"Drachenherz" an der Neuköllner Oper: Sind so dicke Eier
Peter Lund verlegt in seinem Musical „Drachenherz“ die Nibelungen-Saga an der Neuköllner Oper in eine Jungsclique von nebenan.
Siegfried heißt jetzt Fred. Und worum es in „Drachenherz“ geht, ist auf dem Weg zur Neuköllner Oper schon auf der Karl-Marx-Straße in echt zu erleben. In Gestalt dreier Kumpels, die sich umkreisen wie erhitzte Partikel. Ganz schnell kippt lockeres Geflachse in aggressives Gerempel. Wenn dann einer ausrastet, fließt Blut. Das muss auf der Bühne auch Fred erfahren, den der muskulöse Newcomer Denis Riffel als lässige Lichtgestalt mit klarem Tenor verkörpert. Fred ist neu in Deutschhagen. Sein Vater leitet das Flüchtlingsheim, in dem der Afrikaner Woda (Ngako Keuni) lebt. Die beiden mischen die örtliche Rumhänger-Clique in Nullkommanichts mächtig auf. Deren Boss heißt Gunter, genannt Günni (Florian Heinke), sein Busenfreund Hagen (Johannes Kimmel), zwei wohlbekannte Namen.
Uraufführung war in Chemnitz
Die Nibelungen-Saga, den mythischen Siegfried in ein Musical zu transferieren, um Männerbilder gegen den Strich zu bürsten: Das kann nur dem unerschrockenen Peter Lund einfallen, der mit den Absolventinnen seines UdK-Musicalstudiengangs jährlich ein Stück entwickelt und darin gern gesellschaftliche Phänomene reflektiert. Die Gruppendynamik, Männerrituale, Fremdenhass und Gewaltmuster beackernde Tragödie „Drachenherz“ (Neuköllner Oper, Karl-Marx-Straße 131-133, 15. Juni bis 21. Juli) wurde nicht von ungefähr im März schon in Chemnitz uraufgeführt.
Mit dem Antiheldenstoff tun sich sowohl Autor Lund als auch sein verdienter Komponist Wolfgang Böhmer allerdings sichtlich schwer. Kein Song zündet unmittelbar, Text wie Handlung ächzen unter akuter Diskursüberfrachtung. Befeuert wird die Musik nicht vom erwartbaren Hip-Hop, sondern von Elektrorock. Nur hat die hinter der spartanisch ausstaffierten Bühne verborgene Band in der ersten Hälfte heftig mit dem breiigem Sound zu kämpfen.
Pogo tanzen und Capoeira kämpfen
Die testosteronsatten, sich bei Boyband-Moves, Pogo-Tanz und Capoeira-Kampf bedienenden Choreografien (Newa Howard) überzeugen dagegen. Ebenso wie die Darstellerinnen von Kriemhild und Brünhild, äh, Jenny und Brüning. Nicola Kripylo und Florentine Beyer rackern nach Kräften gegen das Klischee der guten Blondine und der bösen Brünetten.
Immerhin: Die über dem Stück schwebende Frage, ob die Guten immer sterben müssen, weil die Gemeinen es einfach nicht ertragen, so verdammt klein im Geiste zu sein, ist nach zwei schweißtreibenden Stunden geklärt.