch ein Bogen dazugehörte – das waren also gleich zwei Dinge, mit denen sich prima spielen ließ. Wer hätte damals ahnen können, dass ihn sein Lebensweg bis auf die Position des ersten Konzertmeisters der Berliner Philharmoniker führen würde? Beim „intonations“–Festival wird Daishin Kashimoto zwei Mal auftreten. Er spielt Karol Szymanowskis „Drei Mythen für Violine und Klavier“ op. 30 (zusammen mit dem Pianisten mit Jonathan Gilad) sowie Robert Schumanns Klavierquartett op. 47 (mit Elena Bashkirova, Nobuko Imai und Ludwig Quandt).
Zurück ins Tokio des Jahres 1982. Der kleine Daishin hat schon mit drei Jahren täglich 15 Minuten geübt. „Natürlich habe ich nicht richtig gespielt“, erzählt er, „aber mich mit dem Instrument beschäftigt, und darum ging es.“ Als das Talent des Sohnes immer stärker hervortritt, schränkt die Mutter, eine Pianistin, ihre eigenen Auftritte immer weiter ein, um ihn zu unterstützen. Dann wird der Vater, Angestellter eines großen Reederei-Konzerns, mit der Familie nach New York versetzt, Daishin ist fünf.
„In jeder professionellen Biografie steckt viel Zufall“
Plötzlich liegt die legendäre Juilliard School in greifbarer Nähe. Im Alter von sieben Jahren beginnt Daishin Kashimoto dort an einem „Pre-College“ zu studieren. Mit elf Jahren geht es dann nach Deutschland an die Lübecker Musikhochschule, später setzt er sein Studium in Freiburg bei Rainer Kussmaul fort – der zu dieser Zeit die Position des ersten Konzertmeisters der Berliner Philharmoniker innehat. Dass Daishin Kashimoto einmal zu seinen Nachfolgern gehören würde, war trotzdem keine Selbstverständlichkeit.
„Rainer Kussmaul hat mich nie in diese Position gedrängt“, sagt er, „aber als klar wurde, dass ich mich bewerben würde, hat er mich sehr unterstützt.“ Auch sein Freund Guy Braunstein, mit dem Kashimoto viel kammermusikalisch auftritt, hat ihn ermuntert, sich zu bewerben. Braunstein war bis vor Kurzem ebenfalls erster Konzertmeister der Philharmoniker.
Dann das Vorspiel in Berlin: Selbst für einen erfahrenen Musiker – der Daishin Kashimoto damals natürlich schon längst war – ist das ein haariges Erlebnis. „Da sitzen 80 Menschen in einem Saal, der 2300 Plätze hat, und hören dir extrem kritisch zu. Du hast fünf Minuten, um zu zeigen, was du kannst.“ Sein Können hat die Musikerkollegen bekanntlich überzeugt, seit dem 1. September 2009 gehört er einem der besten Orchester der Welt an. Und sagt: „All das war nie von Anfang an so geplant. Es hätte auch ganz anders kommen können. In jeder professionellen Biografie steckt viel Zufall.“
Jetzt also Karol Szymanowski
Vielleicht ist es typisches asiatisches Understatement. Kashimoto jedenfalls beteuert, dass er vor allem deshalb nach Deutschland gekommen sei, um das europäische Repertoire kennenzulernen. Er hat in den neunziger Jahren viele Preise gewonnen, darunter 1993 den 1. Preis der Menuhin Junior International Competition, 1994 den Violinwettbewerb Köln, 1996 den Fritz Kreisler Wettbewerb Wien. Er tritt mindestens ebenso viel solistisch auf wie mit den Philharmonikern, hat mit dem Boston Symphony Orchestra, den Symphonieorchestern des Bayrischen und Hessischen Rundfunks oder der Staatskapelle Dresden gespielt.
Und dieses Jahr eine neue Aufnahme veröffentlicht: auf vier CDs, alle zehn Sonaten für Violine und Klavier von Ludwig van Beethoven (mit dem Pianisten Konstantin Lifschitz als Partner). „Natürlich könnte man sich fragen: wozu? Diese Stücke sind so oft eingespielt worden“, sagt er. Und doch sei es jedes Mal einmalig, keine Endstation. Sondern im wahrsten Sinne des Wortes eine Momentaufnahme. Elena Bashkirova, die das „intonations“-Festival leitet, kennt Daishin Kashimoto schon lange.
2009, in dem Jahr, als er Mitglied der Berliner Philharmoniker wurde, hat er beim Festival in Jerusalem zum ersten Mal mitgemacht. Und hätte gerne auch dieses Jahr mehr gespielt als nur zwei Stücke. Die Zeit ließ es nicht zu. Jetzt also Karol Szymanowski. Der ist in seinem Heimatland sehr populär. In Deutschland dagegen wird seine Musik nur selten aufgeführt, obwohl Polen so nahe liegt. In den „Drei Mythen“ op. 30 hat Szymanowski mythische Figuren vertont. „Wunderbare Farben, nicht unbedingt analytisch, viel Atmosphäre“, erklärt Daishin Kashimoto die Wirkung des Werkes. „Man kann kaum glauben, dass das mitten im ersten Weltkrieg komponiert wurde.“
Als Konzertmeister der Berliner Philharmoniker darf man sich durchaus auf dem Olymp wähnen. Den hat er früh, mit 30 Jahren, erreicht. Wie lange bleibt man dort oben? Wann ist es genug? Was kommt danach? Natürlich ist Daishin Kashimoto, trotz seiner langen Zeit in Deutschland, viel zu sehr Japaner, um auf diese Fragen konkret Antwort zu geben. „Das muss jeder für sich selbst wissen“, sagt er. Und lächelt mit jener sybillinischen Freundlichkeit, die alles offen lässt.
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