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Achille Mbembe analysiert kritisch das postkoloniale Europa.
© AFP

Achille Mbembe: "Kritik der schwarzen Vernunft": Schwarz wird die Welt

Mit „Kritik der schwarzen Vernunft“ legt Achille Mbembe ein politisch-poetisches Pamphlet wider rassistische Globalisierung vor.

Achille Mbembe ist der neue Star am postkolonialen Himmel. An einem Nachthimmel, wohlgemerkt. Denn schwarz und dunkel, oft pessimistisch, geben sich seine Thesen, metaphorisch wie konkret. Mbembe lade dazu ein, „die Geografie der Welt neu zu sehen“, schrieb „Libération“ in Frankreich, wo der Kameruner Historiker und Denker bereits gefeiert wird. Mit seiner jetzt auch auf Deutsch erschienenen „Kritik der schwarzen Vernunft“ (aus dem Französischen von Michael Bischoff, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2014, 332 Seiten, 28 €) legt Mbembe, der nach Jahren in Yale, Berkeley und Columbia inzwischen in Südafrika lehrt, ein politisch-poetisches Pamphlet wider rassistische Globalisierung vor.

Analytisch bestens ausgerüstet, betritt er die Räume des Kolonialismus mit Aimé Césaire, Jacques Lacan, Michel Foucault, Frantz Fanon und Joseph Vogls „Gespenst des Kapitals“ im Gepäck. Mit ihnen nimmt der 1957 geborene Sorbonne-Absolvent Mbembe den fortwirkenden Kontext von Rassismus und Kapitalismus ins Visier. Beide sind, so Mbembe, ohne einander nicht zu denken. Ohne den transatlantischen Sklavenhandel als Blaupause künftiger Globalisierung, ohne die spaltenden Konzepte von Rasse und Hierarchie, wären die globalen Ströme von Waren und Kapital nicht zu dem geworden, was sie heute sind.

Schwarz ist der Kapitalismus

Die Wahnidee der „Rasse“ schuf den „Neger“, der als diskriminierte Person, als Chiffre der Differenz, inzwischen ubiquitär geworden ist. Nacht allüberall. Schwarz ist der Kapitalismus, schwarz die Zukunft der Globalisierung in einer durchökonomisierten Welt. Ja: „Die Welt wird schwarz“, warnt der Poet Mbembe. Im Namen „Afrika“ erkennt er die Negation der drängendsten, zentralen Forderungen der Welt nach Verantwortung und Gerechtigkeit: „Diese Negation ist im Grunde das Ergebnis der Rassenarbeit – die Negation der bloßen Idee der Gemeinsamkeit und einer menschlichen Gemeinschaft.“ Und das betrifft laut Mbembe nicht „Afrika“ allein: „Wir können eine ,Afrikanisierung‘ auch anderer Teile der Welt beobachten. Deshalb gibt es in diesem Namen etwas, das zu Wiedergutmachung, Rückerstattung und Gerechtigkeit auffordert.“

Im übertragenen Sinn hat die dichotomische Denkfigur des Rassismus das Weltfinanzsystem bestimmt, sie treibt es an, setzt es fort. In diesem System sind gesichtslose Arbeitsnomaden zur Norm geworden, Ware gewordene Menschen ziehen über den Planeten, Leute, die sich danach sehnen, ausgebeutet zu werden, sobald sie aus dem Erwerbskontext fallen. Mbembe sieht „die tendenzielle Universalisierung der conditio nigra“ dabei einhergehen mit „bislang unbekannten, imperialen Praktiken“. Neue Formen der Verdinglichung erführen die Subjekte durch die Allgegenwart digitalisierter Technologien, die mit einer „totalen Mobilmachung durch Bilder“ einhergingen.

Europa baue eine Festung wider "die Neger"

„Postkoloniale Phallokratie“ verortet der Autor in den ehemaligen Metropolen eines Europa, das narzisstisch gekränkt, weil zur geopolitischen Provinz degradiert, an veralteten Lesarten seiner selbst festklammert. Insbesondere Frankreich habe es versäumt, sich an eine „Autodekolonisierung“ zu machen. Indes baue sich ganz Europa zu einer Festung um, vor allem wider „die Neger“, die Mbembe selber ohne Anführungszeichen schreibt, um sie für eine selbstbewusst postkoloniale Terminologie zu reklamieren.

Was muss passieren? Was soll man tun? Einen Leitfaden zur Umwälzung der Verhältnisse liefert Mbembes so theoretisch mäanderndes wie lyrisch experimentierendes Werk nicht. Oder doch nur indirekt, mittels einer Anleitung zum Wiederlesen von Frantz Fanon. Dessen Rechtfertigung von Gewalt als Gegenwehr, sein Ruf nach dem „Aufstieg zum Menschsein“ der Unterdrückten, Ausgegrenzten, Diskriminierten wird ausgiebig zitiert.

Legitimer Kampf, fügt Achille Mbembe hinzu, geschehe zugleich „in Solidarität mit der ganzen Menschheit“. Wo und gegen wen genau ein legitimer Kampf sich richten solle, gegen weiße oder schwarze Eliten, oder womöglich gegen beide, und ob etwa die Akteure Guerilleros oder Gewerkschaften sein sollten? Das bleibt offen, wie so vieles in diesem anregenden Buch.

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