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Hauptsache Hanf. Rihanna kam spät ins E-Werk, aber sie kam.
© dapd

Rihanna in berlin: Sex liegt in der Luft

Superstarwahnsinnig: Rihannas Geheimkonzert vor 777 Gästen im E-Werk.

18-mal. 18-mal brüllt Rihanna im Verlauf des Abends auf der Bühne des E-Werks das Wort „Berlin“. Vielleicht, weil man das so macht als Popstar, vielleicht aber auch, weil sich die 24-Jährige auf einer bizarren Konzertreise befindet, auf der sie leicht die Orientierung verlieren kann: Rihanna ist auf „777 Tour“, was bedeutet: Die Pop-Sängerin aus Barbados, die bisher 37 Millionen Alben und 146 Millionen Download-Tracks verkauft hat, fliegt in Begleitung von 150 Fans und Journalisten mit einer Boing 777 in sieben Tagen in sieben Metropolen in sieben Ländern, um dort vor jeweils 777 Besuchern zu musizieren. Astreiner Superstarwahnsinn, der an die guten alten Zeiten des Musikbusiness erinnert und für den geneigten Leser nebenbei mit einem bunten Strauß hochinteressanter Rihanna-News flankiert wird. Etwa dass die Künstlerin an einem Abend ohne Büstenhalter aufgetreten ist oder in Paris gemeinsam mit P. Diddy bei Victoria’s Secret sündige Unterwäsche gekauft hat.

Über die Musik ihres neuen Studioalbums „Unapologetic“ wurde nur wenig gesprochen. Dabei ist zum siebten Rihanna-Album in sieben Jahren – niemand in den Spitzenregionen des kontemporären Pop-Zirkus dürfte fleißiger sein – durchaus einiges anzumerken. Etwa, dass der beste Song ausgerechnet „Nobody’s Business“ ist, ein auf einem Motiv aus Michael Jacksons „The Way You Make Me Feel“ reitendes Duett mit dem unangenehmen Chris Brown. Ab und an hört man tief scheuernde Dubstep-Bässe, zwei Mal legt der unvermeidliche David Guetta Hand an, ebenso wie Justin Parker, den mancher von Lana Del Reys „Video Games“ kennen mag und Sia Furler, die zuletzt an Madonnas „MDNA“ mitschraubte. Kurzum: „Unapologetic“ ist ein sehr kontemporäres Album, auf maximalen Erfolg getrimmt, den es auch haben wird. Dabei ist die Öffentlichkeit noch voll und ganz mit der Rezeption des 2011 erschienenen Vorgängers beschäftigt: „Talk That Talk“ gewann am Sonntag einen „American Music Award“.

Als der Abend zu Ende geht, zieht sie den Rock aus

Die neue Platte reißt Rihanna bei dem Geheimkonzert im E-Werk – der Auftrittsort wurde erst wenige Stunden zuvor bekannt gegeben – nur kurz an. Stattdessen gibt sie den Zuschauern, was sie haben wollen, also die Hits. Und Rihanna hat eine stattliche Anzahl an Hits aufgenommen, das fällt während des Konzerts erst so richtig auf: „Don’t Stop The Music“, „Only Girl (In The World)“, „Talk That Talk“ oder „Umbrella“ funktionieren aber weniger als Höhepunkte des Abends denn als Anker: Einige Male gerät Rihanna ganz schön ins Schwimmen, singt weniger mit als gegen ihre Begleitmusiker und den routinierten Kraftmeier-Rock, mit dem diese vor allem die schnelleren Songs zukleistern. Ob dann sie oder die beiden Backgroundsängerinnen wieder auf die richtige Spur finden, ist kaum erkennbar.

Sie nimmt’s gelassen, und auch das Publikum ignoriert solche Formfehler freundlich – vermutlich, weil es gar nicht mehr mit dem Erscheinen der Künstlerin rechnete. Anstatt wie angekündigt gegen 20.30 Uhr betritt sie die Bühne erst um halb zwölf. Vorher läuft mehrere Stunden lang brüllender Großraumdisco-Sound. Doch unter dem Strich verfügt Rihanna selbst in der leicht angeschlagenen Version von Sonntagnacht noch über viel mehr Charisma als das Gros der Konkurrenz. Sie ist schwer zu greifen, weil sie beides darstellen kann: die Soul-Sängerin mit Karibik-Wurzeln und juveniler Sehnsucht in der Stimme, aber eben auch deren aktualisierte Version, das „Good girl gone bad“, das über „Sex in the air“ singt, ein Netzhemd mit einem Cannabisblatt trägt und später, als der Abend dem Ende zugeht, den Rock zugunsten knapp geschnittener Hotpants auszieht. Das wirkt wie müde Pflichterfüllung, macht aber durchaus Sinn. Es ist kurz vor eins, es ist Montagmorgen. Da darf man müde sein, auch als Popstar.

Jochen Overbeck

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