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Lust auf Gewalt. In Charlotte Roches neuem Buch "Mädchen für alles" dreht eine gelangweilte Hausfrau Stück für Stück durch - und krallt sich mal eben die Babysitterin.
© dpa

Neuer Roman von Charlotte Roche: Sex, Schmerz, Schnarch

Über "Feuchtgebiete" wurde viel gestritten. Wie viel literarischer Sprengstoff steckt in Charlotte Roches drittem Roman "Mädchen für alles“?

Irgendwie musste Charlotte Roche schon immer auffallen: um die Jahrtausendwende mit ihrem unkonventionellen Moderationsstil beim längst untergegangenen Musiksender Viva Zwei, dann 2008 durch ihr Romandebüt „Feuchtgebiete“. Wir erinnern uns: Verletzungen im Analbereich, Körperflüssigkeiten und eine Avocado spielten darin die Hauptrollen. Was wurde sie für diese Ode an den Tabubruch, für diesen Abgesang auf die Körperhygiene gescholten! Und wie gut hat sich dieses Buch verkauft! Locker verwies sie Siegfried Lenz mit seiner „Schweigeminute“ und Uwe Tellkamps „Turm“ auf die Plätze.

Roche im Anmarsch: Auf der Frankfurter Buchmesse 2015 präsentiert die Autorin ihren dritten Roman "Mädchen für alles".
Roche im Anmarsch: Auf der Frankfurter Buchmesse 2015 präsentiert die Autorin ihren dritten Roman "Mädchen für alles".
© dpa

Ihr Erfolgsrezept ist zugleich ihr Fluch: Wo Charlotte draufsteht, muss auch Charlotte drin sein. Deshalb darf man auch von ihrem dritten Roman „Mädchen für alles“ keine kunstvolle Figurenzeichnung und erst recht kein sprachliches Niveau erwarten. Zuverlässig aber: den Versuch, mit körperlichen Details und sexueller Offenheit zu provozieren. Gähn! (Um es mal im Ton der Protagonistin zu formulieren.)

Die wohlstandsgelangweilte Christine kann mit Baby Mila, Ehemann Jörg und dem Haushalt nichts anfangen, dafür umso mehr mit Alkohol, Drogen und der jungen Babysitterin Marie. Auf dem Zenit ihrer Lethargie entschließt sie sich – traumatisiert durch die frühe Trennung ihrer Eltern – zu einem blutigen Racheakt an den beiden wiedervereinten Senioren. Das ist auch schon die Geschichte.

Auf mehr als 200 Seiten brabbelt die Protagonistin vor sich hin, ein quälender innerer Monolog, plump-realistisch in seinen Redundanzen und Abschweifungen. Unnötig auch die wiederholten Hinweise auf Christines Neurosen, ihre Bindungsstörung und die zähe Beschreibung motorischer Gewohnheiten, als ginge es um handlungsentscheidende Truppenbewegungen. Es ist wirklich kaum auszuhalten – anscheinend auch für die Protagonistin, die sich ständig „am Riemen reißen“ will und sich selbst gut zuredet. „Ach, Chrissi.“ Ach, Charlotte. Die Dame des Hauses ist kräftig gestört, alles klar, hat man schnell verstanden. Trotzdem reitet Roche wie besessen darauf herum.

"Feuchtgebiete" polarisierte, "Mädchen für alles" tippelt Diskussionen hinterher

Was das über die Autorin sagt? Mit „Feuchtgebiete“ gewährte Roche einen Einblick in ihr Intimleben. 2011 verarbeitete sie in „Schoßgebete“ den Unfalltod ihrer drei Brüder auf dem Weg zu ihrer Hochzeit. Autobiografisches soll in „Mädchen für alles“ nach Aussage der Autorin kurz gehalten sein. Beim Lesen drängt sich jedoch ein anderer Eindruck auf: Roches Scheidungskind-Trauma, das schon im Debüt anklingt, ist nun sogar zentraler Antrieb der Handlung – ohne die daraus resultierende Enttäuschung und Wut würde Christine vermutlich für immer im Bett liegen und Serien gucken.

Und dann sind da Christines Gewaltfantasien und die Verachtung für ihren Schlaffi-Mann, den sie insgeheim für schwul hält. In einem Interview mit dem „Spiegel“ erklärte Charlotte Roche einmal, dass es Frauen im Bett „total masochistisch“ mögen, dass ihre Ex-Partner im Haushalt immer mehr gemacht hätten und dass ihr Mann „wie eine Weltmeisterin“ backe. Ach so, ein Kindermädchen beschäftige sie auch.

Doch was „Feuchtgebiete“ noch konnte, nämlich polarisieren, hat sich mit „Mädchen für alles“ erledigt. Allenfalls trippelt das Buch Diskussionen wie der um #regrettingmotherhood hinterher, dem Resultat einer israelischen Studie über Mütter, die lieber keine wären. Dieser Roman ist belanglos und biedert sich mit seinen Reizthemen zugleich so an, dass man ihn getrost neben „Fifty Shades of Grey“ einsortieren kann. Genau diese Zielgruppe spricht Roche an: Frauen zwischen Anfang dreißig und Ende vierzig, Bürojob, Kinder schon da oder in Planung, die Beziehung läuft halbwegs, ein okayes Leben also, aber spannend ist was anderes. Da braucht es Identifikationsfiguren, die sich was trauen.

Erste lesbische Erfahrungen, Spaß an Gewalt, die Faszination des geschundenen Körpers – das alles kann man aufwühlend, leidenschaftlich und trotzdem ganz fein erzählen. So hat es jüngst Miranda July in ihrem Romandebüt „Der erste fiese Typ“ getan. Roche zeigt, dass es auch anders geht.

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