Die Ärzte: Setz dich zur Wehr, stell dich quer
Zwischen Pimmelwitz und Politik: Die Ärzte veröffentlichen "auch", ihr 13. Studioalbum. Ein Gespräch mit Farin Urlaub über die alles entscheidende Frage: Wie hält man das eigentlich 30 Jahre lang durch?
Ein eisiger Nachmittag in Kreuzberg. Schon seit zwei Tagen geben Die Ärzte in einem edlen Restaurant am Paul-Lincke-Ufer Interviews. Am Abend fliegen sie nach Zürich, um der Schweizer Presse Fragen zu beantworten. Zum Beispiel, warum ihr nun erscheinendes 13. Studioalbum schlicht „auch“ heiße („war ’ne Idee von Bela“). Woran sie merkten, dass auch sie älter werden („der Rücken!“). Und ob es wirklich Zeitverschwendung sei, die Ärzte zu hören, wie sie auf ihrer ersten Single singen („natürlich nicht“).
„Auch“ also. Nicht „aber“ oder „laber“. „Auch“! Die CD wird wahrscheinlich wieder wochenlang Platz eins der deutschen Albumcharts belegen. So wie die letzten fünf Studioalben der Ärzte auch. Warum man da sicher sein kann? – Noch bevor die Platte überhaupt erschienen ist, sind fast alle der 33 Auftritte ausverkauft, die die Ärzte diesen Sommer absolvieren werden. In den meisten Städten spielen sie zwei oder drei Konzerte, in ihrer Heimatstadt Berlin sogar sechs. Die Ärzte sind damit neben den Toten Hosen, ihren mitgealterten Funpunk-Kollegen aus den Achtzigern, die dauerhaft erfolgreichste und beliebteste Band Deutschlands. An die zehn Millionen Alben haben sie bisher verkauft.
Die drei Musiker können also zufrieden sein. Sind es auch. Die 16 Songs ihres neuen Album kommen so gut gelaunt und unbeschwert daher wie fast alles, was Die Ärzte machen. Es geht munter nach vorne, roher Rock’n’Roll, gut gewaschener Metal, schaumig geschlagener Pop, herzhafte Melodien, drei Minuten lang durchgebraten. Das ganze großzügig gewürzt mit Ironie und Gesellschaftsbeobachtung, zarter Aggression (Bela B.) und kurzweiligen Reimen: „Manche Männer lieben Männer, manche Frauen eben Frauen, da gibt’s nix zu bedauern und nix zu staunen“ (Farin Urlaub).
Die Themen reichen also von Beziehungsfragen über Aphasie und Waldspaziergänge bis hin zu der Frage, ob das alles noch Punkrock sei. Wie immer taucht die Ansprache „du“ auf, das älteste rhetorische Stilmittel der Ärzte: „Seit es Andrea gibt, kommst du nicht mehr saufen, ihr geht zu Ikea, um euch für die neue Bude eine Küche zu kaufen“. Beobachtungen aus dem Bekanntenkreis seien das, sagt Farin Urlaub, keinesfalls Selbstbeschreibungen.
Im Restaurant ist der Interviewmarathon jetzt fast vorbei, aber Farin Urlaub ist immer noch aufgekratzt. Der 1,90 Meter große Gitarrist und Sänger lässt sich in einen Ledersessel in einem Separee fallen und bestellt einen frischen Minztee. Er hat braune Cordhosen und einen schwarzen Pulli an. Die wasserstoffblonden Haare trägt er seit zwei Jahrzehnten an den Seiten kurzrasiert und oben länger. Und auch sein ansteckendes Lachen, bei dem eine weiße Zahnreihe von einem Ohr zum anderen reicht, hat sich nicht verändert. Es klopft an der Tür. Rod González steckt seine Nase mit dem Piercing herein: „Tagesspiegel? Ich mach mit.“ Er lässt sich in einen Sessel fallen und schweigt.
Also, Herr Urlaub, Die Ärzte haben im September 1982 in einem besetzten Haus in West-Berlin ihr erstes, zugegebenermaßen dilettantisches Konzert gegeben. Das ist fast dreißig Jahre her. Sie sind jetzt 48 Jahre alt (sehen aber zehn Jahre jünger aus – wahrscheinlich weil Sie Vegetarier sind und nie Alkohol trinken). Dennoch machen Sie im Grunde immer noch das Gleiche wie damals. Wie hält man so lange durch? Urlaub überlegt nicht lang. Man solle sich das einmal vorstellen: Man sitze im Park und habe eine Idee für einen Song, und einige Monate später stünden 20 000 Menschen mit leuchtenden Augen vor einem und sängen genau dieses Lied: „Es gibt weniges im Leben, was das übertreffen kann.“
Tatsächlich können Die Ärzte tun, was sie wollen, die Deutschen rennen ihnen die Bude ein. Unter kühlen, markttechnischen Gesichtspunkten könnte man sagen, dass sie zu einer Marke geworden sind. Damit sich eine Marke verkauft, ist es entscheidend, dass die Käufer positive Emotionen mit ihr verbinden. Diese lösen der immerlustige Urlaub, Düstermann Bela und der zurückhaltendere Rod offensichtlich bei einer Vielzahl von Menschen aus.
Ihre Fans, das kann man auf Konzerten beobachten, bilden einen gesellschaftlichen Durchschnitt: Männer und Frauen zwischen 12 und 52. „Wir machen nur, was wir wollen“, versucht Urlaub sich dem Phänomen zu nähern. „Wir springen ins kalte Wasser und landen immer in der Südsee. Es gibt wohl mehr Menschen, die unseren Humor teilen, als man denkt.“ Vielleicht aber hat diese Beliebtheit auch damit zu tun, dass die Ärzte im Unterschied zu anderen deutschen Bands nie aufdringlich, kitschig oder zwanghaft wirken. Man kann ihre Musik als immer ähnlich ablehnen, die Typen in ihrer Spontaneität muss man mögen. Und auch sonst machen Die Ärzte ja einiges richtig. 1998 gründeten sie ihr eigenes Label Hot Action Records. Seitdem agieren sie unabhängig von der Musikindustrie.
Dass der Erfolg ihnen selbst oft nicht ganz geheuer sei, sagt Farin Urlaub. Deshalb versuche man, allzu hörige Fans auf andere Gedanken zu bringen, etwa mit Zeilen wie: „Hast du nichts Besseres zu tun, als Die Ärzte zu hören?“ Gleichzeitig sehe man die pädagogische Verantwortung, die man habe. Die Ärzte haben sich klar gegen Neonazis positioniert („Arschloch!“), als Anfang der Neunziger eine Welle der Ausländerfeindlichkeit durch Deutschland schwappte. Jetzt rufen sie zu Protesten gegen den Status quo auf: „Du weißt doch detailliert, was dir nicht passt, komm setz dich zur Wehr, stell dich einmal quer“, heißt es in dem Song „Das darfst du“. Man kann das durchaus oberflächlich finden, aber eine Band, die den Spagat zwischen Pimmelwitzen und Politik so elegant hinbekommt, muss man auch erst mal finden.
„auch“ erscheint am 13. April bei Hot Action Records/Universal
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