Weidermanns "Buch der Verbrannten Bücher": Schlump. Wer das wohl ist?
Vor 75 Jahren brannten die Bücher: Zwei Porträtsammlungen erinnern an vergessene Dichter
Oskar Maria Graf bot den Nazis einfach frech die Stirn, als seine Bücher am 10. Mai 1933 auf dem Opernplatz in Berlin in Flammen aufgingen. „Verbrennt mich!“, schrieb er, „verbrennt die Werke des deutschen Geistes! Er selber wird unauslöschlich sein wie eure Schmach!“ Der den Nazis nahe stehende Schriftsteller Erich Ebermayer sah das Ganze dagegen sportlich. Er empfand Enttäuschung darüber, am Ende wohl von Goebbels selbst wieder von der Liste gestrichen worden zu sein: „Ich bin nicht dabei. Nicht gefährlich, nicht ,berühmt’ genug. Ich werde auf kaltem Wege abgewürgt. Nicht durch die läuternde Flamme.“
Graf und Ebermayer sind mit ihren Reaktionen aber die Ausnahmen. Als in dieser Mainacht vor allem auf intensives Betreiben der „Deutschen Studentenschaft“ die Bücher von über dreihundert Autoren öffentlich verbrannt werden, ist das Entsetzen groß. Die meisten Autoren sind sich der schlimmen Konsequenzen bewusst und suchen nach Wegen, das Land zu verlassen. Und ein großer Teil gerät früher oder später tatsächlich in Vergessenheit – Oskar Maria Grafs beschworener „unauslöschlicher Geist“ hin, der Untergang des „Dritten Reiches“ zwölf Jahre später her. Die Nazis hatten ganze Arbeit geleistet, das Exil und die Kriegswirren taten ihr Übriges. Auch nach 1945 hatten es die vertriebenen Schriftsteller schwer, Gehör zu finden und sich auf einem neu entstehenden literarischen Markt zu etablieren. Die Gruppe 47 zum Beispiel empfand sich als „junge Gruppe“, beharrte auf einem Neuanfang und wurde ziemlich schnell wichtig und meinungsbildend; Exildichter hatten bei ihr keine Chance.
Es dauerte über dreißig Jahre, bis sich zumindest die Bundesrepublik ihrer vergessenen, verlorenen, verbrannten Dichter wieder bewusst wurde. 1977 veröffentlichte der „Stern“-Reporter Jürgen Serke in seinem Buch „Die verbrannten Dichter“ dreißig Porträts von Schriftstellern, deren Werk den Nazis zum Opfer gefallen war. Diese lebten mitunter noch und waren von Serke aufgesucht worden.
Weitere dreißig Jahre später sind nun, neben der im Hildesheimer Olms Verlag gerade mit zehn Bänden gestarteten „Bibliothek verbrannter Bücher“, zwei weitere Werke erschienen, die in den Spuren von Serke an die verbrannten und vergessenen Dichter erinnern wollen: Volker Weidermanns „Buch der verbrannten Bücher“ und Armin Strohmeyrs Porträtsammlung „Verlorene Generation“. Wie Serke haben der bei der „FAS“ das Feuilleton leitende Weidermann und der freie Publizist Strohmeyr keinen explizit literaturwissenschaftlichen Anspruch. Vielmehr vermitteln sie Lektüreerfahrungen, erzählen mehr oder weniger knapp dramatisch-verschlungene Lebensgeschichten. Strohmeyr stellt dreißig von den Nazis auf verschiedenste Weise zum Verstummen gebrachte Dichterinnen und Dichter vor, von Ferdinand Heydekopf über Hermynia Zur Mühlen bis zu Gina Kaus. Volker Weidermann dagegen arbeitet komplett die schwarze Liste ab, die der Nazi-Bibliothekar Wolfgang Herrmann für die „Schöne Literatur“ erstellt hatte. 131 Autoren standen darauf, 94 deutschsprachige, 37 fremdsprachige. Sie alle hat Weidermann untergebracht – die fremdsprachigen eher sehr kurz in einem Kapitel, zum Teil nur namentlich erwähnt, die deutschsprachigen allesamt mittels kleiner Porträts von zwei bis sechs Seiten.
Von Aufbau, Form und Stil gleicht Weidermanns Buch seiner vor zwei Jahren erschienenen, gerade wegen der Form und des höchst subjektiven Ansatzes viel debattierten kurzen Nachkriegsliteraturgeschichte „Lichtjahre“. Die Autoren hat er in Gruppen gebündelt, unter Überschriften wie „Die fantastischen 3“ oder „Wirklichkeit vom sensationellen Rang“, was manchmal sinnvoll ist, manchmal willkürlich erscheint. Geschrieben ist das dann alles wieder rasant und lässig, der Kürze der Kapitel angemessen, in denen ja viel untergebracht werden muss. Dabei ist Weidermann um schnelle Urteile genauso wenig verlegen wie er keine Scheu vorm Ich-Sagen kennt: „Und dann also Schlump. Wer möchte das wohl sein?“, beginnt ein Porträt, ein anderes: „Ich frage mich, was hat der Otto Linck (1892–1985) getan? Er lebte als Forstmeister in Güglingen in Württemberg und schrieb dort. Gemütvolle Geschichten, würde ich sagen.“ Ein weiteres: „Auch die Bücher von Adrienne Thomas (1897–1980) sind stark gefühlt und ziemlich schwach geschrieben.“
Zack, zack, zack, keine Atempause, Biografien werden gemacht. Weidermann tippt an, weckt Neugier, verschafft Kicks. Zuweilen hinterlässt er auch Ratlosigkeit, etwa wenn ein Text über Ivan Goll hauptsächlich aus Fremd- und Goll-Zitaten besteht. Insgesamt verschafft sein Buch aber ein lebendiges Bild über die Vielfalt des literarischen Lebens der zwanziger und dreißiger Jahre, gerade auch wegen des gleichberechtigten Nebeneinanders von mittelmäßigen und berühmten Autoren, von den Nazis wohlgesonnenen Autoren wie Waldemar Bonsels oder Friedrich Michael und solchen wie Heinrich Mann oder Alfred Döblin. Man erfährt, wie willkürlich die Liste Wolfgangs Herrmanns letztlich war, und auch, wer Weidermanns Fixsterne sind, da sie in so gut wie jedem Text auftauchen: Thomas Mann und Joseph Roth.
Armin Strohmeyr ist naturgemäß betulicher, weniger wertend, aber vollständiger, gerade wenn man sich die acht Porträts anschaut, die sich bei ihm wie Weidermann finden. Es ist da schon aufschlussreich, dass der Schriftsteller Alexander Moritz Frey mit Adolf Hitler nicht nur im selben Weltkriegsregiment war, sondern diesen als Sanitäter eigenhändig behandelte und später seine Erfahrungen mit Hitler in Erzählungen und Romanen sowie in einem in seinem Nachlass gefundenen Text mit dem Titel „Der unbekannte Gefreite – persönliche Erinnerungen an Hitler“ verarbeitete. Auch in seinem Porträt über Walter Hasenclever vermittelt Strohmeyr, dass dieser keineswegs, wie Weidermann suggeriert, nur der sogenannte Zwillingsbruder von Ernst Toller war. Das ist eben die Gefahr, in die sich Weidermann mit seinem allumfassenden Ansatz durchaus mutig begibt: Er muss sich radikal beschränken und Lücken lassen. Das macht er unterhaltsam, aber sein Buch ist doch mehr Lesebuch als wirklich ergiebiges Nachschlagewerk.
Irritierender bei paralleler Lektüre aber ist so manche biografische Ungereimtheit. Alexander Moritz Frey stirbt bei Weidermann 1957 in Basel, bei Strohmeyr in Zürich. Adrienne Thomas wird bei Weidermann 1897 unter dem Namen Hertha Adrienne Strauch geboren, bei Strohmeyr erklärt sie ihr Pseudonym so: „In meiner Familie gab es den Namen Thomas. Und Adrienne hat mir gefallen. Das ist ein internationaler Name. Der kann überall richtig ausgesprochen werden.“ Und bei Weidermann ohrfeigt Leonhard Frank 1915 den Journalisten Felix Stössinger, nachdem dieser den Angriff deutscher U-Boote auf ein englisches Passagierschiff als „größte Heldentat der Menschheitsgeschichte“ bezeichnet hatte. Bei Strohmeyr ist es der Kritiker Alfred Kerr, den Frank ohrfeigt.
Das mögen Petitessen sein, Flüchtigkeitsfehler; nicht zuletzt weisen sie darauf hin, wie schwer die Recherche gewesen sein muss, wie vergessen manche Autoren wirklich sind. Verdienstvoll sind Weidermanns und Strohmeyrs Bücher allemal. Und vielleicht regen sie nicht nur dazu an, die Bücher des einen oder anderen tatsächlich zu entdecken. Sondern auch dazu, mit ähnlichen Vorhaben die seinerzeit ebenfalls mitverbrannten Sachbücher, politischen Bücher und Jugendbücher und deren Autoren vor dem Vergessen zu bewahren.
Volker Weidermann: Das Buch der verbrannten Bücher. Verlag Kiepenheuer und Witsch, Köln 2008, 256 S., 18, 90€
Armin Strohmeyr: Verlorene Generation. Atrium, Zürich 2008, 446 S., 24, 90€
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