Brasch-Filme: Schmerz im Auge
Aus der Zeit gefallen: zum 10. Todestag von Thomas Brasch ein Porträt und eine DVD-Edition
Sein Ort war die Ortlosigkeit. Vielleicht ist das die natürliche Bleibe für einen Schriftsteller. Denn dass das kein Beruf ist, wie man Journalist oder Fleischermeister werden kann, war Thomas Brasch immer klar. Es handele sich vielmehr um einen „wiederkehrenden Zustand“, hat er gesagt.
Und der ist wohl Zuflucht und Martyrium zugleich: eine Selbstauslieferung. So entstand in den 90er Jahren Braschs „Mädchenmörder Brunke“: 15 000 Seiten, die authentische Geschichte eines Bankangestellten und verhinderten Bühnenautors, der ersatzweise zum Verbrecher wird. Dass der Kriminelle ein Spezialfall des Künstlers ist wie wohl auch der Künstler ein Spezialfall des Kriminellen – zwei, die ganz auf ihr eigenes Risiko leben – war sein Thema seit dem grandiosen Kinoerstling „Engel aus Eisen“ mit einem großartigen Hilmar Thate in der Hauptrolle.
Von den 15 000 Seiten des „Mädchenmörders Brunke“ veröffentlichte sein Verlag 1999 ganze 80, probeweise. Der Name des einstigen Erfolgsautors, dessen Buch „Vor den Vätern sterben die Söhne“ in mehrere Sprachen übersetzt worden war, des Erfolgsregisseurs, der in den Achtzigern sogar Tony Curtis zum Brasch-Schauspieler machte (in „Der Passagier – Welcome to Germany“), war über Nacht verblasst. Als sei er übrig geblieben aus einer anderen Zeit. Vielleicht kommt einem bei 15 000 ungedruckten Seiten der Tod irgendwann wie Erlösung vor. Und was Zuflucht war, ist Fluch geworden.
Heute vor zehn Jahren, am 3. November 2001, starb Thomas Brasch in Berlin, 56 Jahre alt. Er war tatsächlich aus der Zeit gefallen. Bitterer, auswegloser gesagt: Er passte nicht in die deutsche Einheit. Denn seine Ortlosigkeit war immer schon eine doppelte gewesen. Alle Frontlinien einer Epoche verliefen hier durch ein einzelnes Menschenleben.
Geboren wurde er am 19. Februar 1945 in Westow/Yorkshire. Sein Vater, der jüdische Textilfabrikantensohn Horst Brasch hatte in London die „Freie Deutsche Jugend“ mitgegründet. Horst Brasch wurde der große Schatten über dem Leben seines Sohnes. Der sprach fließend Hebräisch, er sollte Rabbiner werden, aber Horst Brasch wurde zum Rabbiner der Weltrevolution, nur ohne das rabbinische Wissen um die Relativität aller Dinge: Was den Juden geschehen war, war ihm – wie so vielen anderen – nur durch einen Konstruktionsfehler in den Grundlagen der Welt erklärbar. Wahrscheinlich glaubte der Vater, wer an den Grundlagen der Welt operiert, muss hart sein. So steckte er seine kleinen Söhne mitten im Sozialismus in eine Kadettenschule der NVA. Das Vater-Sohn-Drama begann.
Der Abiturient Thomas verweigerte später die Verpflichtung, freiwillig zur NVA zu gehen. Und als er 1968 mit Freunden Flugblätter gegen die russischen Panzer in Prag verteilte, verriet ihn der eigene Vater – inzwischen stellvertretender Kulturminister – an die Staatssicherheit. Gefängnis. Freilassung. „Bewährung in der Produktion“. Schließlich Ausreise in den Westen.
Erst dort konnte „Vor den Vätern sterben die Söhne“ erscheinen. Was der einen Seite der Verräter Brasch war, war auf der anderen nun der Dissident. Zwei korrespondierende Missverständnisse, die seine Ortlosigkeit verstärkten. Den bundesdeutschen Pass hat er immer abgelehnt. Im Sommer 1989 ging er, der 1976 ein Visum „zur einmaligen Ausreise“ aus der DDR erhalten hatte – Rückkehr nicht vorgesehen –, neben Margot Honecker hinter dem Sarg seines Vaters.
Und doch, was weiß man über ein Leben, wenn man bloß seine Stationen kennt? Nicht viel, weiß Christoph Rüter, dessen eindringliches Porträt „Brasch. Das Wünschen und das Fürchten“ nun ins Kino kommt. „Der Konflikt war sein Leben, der Schmerz sein Auge, die Wunde der Kontakt zur Außenwelt“, sagt Rüter. Und alldem – der ungemilderten Existenzform Brasch also – setzt der Film uns aus. Nichts von den üblichen Vergangenheitsvergewisserungen, schon gar keine Gespräche mit Zeitzeugen. Hier redet nur einer, sagt Rüter, und das ist Brasch selbst.
Sie waren befreundet. Brasch hat die Kamera des Freundes bewusst zur Zeugin seines langsamen Sterbens an sich selbst gemacht, beginnend mit dem Einzug in seine letzte, viel zu teure Wohnung am Schiffbauerdamm. Die grundlegende Überlebensfähigkeit aller Ortlosen, Luftwurzeln zu schlagen (Hanns Zischler über Brasch), hatte er da längst verloren.
Die Filmedition Suhrkamp, diese großartige Reihe, hat nun Braschs Kinowerk neu herausgebracht, vier Filme, nicht mehr, nicht weniger. Wiederzuentdecken ist – von „Engel aus Eisen“ über „Domino“ und „Mercedes“ bis zu „Der Passagier “ – ein unverwechselbarer maximalistischer Minimalismus, jedes Genre unterlaufend, ganz der Macht der Bilder vertrauend.
„Brasch. Das Wünschen und das Fürchten“: Hackesche Höfe, Lichtblick. – Als DVD-Box: „Thomas Brasch. Die Filme“, (hg. von Martina Hanf, 4 Filme, dazu ein Booklet u.a. mit einem Essay von Hanns Zischler), Filmedition Suhrkamp.
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