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Berliner Ensemble: "Shakespeares Sonette" sind ein Traumspiel

Uraufführung am Berliner Ensemble: Robert Wilson und Rufus Wainwright spielen mit "Shakespeares Sonetten" und erschaffen eine Hommage an drei alte Berliner Schauspieler.

Vergleich ich dich mit einem Sommertag? Vor kurzem ist in Irland ein Porträtgemälde Shakespeares aufgetaucht, zu schön beinahe, um echt zu sein. Nicht mehr das altvertraute, etwas grobschlächtige hedonistische Theatertier blickt uns an, sondern ein nobler Herr mit klugen und zarten Gesichtszügen und einem kostbaren, femininen Kragen aus italienischer Spitze. Das filigrane Bildnis datiert um das Jahr 1610, aus der Zeit, als Shakespeares Sonette im Druck erschienen – jene Sammlung von 154 Gedichten der Liebe, um die sich so viele Geheimnisse ranken. Um den schönen Jungen und die dunkle Dame, die namenlos besungen werden, und den unbekannten Dichterrivalen. Shakespeare in love, doch diese Leidenschaft ist eine Liebe in Gedanken, ein Sturm, der sich in das elastische Korsett der Sonettform fügt; hochdisziplinierte Raserei in vierzehn Zeilen.

Ich seh viel mehr, mach ich die Augen zu. Zuhören, um zu sehen. Und sehen, um zu hören: die klare, kalte, in sich ruhende, gebieterische Stimme der Inge Keller. Profanes nur sehn sie zur Tageszeit; / Doch wenn ich schlaf, erscheinst im Traum mir du. / Traums Dunkelhell erhellt die Dunkelheit. Als spiegele sich Robert Wilsons Lichtmagie in diesen Versen; hier in der Übersetzung von Christa Schuenke und Martin Flörchinger. Es ist nichts anderes als eine gewaltige Transformation von Sprache zu Raum und Klang, was die beiden Amerikaner, der Regisseur Robert Wilson und der Komponist Rufus Wainwright, auf die Bühne des Berliner Ensembles zaubern.

„Shakespeares Sonette“, ein Traumspiel. Eine szenische Übermalung. Vor allem eine Hommage an drei alte Berliner Schauspieler. Gibt es einen deutschen Regisseur, der ein so feines Gespür für die Würde und Schönheit dieser Mimen hat? Man nennt sie Grande Dame oder Ehrenmitglied des Ensembles, man lobt ihre Verdienste über Jahre und Jahrzehnte, doch wer hört ihnen zu? Wer bringt diese Instrumente zum Klingen? Inge Keller, geboren 1923, thront da wie eine Königin der Nacht, ihre fragile Erscheinung strahlt vor Gedankenkraft. Wenn sie spricht, hat man das Gefühl, dass die Wände im BE aus ihrem Schlaf erwachen; und sie haben schon manches gehört und gesehen. Inge Keller verkörpert einen ägyptisch anmutenden Shakespeare, eine ironische Heroine. Jacques Reynaud, der Kostümbildner, hat sie in eine geisterhafte Dichtermaske gesteckt, mit Oberlippenbärtchen. In dieser Erscheinung vibrieren all die Bilder, die man sich von Shakespeare macht – und von seinen Figuren. Inge Keller ist Lear, Prospero, geerdeter Ariel, greiser Hamlet.

Die Dramen treten hinter den Sonetten hervor, denn Wilson inszeniert eine Theaterfantasie. Männer spielen Frauenrollen, und Frauen spielen Männerrollen: Ruth Glöss als Narr. Oder als Puck. Leicht und heiter schwebt sie heran, ihre Augen blitzen, sie trägt nicht schwer an der tiefschwarzen Melancholie dieser Dichtung, die ein einziges Memento mori ist. Ein Lied von Verfall und Vergeblichkeit. Ein süßes Lied, das Jürgen Holtz nicht hören will. Sensationell seine Verpuppung als Queen Elizabeth I. (und II., mit Handtasche!), seine finstere Miene, seine, nein, ihre Übellaunigkeit. Von wegen „Sommertag“! Holtz kotzt das berühmte Sonett No. 18 mit Todesverachtung heraus. Als der Liebespfeil auf ihn zusegelt, unaufhaltsam, unausweichlich, packt ihn stummer, panischer Ekel.

Wilson gelingt etwas Wunderbares: Die luftigen Spielfiguren, die rothaarigen Figurinen flattern und springen, als fühlten sie sich unbeobachtet. Man schaut einer Märchentruppe zu, die sich backstage vorbereitet. Shakespeares Sonette als Privatissimum des Theaters. Sie üben Tragödie. Sie freuen sich an ihrem Überschwang. Sie spielen sich warm, sie spielen sich heiß. Der dicke Cupido von Giorgios Tsivanoglou segelt wie aufgezogen durchs Bild, er ist das Maskottchen eines Ensembles von Engeln auf Durchreise. Ein offener Welttheaterfundus. Die weißen Masken, die rhythmischen Schläge erinnern an das japanische No-Theater, man fühlt sich versetzt in die Zeit, als Ariane Mnouchkine ihre „Les Shakespeares“ in einen orientalischen Zirkus verwandelte. So frei hat Wilson lange nicht assoziiert, seine Bilder spazieren geführt. Und weil in diesem arkadisch-ballettösen Durcheinander auf verblüffende Weise anfangs alles gelingt und alles zueinander passt, sind auch die Peymannam-Telefon-Witzchen komisch, die Georgette Dee als Diva der Zwischenakte von der Rampe schnipst.

Aber dann passiert etwas Schlimmes. Es ist Pause. Und danach ist nichts mehr, wie es vorher war. Dahin der paradiesische Zustand gespielter Unschuld! Vorbei das schwerelose Glück des barockigen Popgesangs, die Aura verblasst. Der Theaterapparat schlägt zurück, man ist in der Realität einer teuren und anfälligen Riesenproduktion gelandet. Quälende Conferencen, wenn hinterm Vorhang schon wieder umgebaut wird. Die Mikroports knarzen und gewittern, es scheint Absicht zu sein: die Zerstörung des Traums. Die Band im Orchestergraben unter der Leitung von Stefan Rager dreht böse auf. Harte Beats. Unangenehm laut. Rufus Wainwright hat vor der Premiere angedeutet, dass dies keine einfache Zusammenarbeit mit Robert Wilson sei. Es sieht im zweiten Teil so aus, als müsse jetzt der Komponist zu seinem Recht kommen. Und man sieht deutlich: Die Aufführung ist am Premierenabend nicht zu Ende geprobt. „Shakespeares Sonette“ zerfällt in eine Nummernrevue, und plötzlich ist ein aggressiver Ton im Spiel, klingt es nach einer bissigen Brecht-Weill-Parodie.

Als einst der Liebesgott entschlummert war / Lag neben ihm sein Herzensflammenbrand. Das letzte der Sonette, No. 154, scheint sich gegen diesen Abend zu wenden, der lange Zeit wie ein Meisterwerk aussah. Der Liebesgott muss in ein tiefes Koma gefallen sein, und sein Gefolge steht neben sich. Theater kann so brutal sein. Eben noch in Himmelssphären schwebend, klebt das Ensemble mit einem Mal am Boden, die reine Spielfreude wird zur Reprise. Von den Bühnenwänden steht nur noch ein Bretterskelett, ein Rohbau. Aus dem großen Baum, um den sich im ersten Teil ein Autowrack wickelt, ist der Baum der Erkenntnis geworden, mit Apfel und Schlange. Die Vertreibung aus dem Paradies ist in vollem Gang.

Seltsame Spiegelungen: Zu den schönsten Erfindungen vor der Pause gehört die Szene, in der ein Liebender, oder eine Liebende, auf einem Riesenfahrrad nicht herabsteigen kann zu dem Objekt seiner Begierde, das auf einem winzigen Kinderdreirad über die Bühne schiebt. Ein zartes, trauriges, schönes Bild. Nachher wachsen da drei gewaltige Tanksäulen aus dem Boden, und drei Tankwarte brüllen sich die Seele aus dem Leib, fuchteln mit Schlauch und Zapfhahn; schlechtes Rockmusical. Und fade Anmache: Georgette Dee lutscht rohe Spargelköpfe, der Zauber ist nur noch faul.

Wenn die Musik der Liebe Nahrung ist, spielt weiter! Gebt mir volles Maß! daß so die übersatte Lust erkrank’ und sterbe. Das berühmte Wort des Herzogs aus „Was ihr wollt“ erfüllt sich bitter gründlich. Erst als Rufus Wainwright zur Verbeugung auf die Bühne kommt, erst als er endlich in Shakespeares Sprache singt, A woman’s face with nature’s own hand painted, kommen noch einmal die Engel zurück.

Wieder am 14., 28. und 29. April.

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Rüdiger Schaper

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