Abenteuercomic „Grönland Odyssee“: Schwarzer Humor im Weiß der Arktis
Eisbären, Eisberge und ein Haufen verschrobener Pelzjäger: Gwen de Bonneval und Hervé Tanquerelle haben die Abenteuergeschichten des Dänen Jørn Riel adaptiert.
Der dänische Schriftsteller und Weltenbummler Jørn Riel, Jahrgang 1931, verbrachte ausgehend von 1951 insgesamt 16 Jahre in Nordostgrönland. Viele seiner Romane und Geschichten, die er seitdem als Autor veröffentlichte, spielen in der Arktis – etwa der Band „Nicht alle Eisbären halten Winterschlaf“ über die Trapper, die er einst kennenlernte.
Auf Deutsch liegt das Buch, als „Eine arktische Safari“ untertitelt, im Unionsverlag vor. Autor Gwen de Bonneval und Zeichner Hervé Tanquerelle haben Riels arktische Abenteuergeschichten über einen Haufen verschrobener Pelzjäger nun in dem seitenstarken, großformatigen Comic-Band „Grönland Odyssee“ adaptiert.
In dessen Fokus stehen die raue Arktis und die passend raubeinigen Männer, die Mitte des 20. Jahrhunderts monatelang isoliert im kalten Grönland ausharren, um Füchse, Moschusochsten und Eisbären (damals noch fett und zahlreich) zu erlegen und Pelze zu sammeln, oft mehrere Jahre hintereinander.
Kauze und Charakterköpfe
Die Trapper sind allesamt Kauze und Charakterköpfe, echte Typen und Marken – schweigsame Männer, Laberbacken, Säufer, Snobs, Sonderlinge, sogar ein Graf und ein General sind Teil der weit versprengten Truppe, deren Mitglieder tagelang mit dem Hundeschlitten unterwegs sind, um den nächsten Nachbarn in dessen Hütte zu sehen.
Die meisten philosophieren und schwadronieren gern und viel, denn oft haben sie ja nichts besseres zu tun, während sie in der Hütte festsitzen. Besonders in der Finsternis der Polarnacht, die in die Seele kriecht, sich aufs Gemüt legt und schnell Herz und Verstand verdunkelt.
Da ist das nächste Versorgungsschiff nicht bloß Monate, sondern Ewigkeiten entfernt, und der Gedanke an eine Frau macht die polaren Pelzjäger völlig kirre. Packeis-Psychologie und im eisigen Wind abkühlen ist dann neben schlechtem selbstgebranntem Schnaps das Einzige, was gegen die fiebrigen Träume, den Hüttenkoller und den drohenden Arktis-Ausraster hilft.
Eisbären und Eisberge
Für Ärger in den arktischen Gefilden sorgen unterdessen hungrige Eisbären und heimtückische Eisberge, die völlig überraschend auftauchen und nicht ohne Grund das schöne umlaufende Cover des Hardcover-Albums aus dem Berliner Avant Verlag zieren. Aber auch ein komfortables Toilettenhäuschen als Prunkstück der Zivilisation in der weißen Wüste kann Zwietracht säen und Stress bringen.
Und während ein vereinsamter Trapper einen jämmerlich frierenden, die Sonne vermissenden Hahn als Krönung der Schöpfung in Grönland zelebriert und damit allen anderen auf den Wecker geht, steht die Liebe zu einem Schwein zwischen zwei anderen Hüttenbrüdern. Ein gieriger Tätowierer und eine aus dem Ruder laufende Beerdigung haben ebenfalls verblüffend ausgelassene Stimmung unter den Trappern zur Folge. Und dann ist da noch die buchstäbliche Traumfrau Emma, die jedem Jäger reihum mal den Kopf verdreht ...
Nicht alle der lose miteinander verknüpften Episoden in „Grönland Odyssee“ sind gleich gut, doch selbst jene Storys, in denen die Trapper etwas zu viel schwadronieren und philosophieren, entschädigen am Ende mit einer starken, gern massiv schwarzhumorigen Pointe.
Die Balance aus Witz und Finsternis, Spaß und Bitterkeit stimmt also durchgehend, selbst in der Polarnacht. Auch die eingefangene Stimmung in der Arktis und unter den Fallenstellern überzeugt jederzeit – man spürt die Kälte, die Einsamkeit, die Verzweiflung, die Freiheit, die Schönheit, das ganze arktische Wechselbad der Gefühle in Grönland.
Mehr Harvey Kurtzmann als Hergé
Zeichnerisch geht Hervé Tanquerelle, den man für die letzten Alben der Serie „Professor Bell“ von Joann Sfar und das historische Antihelden-Abenteuer „Die Diebe von Karthago“ kennt, in seinen Graustufen-Bildern immer weiter weg von der klaren Linie nach „Tim und Struppi“-Schöpfer Hergé. Auf der Suche nach Fixpunkten landet man irgendwo zwischen dem dem französischen Künstler Manu Larcenet, dem deutschen Cartoonisten Flix und dem amerikanischen Zeichner und „Mad Magazine“-Mitbegründer Harvey Kurtzmann.
Trotz der weißen Schneekulisse nutzt Tanquerelle nämlich viel Schwarz, oft satt und kräftig aufs Papier gebracht. Sein Strich passt sich ohnehin der rauen Landschaft und den bärtigen Brummbären (und Eisbären) darin an, manchmal gleitet er bei den Charakteren und ihren Expressionen gar komplett in den Bereich Funny und Cartoon ab. Dem gegenüber stehen sanfte, weiche Aquarellgemälde der prächtigen Landschaft Grönlands, die Tanquerelle in die Kapitel einarbeitet.
Immer wieder Grönland
Für den 1972 geborenen Franzosen ist die Panel-Adaption der Pelzjäger-Prosageschichten übrigens eine künstlerische Rückkehr nach Grönland. Schon 2017 erschien seine – noch unübersehbare – Hergé-Hommage „Grönland Vertigo“, die bei Avant parallel nun um einen Skizzenanhang erweitert als Deluxe-Version neu aufgelegt wurde. Darin verarbeitete Tanquerelle mithilfe des für das moderne arktische Abenteuer eher untauglichen Comic-Zeichner-Alter-Ego George seine eigene Reise nach Grönland, auf der ihn damals übrigens Jørn Riel begleitete.
Die neuen Episoden über die Trapper in „Grönland Odyssee“ sind allerdings der stärkere, unterhaltsamere Abenteuercomic.
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