Journalismus und Freiheit: Schwarz-Rot-Gold muss vor den Gemütnazis geschützt werden
Lügenpresse? Der freiheitsbewusste Journalismus hat patriotische Tradition in Deutschland - auch gegen den Nationalismus der Rechtsextremen. Ein Kommentar.
Erst stirbt das Wort, dann die Freiheit, dann der Mensch: Eine gleichgeschaltete Lügenpresse war typisch für die beiden unterschiedlichen deutschen Diktaturen. Selbstbewusste und sich ihrer Pflichten bewusste Journalistinnen und Journalisten sind die vierte Säule einer lebendigen Demokratie. Eine Binsenweisheit.
Zwar gibt es – dank Fernstudium bei Google heute erst recht – viele Binsenweisheiten, versendet, gedruckt oder getwittert. Doch gegen die Polit-Hooligans von Pegida und AfD braucht es jede Stimme, die der Zivilgesellschaft und ebenso die der Medien. Im glorreichen deutschen Herbst 1989 skandierten unter den Farben Schwarz-Rot-Gold mutige Bürger in Plauen, Leipzig, Dresden „Wir sind das Volk“. Medien verbreiteten ihre Botschaft und schützten die Demonstranten vor den regierenden DDR-Spießergesellen.
Journalisten sind den schrecklichen Vereinfachern à la Gauland, Höcke, Bachmann schon deshalb suspekt, weil sie den Vorurteilen und Stammtischparolen Recherchen und Fakten entgegenhalten. Bereits die ersten Reporter, die Boten in der griechischen Tragödie, die Jünger Jesu im Neuen Testament, wurden wegen ihrer Berichte unter Generalverdacht gestellt und von der jeweiligen Obrigkeit verfolgt.
Vorbild: die Großdemo am Hambacher Schloss, 1832
Auch in dieser Geschichte: 27. Mai 1832, Hambacher Schloss. Dreißigtausend Menschen sind aus Neustadt hinauf zur Festwiese gezogen, um für Freiheit und Demokratie zu demonstrieren. Schwarz-Rot-Gold leuchten ihre Fahnen. Philipp Jakob Siebenpfeiffer, Gründer des Deutschen Vaterlandsvereins zur Unterstützung der freien Presse und Herausgeber der liberalen Tageszeitung „Westbote“, ist neben Johann Georg August Wirth, Herausgeber der „Deutschen Tribüne“, und dem aus Paris angereisten Journalisten Ludwig Börne einer der Hauptredner. Siebenpfeiffer verspricht zu Beginn: „Ich werde kurz sein, ich werde wahr sein, ich werde schlicht sein, denn ich rede zu allen.“ Wirth hat zusätzlich schon andere Visionen, die sich erst 150 Jahre später erfüllen sollten: „Dreimal hoch das conföderierte republikanische Europa“.
Sie sind wortgewaltige Rhetoriker mit lauten Stimmen. Die brauchen sie auch. Denn sie müssen ihre Reden mehrmals wiederholen, um möglichst viele Menschen zu erreichen. Es gibt noch keine Mikrofone, keine Lautsprecher. Es sei Sinn des Fests, schließt Siebenpfeiffer, gemeinsam für ein freies deutsches Vaterland einzutreten. „Worte wie Donnerhall“ mögen für dieses hehre Ziel durch „deutsche Gemärke“ eilen; sie sollen allen Verrätern „die morschen Knochen“ erschüttern, bevor „Mörderhände“ es schaffen würden, „die europäische Freiheit zu erdrosseln“.
Da hat er verbal ziemlich aufgerüstet. Wortqualm im Namen von Deutschen würde sich für anständige Patrioten heute – außer in Dunkeldeutschland an einem Montag in Dresden oder an einem Mittwoch in Erfurt – im Wissen um die von Deutschen angezettelten großen Kriege des 20. Jahrhunderts verbieten. Angesichts der damaligen Verhältnisse waren es die richtigen Töne. Das vom Adel unterdrückte Volk übte nämlich, von solchen Worten ermutigt, den aufrechten Gang.
Schwarz für Fremdherrschaft, Rot für Herzblut, Gold für die Freiheit
In den europäischen Befreiungskriegen 1813 bis 1815 gegen den Usurpator Napoleon hatten die zumeist studentischen Kämpfer im Lützowschen Freikorps Schwarz-Rot-Gold in ihre Schlachten getragen. Eigene Uniformen besaßen sie nicht. Ihre Zivilröcke wurden deshalb schwarz umgefärbt, mit goldfarbenen Messingknöpfen und roten Aufschlägen versehen. Nachträglich wird die Farbgebung mit deutsch klingender Tiefsinnigkeit erklärt. Schwarz soll für die Zeit gestanden haben , als die Fremden aus Frankreich über Deutschland herrschten, über eine Nation, die es ja noch gar nicht gab – stattdessen ein Flickenteppich von Dutzenden Fürstentümern; Gold für „die Morgenröthe der erkämpften Freiheit“ und Rot für das dabei vergossene „Herzblut“.
Heinrich Heine, der als Journalist begann, hatte dagegen eine polit-poetische Vision: „Pflanzt die schwarz-rot-goldne Fahne auf die Höhe des deutschen Gedankens, macht sie zur Standarte des freien Menschtums, und ich will mein bestes Herzblut für sie hingeben“. Nicht jede Strophe in der Ballade von Schwarz-Rot-Gold erklingt in der Historie so frohgemut wie jene vom Hambacher Fest. Die Nachfolger der Ur-Burschenschaften beispielsweise, die sich 1815 bei ihrem Treffen auf der Wartburg für ihre Freiheitslieder hinter diesen Farben trafen, waren geprägt von nationaler Überheblichkeit. Sie haben die Fahne verraten, die in der Wartburg hängt. Der dortige Stiftungsrat erteilte ihnen deshalb Hausverbot, wollte keine Gäste mehr, die wegen „Zeiten fortschreitender Überfremdung“ für ihren Verband nach „Ariernachweis“ schreien und ausgrenzend nach „nichteuropäischer Gesichtsmorphologie“ Ausschau halten.
Wie der deutsche Volksmund weiß: Dummheit und Stolz wachsen aus einem Holz. Sie bestimmen Pegida-Aufmärsche, in denen die Bundeskanzlerin Volksverräterin genannt und an den Galgen gewünscht wird. Journalisten, die darüber berichten, werden beschimpft oder verprügelt als Büttel der Lügenpresse – schlimmer noch: als Judenpresse. In solchen Begriffen offenbart sich die wahre Ungeisteshaltung der Völkischen.
Applaus für Karl Carstens, Jubel für Willy Brandt
Seit Björn Höcke, Fraktionsvorsitzender der Alternative für Deutschland im Landtag von Thüringen, an einem Sonntagabend im deutschen Fernsehen die deutschen Farben in den Schmutz zog, indem er sich auf sie berief; seit die Fahne in Dresden von frei laufenden Gemütsnazis aus allen gesellschaftlichen Schichten entehrt wurde, muss sie vor ihnen geschützt werden. Schwarz-Rot-Gold sind die Farben der Demokratie, und gegen den Nationalismus der Rechtsextremen hilft nur der Patriotismus der Demokraten – so der Generalstaatsanwalt von Brandenburg Erardo C. Rautenberg, der die Hambacher Schlossruine und ihre Geschichte für einen der wichtigsten deutschen Erinnerungsorte hält.
Bei der Feier zur 150. Wiederkehr des Hambacher Festes durfte ein ehemals getreuer NSDAP-Gefolgsmann, Bundespräsident Karl Carstens, oben die offizielle Festrede halten, der Journalist Willy Brandt, Vorsitzender der SPD, musste unten auf dem Marktplatz von Neustadt auftreten. Brandt strahlte Charisma aus, der andere Corpsgeist. Dem gewandelten Zeitgeist entsprechend wurde der Emigrant bejubelt, der Mitläufer höflich beklatscht.
Siebenpfeiffer und Wirth, die damals dem auf der Festwiese unter der schwarzrot-goldenen Fahne versammelten Volk wortstark verkündet hatten, „Die freie Presse ist die Schutzwehr der Völker gegen die Tyrannei der Machthaber“, wurden dann von just jenen Machthabern verhaftet. Frauenvereine sammelten Geld für die Familien der Inhaftierten, Spenden oder Besuche im Knast waren erlaubt. Der Freispruch für beide wird in Form einer analogen Kurzmitteilung übertragen: eine Menschenkette schwenkt weiße Taschentücher, vom Gerichtsort Landau bis nach Neustadt. Der Jubel kommt jedoch verfrüht. Die beiden werden nach dem Freispruch in Sachen Hochverrat nicht entlassen, sondern wegen Beamtenbeleidigung zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt.
Siebenpfeiffer gelingt die Flucht in die Schweiz, wo ihm Asyl gewährt wird. Ob das Land es ihm heute noch erteilen würde, nach dem Rechtsruck bei den vergangenen Wahlen? Er stirbt 1845, drei Jahre, bevor 1848 noch einmal das hohe Lied von der schwarz-rot-goldenen Freiheit erklingt: In der Frankfurter Paulskirche beschließt die frei gewählte Deutsche Nationalversammlung, dass die Farben jener Fahne, die 1832 auf dem Turm der Hambacher Burgruine wehte, einmal die Flagge eines geeinten deutschen Reiches zieren sollten. Zu den Abgeordneten zählt auch Wirth, der kurz danach stirbt.
Jakob Siebenpfeiffer oder Johann Georg August Wirth verdienen – wie auch ihre Brüder im Geiste Egon Erwin Kisch, Siegfried Jacobsohn, Theodor Fontane, Kurt Tucholsky, Karl Kraus oder Carl von Ossietzky – einen Platz in einer Ruhmeshalle der Deutschen. Die Brandstifter von AfD und Pegida dagegen, die sich als Biedermänner tarnen, gehören in die Bürgerbräukeller der Nation.
Michael Jürgs lebt als Journalist in Hamburg. Kürzlich erschien von ihm „Wer wir waren, wer wir sind. Wie Deutsche ihre Geschichte erleben“ (Bertelsmann Verlag, 368 S., 19,99 €)