Kultur: Schottisch für Fortgeschrittene
Das Leben ist schön: „Wilbur wants to kill himself“ von Lone Scherfig
Da sind sie wieder, die langsamen, freundlich-schüchternen Leute, wie man sie aus „Italienisch für Anfänger“ kennt. Diesmal hat Lone Scherfig in Schottland gedreht, aber das ist egal, denn die Menschen, von denen sie erzählt, gibt es überall oder nirgends.
Im nieselig-grauen Glasgow steht das Antiquariat der North-Brüder. Der jüngere, Wilbur, ist auf eine finstere Weise hübsch und depressiv: so sehr, dass er alle paar Wochen einen Selbstmordversuch unternimmt. Der ältere, Harbour, heißt so, weil er genau das ist: eine Anlaufstelle für einsame, traurige, arme Vielleser. Er führt den Buchladen und rettet Wilbur immer wieder das Leben. Man weiß nicht genau, warum er das tut, denn Wilbur ist zum Sterben fest entschlossen und ansonsten ein egozentrisches Monster. Harbour hat vor lauter Wilbur gar keine Zeit, sich um Alice zu kümmern, die immer wieder im Laden auftaucht, um Bücher zu verkaufen. Alice braucht Geld, weil sie als Putzfrau nicht genug verdient und für ihre Tochter Mary sorgen muss. Aber dann gelingt es Alice doch, Harbours Aufmerksamkeit zu erregen, und gleich wird geheiratet. Jemand wie Harbour würde immer gleich heiraten.
Die Anwesenheit von Mutter und Tochter tut auch Wilbur gut: Mary und Alice mögen ihn, er mag besonders Alice – vielleicht etwas mehr, als er sollte. So könnte es weitergehen im winterlichen Glasgow, wo es keine Sonne zu geben scheint. Und drinnen kein Licht, das wird von den vielen Büchern geschluckt.
Konsequent lässt Scherfig ihre Figuren im Dunkeln und setzt damit deren Hilf- und Orientierungslosigkeit ins Bild. Die Lebensangst lässt keine Zeit zum Grübeln. Und so ist das, was die vier Hauptpersonen aneinander bindet, ein System, in dem jede von ihnen auf die anderen aufpasst. Im Grunde gibt es in Scherfigs Welt keine Monster, sondern nur harmlose Sonderlinge. In „Wilbur Wants to Kill Himself“ wird leise gesprochen, große Emotionen kommen nicht vor, überhaupt nichts ist groß. Scherfig hat mit ziemlich unauffälligen Schauspielern gedreht, aber sie schafft es, sie immer attraktiver werden zu lassen. Verhärmte Gesichter beginnen zu leuchten, Mundwinkel werden vorsichtig nach oben gezogen, Stirnen glätten sich.
Und da sich Scherfig den Dogma-Regeln, zu deren glühendsten Verfechtern sie nie gehörte, nicht mehr verpflichtet fühlt, ist dieser Film ein bisschen weniger realistisch geraten als sein Vorgänger. Ausgeleuchtet wie ein Dogma-Film, schwelgt er in prachtvollen Interieurs und Kostümen. Gelegentlich denkt man, dass es sich um ein Märchen handelt – nicht um ein Fantasyprodukt wie „Harry Potter“ oder „Herr der Ringe“, sondern um ein altmodisches Märchen für Erwachsene. Während man „Italienisch für Anfänger“ mochte, weil er so schöne, wahrscheinliche und einfache Geschichten erzählte, kann man diesen Film eher mögen, weil er so eine schöne, unwahrscheinliche und etwas zu komplizierte Geschichte erzählt.
In sieben Berliner Kinos, OV im CineStar Sony-Center, OmU im Odeon
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