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Kultur: Serge!

Ein Biopic, das streift und streichelt: Joann Sfars „Gainsbourg – Der Mann, der die Frauen liebte“

Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, diesem aber ganz besonders. Wie der kleine Lucien Ginsburg, Sohn russisch-jüdischer Einwanderer, sich den Davidstern im besetzten Paris stolz an die Brust heftet und der Knirps sich Zugang zur Kunstakademie vom Montmartre verschafft, doofe SS-Obersturmbannführer dürfen da schließlich auch malen! Wie er ein antisemitisches Plakat – abstehende Ohren, große Nase! – auf sich bezieht – auch abstehende Ohren, große Nase! – und künftig mit dieser „Fresse“ als komischem Kumpel spazieren geht, Es und Schutzengel und Über-Ich zugleich! Und wie er die Flucht vor den Nazis in den Wald, drei Tage lang muss er sich allein verstecken, unerschrocken zum Zeichnen nutzt, in allerschönster Gesellschaft der eigenen Fantasie!

Ja, man möchte sich vor Ausrufezeichen gar nicht mehr einkriegen angesichts dieses großartig lässig anhebenden Biopics der besonderen Art, das im französischen Original einfach „Gainsbourg“ heißt und sonst gar nichts. Und wie beiläufig und klug und wahr erst das Credo des Debütregisseurs Joann Sfar, in Frankreich eine Comiczeichner-Berühmtheit! „Ich möchte nicht hergehen und in Gainsbourgs Privatleben herumschnüffeln, um herauszufinden, wer er wirklich war. Ich liebe Gainsbourg viel zu sehr, um ihn ins Reich der Realität zurückzuholen. Die Wahrheit könnte mir gar nicht gleichgültiger sein.“ Genau: Wenn schon erfinden im Biopic, dann richtig! Nicht auspinseln, sondern eine Vision entwerfen, von Künstler zu Künstler, eine Anverwandlung, ein Märchen, ein Traum!

Das Leben des Malers, Barpianisten, Chansonkomponisten, Sängers, Dichters, Schauspielers, Kettenrauchers, Säufers, antibürgerlichen Krawallmachers, Schmachtbolzen und begnadeten Frauenverführers muss man auch gar nicht aufhübschen mit allen Mitteln des Kunsthandwerks, sondern eher runterregeln auf einen Begriff, auf eine Idee. Joann Sfars Ausgangspunkt: Er liebt den Gainsbourg, schon sein Leben lang. Auch wenn Liebe immer gefährlich ist, vor allem für ein Vorhaben, bei dem man rund vierzig Jahre Gainsbourg antupft und – aus Liebe natürlich! – die späte, schreckliche Vergammelung und den Tod auslässt: Liebe ist, so für den Anfang, grundsätzlich nicht das Schlechteste.

Was weiß man von Serge Gainsbourg in Deutschland? Nicht eben viel. Dass er mit Jane Birkin 1969 den sexiest song ever, „Je t’aime … moi non plus“, besungen hat und mit ihr die wunderbare Charlotte Gainsbourg in die Welt gezaubert, ja, das vielleicht. Aber dass er den Song eigentlich für Brigitte Bardot – heiße Affäre ein paar Monate lang! – komponiert und zuerst mit ihr eingespielt hat, und dass der schwer gehörnte Gunter Sachs damals sein Veto gegen die Veröffentlichung einlegte, das schon weniger. Und schon gar nicht, dass Gainsbourg France Galls Eurovisions-Hit „Poupée de cire, poupée de son“ geschrieben hat, dass der unsterbliche Boris Vian ihn mitentdeckte und jamaikanische Musiker mit ihm ein paar Jahrzehnte später eine Reggae-Version der Marseillaise erfanden, die natürlich Skandal machte in Frankreich, dass er nach seinem ersten Infarkt 1973 sofort rausposaunte, die Alkohol- und Nikotindosis zu erhöhen, und dass er, kaum hatte Jane Birkin ihn entnervt nach zehn Jahren ewig wilder Liebe verlassen, mit immer jüngeren Mädchen weitermachte bis zum bittersüßsauren Ende …

Das alles erzählt der Film, ach was, er streift es, er streichelt es. Mit einem famosen Eric Elmosnino in der Hauptrolle, in Frankreich ist der Mann ein Theaterstar. Und mit Laetitia Casta als Brigitte Bardot, und sogar sie ist die Bardot, für ein paar Szenen, wirklich sehr. Nur Lucy Gordon, die sich wenige Wochen nach Ende der Dreharbeiten das Leben nahm, ist – wie schmerzhaft, es dennoch zu sagen – kaum Jane Birkin, und das gibt dem Film seinen ersten Stich. Auch sonst verbraucht er sich vor allem in seinem letzten Drittel, etwas atemlos auf einmal von Tonkomposition zu Bildkomposition, von Statiönchen zu Statiönchen, und irgendwann hat man sogar die so schön verrückt erfundene „Fresse“ (gespielt als groteskes Gespenst von Doug Jones) über.

Trotzdem. Wer inspiriert, beflügelt, verzaubert in der derzeitigen Kanonade der Filmbiografien, von Ferdinand Marian über Max Schmeling und Goethe bis zu, demnächst, Banksy und Carlos? Gainsbourg!

Cinemaxx, FT Friedrichshain, Kulturbrauerei, Neues Off; OmU im Cinema Paris und in den Hackeschen Höfen

Jan Schulz-Ojala

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