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Kultur: Sie betreten Weltpolitik!

Die Künstlerin Mona Hatoum ist eine Meisterin des Überraschungsangriffs. Ein Atelierbesuch

Mona Hatoum ist Weltbürgerin. Eigentlich war sie es schon, bevor sie geboren wurde. Denn ihre Eltern mussten als palästinensische Christen 1948 Haifa verlassen. Sie fanden eine neue Bleibe im Libanon, wo ihr Vater in Beirut für die britische Botschaft zu arbeiten begann. Dort kam auch Mona Hatoum zur Welt.

Der britische Pass gab ihr die Freiheit zu reisen. Eher zufällig befand sich die junge Grafikerin 1975 auf einem Europatrip, in London, als im Libanon der Bürgerkrieg ausbrach und erst neun Monate später in Beirut wieder der Flughafen geöffnet wurde. Für die 23-Jährige war diese Erfahrung der Auslöser, nicht mehr in ihre Heimat zurückzukehren, sondern in Großbritannien Kunst zu studieren.

Die Unstetigkeit ist ihr bis heute geblieben. Mona Hatoum nennt sich selbst einen „professional residency artist“. Beinahe im Jahrestakt nimmt die mittlerweile hoch gefragte Künstlerin rund um den Globus Gaststipendien an. Nur selten hält es sie irgendwo lang, meist ist sie schon nach zwei Wochen wieder auf Reisen in ein anderes Land. Deshalb ist es auch nicht einfach, sie an ihrem zweiten Wohnsitz anzutreffen. Und doch steht Berlin für ein außergewöhnliches Kontinuum in ihrem Leben. Seit Mona Hatoum 2004 die Einladung vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (daad) für ein Jahr annahm, ist sie mit einem eigenen Studio in Berlin geblieben.

Die Stadt, insbesondere der Wedding, hat es ihr angetan; hier hat sie ihre Wohnung, hier fand sie unweit der OsramHöfe in einem leer stehenden Laden geeignete Atelierräume. Gerade ist sie wieder auf dem Sprung nach London, denn in Berlin sind ihre Ausstellungen in der daad-Galerie und bei Max Hetzler eröffnet. An den Wänden hängen schon die Grundrisse für die kommenden Präsentationen in London und Paris, daneben der Lageplan ihrer gerade laufenden Soloshow bei der XIII. Biennale Donna in Ferrara. Auf einem Tapetentisch steht das Modell des Museums für zeitgenössische Kunst in Vitry. Denn entscheidend für Mona Hatoums bildhauerische Werke ist die räumliche Wirkung.

Noch fliegen ein paar rötliche Flusen auf dem Boden herum, die zum Teppich gehören, der bei Hetzler in den Osram- Höfen auf dem Betonboden liegt. Der kostbare „Afghane“ wirkt stark ramponiert, ganze Teile seines Gewebes fehlen. Erst bei genauerem Hinschauen wird deutlich, dass exakt die Konturen der fünf Kontinente weggescheuert sind. Wer einen solchen Teppich besitzt, sagt dieses Werk, der betritt Weltpolitik. In diesem Spannungsfeld bewegt sich Mona Hatoums Kunst – und auch ihr eigenes Leben. Mit gewöhnlichen Gegenständen, Alltagsobjekten, lockt sie den Betrachter an, der sich prompt auf gesichertem Terrain zu bewegen glaubt. Erst bei näherer Betrachtung sieht er sich mit dem großen Ganzen, einer Ambiguität konfrontiert, die das Gefühl lauernder Gefahr erst weckt.

Mona Hatoum ist eine Meisterin des Überraschungsangriffs. Darin besteht auch die Qualität ihres Werks: Es wird stets physisch spürbar und animiert zum Reflektieren. Wer einmal eine Arbeit von ihr gesehen hat, vergisst sie nicht. Seien es ihre überdimensionierten Käsereiben, die zu messerscharfen Paravents werden, oder das simple Haushaltsgerät – Küchensieb, Bratenwender, Kochtöpfe –, das die Künstlerin knisternd unter Hochspannung setzt, wie in ihrer legendären Installation „Homebound“ für die Documenta XI. Ihre Liebe zu den einfachen Gerätschaften des Haushalts entflammte bei einem Aufenthalt in einer Shaker-Gemeinschaft im US-Bundesstaat Maine Mitte der neunziger Jahre. „Vielleicht steckt dahinter die Sehnsucht nach der fehlenden Häuslichkeit“, sinniert die Dauerreisende, um sogleich jegliche festgelegte Interpretation wieder abzuwehren.

Nein, ihre Kunst will sie keinesfalls biografisch gedeutet wissen, auch wenn ihre Lebensgeschichte dazu herausfordert. Mit den Skulpturen hat sie eine universalere Idee im Sinn. Die Bezüge zum Minimalismus wollen allerdings die wenigsten sehen, ärgert sich die Künstlerin. Dabei stecken sie doch schon im Titel, wie etwa beim „Cube (9 x 9 x 9)“ bezeichneten Metallgeflecht, das Sol LeWitt zitiert. Nur sind da die meisten Betrachter bereits auf den Stacheldraht fixiert, aus dem die Skulptur besteht.

Ursprünglich kommt Mona Hatoum von der Performance-Kunst. Heute hat sie den aktiven Part der körperlichen Erfahrung von sich selbst ans Publikum delegiert. Wer der Künstlerin begegnet und in ihrem Atelier liebenswürdig auf eine Tasse Tee eingeladen wird, käme kaum auf die Idee, dass solche aggressiven Vorstellungswelten in ihr stecken. Doch umgekehrt gibt ihr dieses Wissen um die untergründige Gewalt eine Imaginationskraft, die im Zerstörerischen gerade das Schöne, ja Hoffnungsvolle zu entdecken vermag.

Ihre „Hanging Gardens“ in der daad-Galerie sind dafür das beste Beispiel. Aus einer Wand aus Sandsäcken, wie sie sonst in Kriegszonen zum Schutz aufgeschichtet sind, sprießen grüne Halme. Tatsächlich kann man so etwas im heutigen Irak entdecken. Es sind die „Hängenden Gärten“ unserer Zeit. Im alten Babylon, das sich einstmals dort befand, stellten sie noch eines der sieben Weltwunder dar. Beim Verweis auf die gleich um die Ecke der daad-Galerie aufgeschichteten Sandsäcke am Checkpoint Charlie, mit dem Touristen an Mauerzeiten erinnert werden sollen, wehrt die Künstlerin sofort ab. Nein, nein, das ist zu konkret, daran hat sie nicht gedacht. Darin besteht die Stärke ihrer Werke: dass sie ein Eigenleben führen. Und die Urheberin ist längst wieder andernorts.

Galerie Max Hetzler, Osramhöfe, Oudenarder Str. 16-20, bis 28. Juni,, Di-Sa 11-18 Uhr.

daad-Galerie, Zimmerstr. 90/91, bis 7. Juni, Mo –Sa 11–18 Uhr.

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