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Kultur: Slavoj Zizek: Ein Blitzeschleuderer

Dass man ihn einen Modephilosophen nennt, stört ihn nicht. Mit Mode hat dieser Mann ohnehin nichts zu tun.

Dass man ihn einen Modephilosophen nennt, stört ihn nicht. Mit Mode hat dieser Mann ohnehin nichts zu tun. In Pullover und Jeans tritt er auf, bärtig, strubbelig, der Typ eines progressiven Dozenten der Siebziger Jahre. Auch, dass er als philosophischer Entertainer bezeichnet wird, ist Slavoj Zizek egal. Gibt man in seiner Denkwerkstatt einen Text in Auftrag, sagt er "Kürzen Sie den Text, wie Sie wollen, egal, ich klebe nicht an jedem Wort." Und aufbrausend: "Nichts ist doch schrecklicher als Narzissten, die auf jedes Komma in ihrem Text fixiert sind!" Er macht es vor, wie einer mit dem Finger die Zeilen absucht und sich über Hier! und Da! erregt. "Terrible types!"

Am Denken von Slavoj Zizek soll man sich reiben können. Das ist die Sache, um die es ihm geht, Reibung, "friction", sagt er auf Englisch, mit slowenischem Akzent. Reibung, das Vorhandensein von widerständiger Materie, die materielle Anstregung der Arbeit, auch der gedanklichen Arbeit. Da liegt ein Verlust, den das digitale Zeitalter schleichend in die Welt bringt, in der "Anstrengungslosigkeit", die die digitale Produktion, das moderne Büroambiente suggeriert und ja auch offeriert. "Real ist", sagt Zizek, "was Widerstand leistet, was wir nicht durch Fantasie formen und verformen können." Die Ambivalenzen und Antinomien von Realitätsverlust und digitaler Realitätskonstruktion interessieren Zizek - "der Cyberspace ist keine Entkörperung - Hardcore Porno-vermittelt sich ja gerade dort am intensivsten!" Im Gespräch mit Zizek ist "friction" ununterbrochen spürbar. Mit einer Art wilder Aufmerksamkeit folgt er einer Frage und bricht zur Antwort auf, noch ehe die Frage auf ihren Füßen steht. Der Denker arbeitet mit vollem Einsatz, manisch sagen manche Kritiker. Englisch, Französisch, Slowenisch und Deutsch spricht der Philosoph und Psychoanalytiker, mit Gesten, Assoziationen und Sprüngen, die erratisch wirken können, gleichwohl ihrer inneren Logik folgen. Der Mann, das stimmt, hat etwas Tobendes, doch ohne böse Wut. Es ist vielmehr Denkwut am Werk, unbremsbare Lust am Verknüpfen von Gedanken, am Blitzeschleudern. So verfasst er Texte in Hochgeschwindigkeit, leitet am kulturwissenschaftlichen Institut in Essen ein Forschungsprojekt, lebt in Ljubljana und unterrichtet als Gastprofessor in New York. Dort belagern ihn die Studenten des amerikanischen Mittelstandes so massiv, dass er zu einer List greift, wenn die Sprechstunden-Wünsche kein Ende nehmen: Er erfindet ein paar Staceys und Grahams, und setzt sie selbst auf die Terminliste, um ein paar Stunden zu blockieren. Mit arglosem Amüsement gesteht er das, und landet Sekunden später bei der Frage, wie der Cyberspace, "ein tendenziell kommunistischer Raum, der allen zugänglich ist", von seinen Betreibern vor allem gegen diese Tendenz geschützt werden muss. "Sie geben mehr Geld dafür aus, das Weiterverbreiten von Informationen zu verhindern, als dafür, diese Informationen zu produzieren." Faszinierend findet Zizek auch ein Symptom für eine mögliche Implosion der hochindustrialisierten Welt: Nicht nur die "blue collars", die Arbeiter, auch die "white collars", die Manager verlieren zunehmend Arbeitsplätze. Irgendwann muss sich das System die Frage stellen: Was nun? Slavoj Zizek interessiert sich für einen Horizont, für den die Gegenwart blind ist. Was, fragt er, wären die Bedingungen der Möglichkeit für eine Gesellschaft jenseits der Warenlogik? Wo zeichnen sie sich ab? Das Denken des 1949 in Ljubljana geborenen Zizek wirkt wie eine Komplizenschaft aus heiterer Arbeit und ernstem Spiel. Die Kollegen in seiner Denkwerkstatt sind die klassischen, wie Marx und Hegel, die psychoanalytischen - ein an Freud geschulter Jacques Lacan - oder die modernen Könige der Unterhaltungsindustrie, wie Hitchcock etwa, dem er seine vor zwei Jahren in Wien erschienene Studie "Ein Triumph des Blicks über das Auge" widmete. Es geht ihm um die globalen Themen Kapital, Arbeit und Entfremdung, Totalitarismus und Utopie. Keines dieser Themen ist tot, ihre Widersprüche und ihre Aufenthaltsorte haben sich nur verlagert, ihre Verhältnisse zueinander sind komplexer geworden. Und neue Instrumente, wie es die von Lacan entwicketen Theorien bieten, verwendet Zizek, um Scharniere zu knacken oder in die feinen Fugen der virtuellen Welt der Technologie einzudringen.

Man könnte sagen: Slavoj Zizek packt die ganze Gegenwart mit ihren Phantasmen, ihrem Begehren - Konsum, Ware, Hightech, virtuelle Bilder - auf seine Marx-Lacan-Couch, hört am Kopfende mit vergnügtem Interesse zu, was da so produziert wird, deutet sich sein Teil, schiebt dann die Couch raus ins Freie, und redet selbst weiter. "Meine Freunde nennen mich Fidel Castro, wenn ich nicht aufhöre zu reden." Er lacht.

Zizeks jüngste Publikation, "Das fragile Absolute" fragt, "Warum es sich lohnt, das christliche Erbe zu verteidigen" - so der Untertitel. "Missverstehen Sie mich nicht", sagt er, "ich bin ein atheistischer Christ." Am Christentum interessiert ihn die Dimension, die der Warenlogik und dem zweckrationalen Denken und Handeln zuwider läuft, das Moment des Subversiven und des Plötzlichen, durch das etwa die paulinische Agape zur Welt kam. Anfang Februar ruft der atheistische Christ in Essen das internationale Symposion "Gibt es eine Politik der Wahrheit" zusammen. Der provokante Untertitel hier: "Rückkehr zu Lenin". Und er freut sich über das Erstaunen.

Am Sonntag um 14 Uhr diskutiert Slavoj Zizek mit Jakob Augstein, Matthias Greffrath und Thomas Ostermeier in der Berliner Schaubühne am Lehniner Platz. Eintritt frei.

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