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Zitatezirkus: Eine Seite aus dem besprochenen Band.
© Panini

Literatur-Comic: Schnitzeljagd mit Harry Potter

„Die Liga der außergewöhnlichen Gentlemen“ kommt im Jahr 2009 an. Viel übrig ist in der jetzt auf Deutsch veröffentlichten neuen Folge allerdings nicht mehr – weder von der Truppe selbst, noch von der Freude, die frühere Geschichten aus Alan Moores Zitatereigen zu erzeugen wussten.

Diesmal also Harry Potter. Wer die beiden vorangegangenen postmodernen Zitatezirkusnummern von Alan Moore's „Century“-Triologie, namentlich „1910“ und „1969“ aufmerksam – man muss es so sagen – studiert hat, wird wenig überrascht sein. Dass dem Zauberlehrling eine entscheidende Rolle im jüngst auf Englisch erschienenen abschließenden Band zukommt, war zu erwarten gewesen, denn Anspielungen auf Joanne K Rowlings Bücher gab es bereits einige in der Geschichte über die aus literarischen Figuren zusammengesetzten Agententruppe.

„2009“ beginnt aber nicht in Hogwarts, Harry Potters Zauberinternat, es beginnt auf einem Schlachtfeld im Nahen Osten. Der ewige Kämpfer Orlando hat einen Aussetzer gehabt und ein Massaker angerichtet. Doch statt für die toten Kameraden und etliche Kollateralschäden zur Verantwortung gezogen zu werden, soll er einen Orden erhalten.

Es ist ein zynischer Anfangston, und er klingt weiter bis zur letzten Seite des Buches, in dem Moore seinen gesammelten Ekel vor der Gegenwart auskippt. „I just hadn't realised the world was like this now“, sagt Mina Harker, als sie nach Jahren aus der geschlossenen Psychiatrie geholt wird. Orlando, das unsterbliche Zwitterwesen, das seit der Rückkehr von der Front wieder in Frauengestalt unterwegs ist und fast das erste Drittel des Buches alleine bestreitet, ätzt: „Yeah, everybody had high hopes in the Sixties, didn't they?“. Allan Quatermain, das dritte verbleibende Mitglied der Truppe, hat gleich ganz auf- und sich selbst dem Heroin ergeben. So weit, so bedrückend.

Trotzdem strotzt natürlich auch der aktuelle Band wieder vor quietschbunten Anspielungen auf die Populärkultur: Das Land in dem Orlando anfangs kämpft heißt Q'mar, wie der Iran in der Serie „West Wing“, an Londons Häuserwänden werben Poster für die Band Drive Shaft aus der TV-Serie „Lost“, beim MI5 laufen Daniel Craig und Roger Moore durch die Gänge. Das sind die offensichtlichen Spielchen. Vieles, was darüber hinausgeht, ist nur von Experten für englische Fernsehserien, Londoner mit viel Ortskenntnis oder natürlich die Leser von Jess Nevins' ausufernden Erläuterungen zu entschlüsseln.

Um ein paar Kraftausdrücke ärmer: Das Cover der deutschen Ausgabe.
Um ein paar Kraftausdrücke ärmer: Das Cover der deutschen Ausgabe.
© Panini

Mehr noch als beim vorangegangenen Band kann man sich diesmal jedoch nicht des Eindrucks erwehren, dass das Suchspiel mehr und mehr der Hauptzweck der Reihe geworden ist und Moore und O'Neill wichtiger war, jedes Panel mit Zitaten und Anspielungen auszuschmücken, als einen spannenden Plot zu entwerfen. War „1910“ noch gleichermaßen Spiel mit dem Stoff der „Dreigroschenoper“ und spannende Rache-Geschichte, weiß man jetzt gar nicht, was die Story eigentlich ist. Ja, der nicht zu verhindern gewesene Antichrist erscheint endlich, und am Ende rummst es laut, aber es fehlt jeglicher Spannungsbogen. Dass Zeichner Kevin O'Neill nach der sehr zweidimensional geratenen Kolorierung von „1969“ wieder Lust am Schattieren gefunden hat, ist schön anzusehen. Sehr schön sogar. Um die Klasse des ersten „Century“-Bandes oder gar der ersten zwei Bücher zu erreichen, reicht das alleine aber bei weitem nicht aus. Da hilft auch die anständige Übersetzung wenig, die eine Menge Kraftausdrücke tilgt, aber es dafür schafft, sogar bei den Liedtexten nah am Original zu bleiben.

Was bleibt, ist ein desillusionierender Abgesang auf die Moderne – allerdings schlussendlich kein besonders spannender und in seinem Pessimismus eher lähmender als aufstachelnder. Wer vom Finale des aktuellen Handlungsbogens mehr erwartet als nur die literarische Schnitzeljagd, dürfte enttäuscht werden.

Alan Moore & Kevin O'Neill: „Die Liga der außergewöhnlichen Gentlemen - 2009“, Panini Comics, 84 Seiten, 12,95 Euro.

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