Schlingensief-Auktion: Schlingensief: Liebesbotschaften für Afrika
„Auktion 3000“ für Christoph Schlingensiefs Operndorf: Im Hamburger Bahnhof werden über 80 Kunstwerke versteigert.
ie Geschichte ist schon oft erzählt worden, aber sie wird immer besser. Eine Vision konkretisiert sich, ein Traum wächst aus dem Boden. In Bayreuth inszeniert Christoph Schlingensief den „Parsifal“. Der Wagner-Gral zieht in magisch an, stößt ihn ab, die Aufführung schafft dem Festspiel auf dem Grünen Hügel viele neue Freunde. Schlingensief wird die Idee nicht mehr los, ein Festspielhaus in Afrika zu gründen. Im Februar 2010 legt er den Grundstein für sein Operndorf in die Erde von Burkina Faso, auf einem Plateau bei der Hauptstadt Ouagadougou. Ein halbes Jahr später stirbt Christoph Schlingensief an seinem Krebs in Berlin.
Der Rest ist nicht Schweigen, sondern ein Wunder: Bereits im Oktober 2011 wird der erste Bauabschnitt des Schlingensief-Dorfes Remdoogoo abgeschlossen und eine Schule eröffnet. 50 Kinder aus der Umgebung gehen dort zum Unterricht. Niemand hätte so etwas für möglich gehalten. Doch die Reizwortkombination Oper und Dorf, Oper und Afrika hat funktioniert und ebenso viel Enthusiasmus wie Skepsis ausgelöst. Die Zweifel schwinden. Aino Laberenz, Schlingensiefs Witwe, ist die Bauherrin. Wenn sie „ich“ sagt, „ich fliege nach Burkina“ oder „ich kümmere mich“, dann heißt das „wir“, meint all die Helfer und Berater, die an ihrer Seite stehen – und etwas vom großen Christoph-Ich ist auch übergegangen auf sie nach seinem Tod. Etwas von seiner Fantasiekraft, seiner Energie.
Wie anders hätte sie es sonst ins Werk gesetzt, was den verblüfften Besucher da jetzt im Hamburger Bahnhof erwartet? Eine Ausstellung zeitgenössischer Kunst, kraftvoll und prominent, ein großer Miniaturbahnhof mehr oder weniger zufälliger Selbstinszenierungen und Schlingensief-Referenzen. Glücklich wie ein Kind vor einer riesigen Geburtstagsparty geht Aino Laberenz durch die Räume. Nicht einmal drei Monate hat die Beschaffung gedauert, und es geht immer noch weiter. „Wir erwarten nachher Jürgen Teller, den Fotografen.“ Auch er will dabei sein, etwas spenden. Sie hat Favoriten; das Foto eines „Gasherds“ von Andreas Gursky, blaue Flammen bilden eine Aureole; ein Werk von Matthew Barney mit Katze; ein tänzerisches Diagramm von Marina Abramovic. Im Grunde würde sie all diese Arbeiten, die private Sammler, Galerien und Künstler dem Operndorf-Projekt zur Verfügung gestellt haben, mit nach Hause nehmen. So gerührt ist sie.
Und als Geschäftsfrau sieht sie auch das Potenzial an den Wänden. Die reichlich achtzig Werke, im Westflügel zu sehen, sind zur Versteigerung in den Hamburger Bahnhof gekommen; Schätzwert insgesamt eine Million Euro. Mit dem Erlös der „Auktion 3000“ soll der zweite Bauabschnitt des afrikanischen Dorfes finanziert werden, vor allem eine Krankenstation. Was das mit Oper zu tun hat? Christoph Schlingensief war begeistert vom „erweiterten Opernbegriff“. Eines Tages soll es in Remdoogoo auch Aufführungen geben, Kino, was man hierzulande unter Kultur versteht. Francis Kérè, der Architekt aus Burkina Faso, hat mit Schlingensief zusammen die Bühne entworfen, ein leichtes, luftiges, spriralförmiges Zauberhaus, das schon als ungebautes Projekt nach Deutschland zurückstrahlte.
Die Benefiz-Auktion im Hamburger Bahnhof wird von Peter Raue zelebriert, der sich auch um den Fortgang der Bauarbeiten im Operndorf kümmert. Sie wird unterstützt vom Berliner Museumsdirektor Udo Kittelmann, Klaus Biesenbach (MoMA) und Chris Dercon (Tate Modern), der von Schlingensief sagt, er habe sich weder für die Aufteilung der Kunstsparten noch für deren Auflösung interessiert: „Er ließ sich einfach nur nichts vorschreiben.“ Oder er hat sich für so vieles, wenn nicht alles interessiert. Film, Theater, Performance, Bildende Kunst, Fernsehen. Wenn Schlingensiefs spektakuläre Aktivitäten auf der Bühne seine Arbeiten in Museen und Galerien überlagert haben, dann zeigen die gut gefüllten Räume im Hamburger Bahnhof die Wertschätzung, die er bis heute unter Bildenden Künstlern genießt. Eberhard Havekost, Rebecca Horn, Christo, Gotthard Graubner, Günther Uecker, Sigmar Polke, Pipilotti Rist, Wolfgang Tillmans – sie alle sind vertreten.
Man begreift hier auch, warum Schlingensief den deutschen Pavillon auf der Biennale von Venedig gestalten sollte. Seine überschäumende Art hat auch den durchkuratierten Kunstbetrieb begeistert. Davon zeugt Katharina Sieverdings blau-schwarz glühendes Himmelsgestirn „Die Sonne um Mitternacht schauen“. Ganz unmittelbar auf die Person bezieht sich Patti Smith mit ihrer Zeichnung für Christ/oph. In zarter Schrift hat die Sängerin und Poetin auf einer zwei mal ein Meter großen Platte Wörter und Zeichen hinterlassen; „love“ und „memory“ und „stratosphere“, eine Liebesbotschaft. In München haben die beiden 2010 gemeinsam ausgestellt.
Und als ob er selbst dastünde, befindet sich unter den Auktionsobjekten auch ein Kostüm seiner „Bambiland“-Inszenierung am Wiener Burgtheater (2003). Teufelsrote Plateaustiefel, Brustpanzer, Federbusch, so raste er damals über die Bühne, wirbelte die Kunst- und Kulturgeschichte auf. Schlingensief war schon immer Oper gewesen, lange vor Bayreuth, große Oper: im Lächerlichen wie im Grandiosen. Im Leben wie im Tod.
Die „Auktion 3000“ für das Operndorf findet am 8. 3. um 20 Uhr im Hamburger Bahnhof statt. Die Arbeiten sind bis zum 4. 3. dort zu besichtigen.
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