Kultur: Schrumpfende Städte
Wird der deutsche Osten zum Nationalpark? Eine Tagung in Berlin
Wo heute noch halbleere Plattenbausiedlungen stehen, könnten morgen schon Baumschulen, Gemüsegärten und Streichelzoos die Löcher im städtischen Gewebe füllen. Denn trotz Zuwanderung steht den deutschen Städten ein weiterer massiver Bevölkerungsverlust bevor. Teils laufen sie weg, teils sterben sie aus. Allein in Ostdeutschland stehen heute schon über eine Million Wohnungen leer und erzeugen eine unheilvolle Abwärtsspirale: Der öffentliche Raum verödet, die Infrastruktur bricht zusammen, den Städten kommt die Lebensqualität abhanden.
Jahrelang ist dieses „SchlechteLaune-Thema“ von der Politik tabuisiert worden. Abriss wird verharmlosend als „Rückbau“ und die fatale Situation beim Stadtumbau in Ostdeutschland als „erhöhter Umstrukturierungsbedarf“ bezeichnet. Auch die Stadtplaner sind ihrer traditionellen Mittel des Städtebaus beraubt und reagieren hilflos. Von der „selektiven Perforierung“ bis hin zum „flächigen Abriss“ reicht ihr strategisches Repertoire. Sie besingen nur die „Leere als Potenzial“ und die „Schrumpfung als ökologische Chance“. Der Abriss soll auch das Mietniveau stabilisieren, um der Wohnungswirtschaft das Auskommen zu erlauben. An massenhaften Leerstand werden sich die Bürger einfach gewöhnen müssen, denn zu den großen verlassenen Industriearealen kommen nun auch noch Wohnbrachen mitten in der Stadt hinzu.
Das Deutsche Institut für Urbanistik (DIFU) und die Bundeszentrale für politische Bildung veranstalteten dieser Tage eine Diskussionsrunde im Berliner Ernst-Reuter-Haus unter dem Titel: „Die Gestaltung der Leere- Zur Problematik der schrumpfenden Städte“. Die Prognosen sind alarmierend. Für Leipzig etwa sehen die Wissenschaftler innerhalb einer Generation eine Bevölkerungsabnahme um ein Drittel voraus. Wo einst blühende Landschaften entstehen sollten, droht nach der EU-Erweiterung eine „Transitwüste zwischen den Wirtschaftszentren in Westeuropa und den neuen Subventionsgebieten östlich der Oder zu entstehen“, so der Berliner Autor Wolfgang Kil. Anstatt der mittelständischen Wirtschaft blüht dort bald nur der wilde Holunder. Eine „Schrumpfung zurück auf die Kernstadt“ kann trotz Bevölkerungsschwund leider nicht erwartet werden. Vielmehr expandieren selbst sterbende Städte räumlich, weil pro Kopf immer größere Wohn-, Arbeits- und vor allem Einkaufs- und Verkehrsflächen gebaut werden. Während fast alle Kernstädte schrumpfen, wachsen die meisten Agglomerationen weiter in die Fläche, denn die Suburbanisierung mit Einfamilienhäusern wird noch immer staatlich gefördert.
Eine so üppige Finanzierung des Strukturwandels, wie er derzeit im Ruhrgebiet betrieben wird, ist für die neuen Bundesländer unrealistisch. Der Berliner Stadtsoziologe Werner Sewing entwarf deshalb für die ostdeutschen Städte das Bild einer „schwach subventionierten Dauermelancholie“. Einig waren sich die geladenen Stadtplaner, dass mit den herkömmlichen Mitteln und noch mehr Staat die Probleme nicht zu lösen sein werden. Der allgemeine Verfall, der einst die DDR in die Knie zwang, hat sich stellenweise seit der Wende sogar noch beschleunigt. Viele Bürger sind enttäuscht über den nicht funktionierenden Markt.
Die Akzeptanz des Abrisses ganzer Wohnsiedlungen ist dementsprechend gering. Die flächendeckende Subventionierung der neuen Bundesländer habe vielmehr einen schädlichen „Sozialismus zweiter Ordnung" entstehen lassen, so Kil: „Die Marktwirtschaft wurde bisher nur gespielt“. Nötig sei heute vermehrte Selbsthilfe, und die habe man im Sozialismus trainiert. Besonders die nordostdeutschen Klein- und Mittelstädte müssten für ihr Dasein völlig neue Begründungen finden, wenn sie nicht ganz von der Landkarte verschwinden wollen. Denn mit dem Größenwechsel geht auch ein Charakterwechsel einher. Viele Städte wähnen ihre Chance im Städte- und Naturtourismus – auch das oft eine Illusion.
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