James Blake: Schlaumeister: James Blake in Berlin
Schlau, schön, großartig: James Blake spielt im Berliner Tempodrom ein rundes, reifes Konzert, jenseits jeglicher Allüren oder introspektiver Trauerkloßhaftigkeiten.
Als Wunderkind gepriesen und als bürgerschnöseliger Dubstep-Parasit verunglimpft: James Blake ist erst 25 Jahre alt und hat doch schon ein recht großes Packerl auf dem Buckel. Im Frühjahr dieses Jahres hat er trotzdem ein zweites Album vorgelegt, das besser, souveräner und unabhängiger ist als sein gefeiertes erstes. War seine Berliner Live-Premiere 2011 ein bereits heute mythischer Berghain-Auftritt im Kreise Eingeweihter, gibt er sich diesmal im Tempodrom deutlich zugänglicher und weniger verschworen. Wer sakrale Ehrfurcht aufbauen möchte, muss viel guten Willen mitbringen: Karobehemdete Brandenburger plaudern auch, wenn Blake seine begnadet ephemere, schrundig-erzengelhafte Stimme erklingen lässt, Bierselige schleppten während der gesamten anderthalb Konzertstunden Becher durchs Rund.
Blake lässt sich nicht stören, lobt freundlich den Sound (zu Recht) und spielt mit seinen beiden Mitmusikern ein rundes, reifes Konzert jenseits jeglicher Allüren oder introspektiver Trauerkloßhaftigkeiten. Die Dramaturgie wird bestimmt von einem wohlbalancierten Potpourri aus Älterem und Neuerem: fünf Mal erstes Album, acht Mal neues Album plus die beiden ersten Hitsingles sowie das bewährte Joni-Mitchell-Cover „A Case Of You“.
Überaus gelungen die Lichtregie: In einer die Bühne nach hinten begrenzenden Stellage glimmen mal Glühkerzen, mal Katzenaugen, dann wieder wird alles in Kupferlicht getaucht, Strahlenbündel wandern durch den Nebel, und zur Textzeile „Suddenly I’m hit“ blenden Strahler die Menge. Das alles aber ist immer Tableau, totale Immersion scheint nicht das Ziel. Das verhindert schon Perkussionist Ben Assiter. Sein Spiel ist stark nach vorn gemischt und erzeugt mit schneidender Snare und boshaft scheppernder Hi-Hat eine unerbittliche Atemlosigkeit, die besonders die erste Hälfte fast hektisch, aber eben auch angenehm unsakral macht.
Immer weiter entfernt sich Blake von seinem Trademark-Sound
Wunderbar: Die Leuchttürme des Blake’schen Œuvres kommen sämtlich renoviert daher. Im 2010er-Track „CMYK“ wird das prägnante Kelis-Sample erst panisch gepitcht, dann aber grinsend in einen Kuduro-Beat überführt. Das Feist-Cover „Limit To Your Love“, die Basis für Blakes Ruhms, bricht aus in ein mit Dancehall-Fanfaren versetztes Freejazz-Intermezzo. Nach einer Verbeugung vor Berlin – „Die Musik, die aus Berlin kommt, inspiriert uns alle“ – entfernt sich James Blake im letzten Konzertdrittel noch weiter von seinem Markenzeichen-Mix aus dumpfschmerzlichen Pianoballaden und dem Dubstep entlehnten Bass-Noise-Gewittern. „Air & Lack Thereof“, präsentiert er als schnittige Techno-Variante, und „Voyeur“ huldigt sowohl funktionalem Four-to-the-Floor als auch Kuhglocken-House.
Schlau, schön, großartig. Und mit der Zugabe, einer sich zur Mehrstimmigkeit geschichteten A-cappella-Version von „Measurements“, bedient Blake dann doch noch die Sakraljünger. Als alle Stimmen gesampelt und geschichtet sind, lässt er sein Gerät weitermachen und verschwindet.
Kirsten Riesselmann
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