Nahost-Konflikt: Schlange stehen in der Hölle
„Oliven und Asche“: 26 internationale Autorinnen und Autoren wie Dave Eggers, Rachel Kushner, Taiye Selasi oder Mario Vargas Llosa berichten über Palästina.
Der irre Donald Trump macht jetzt ernst, wieder einmal. Er will die US-Botschaft in Israel von Tel Aviv nach Jerusalem verlegen und Jerusalem als Hauptstadt Israels anerkennen, was beides wegen des ungeklärten Status’ Jerusalems und der Friedensverhandlungen zwischen Israelis und Palästinensern von den USA bislang nie in die Tat umgesetzt wurde. Und die Palästinenser? Haben schon vor „gefährlichen Konsequenzen“ gewarnt, zu „Tagen des Zorns“ aufgerufen.
Die Situation ist so brisant wie lange nicht – und doch mögen viele denken: Ach, schon wieder, hört das denn nie auf!, um sich dann anderen Dingen zu widmen. So wie lange Zeit auch die 1964 in Jerusalem geborene amerikanische Schriftstellerin Ayelet Waldman, die schon Anfang, Mitte der neunziger Jahre der unablässigen Automatismen von Vergeltung und Gegenvergeltung in Israel und dem Nahen Osten überdrüssig war und das tat, „was so viele in der neutralen Mitte machten: Wir wandten den Blick ab. Wir stiegen aus der Diskussion aus und blieben dem Land fern.“
Das schreibt Waldman im Vorwort zu dem Buch „Oliven und Asche“, das sie zusammen mit ihrem hierzulande vermutlich bekannteren Schriftsteller-Kollegen und Ehemann Michael Chabon herausgegeben hat: Schriftsteller und Schriftstellerinnen berichten darin über die israelische Besatzung in Palästina. Nachdem Waldman 2014 erstmals wieder in Israel bei einem Literaturfestival war und sich vor allem in Tel Aviv sehr wohl gefühlt hatte, hatte sie den Eindruck, „in gewisser Hinsicht auch die Verantwortung für die Verbrechen und Ungerechtigkeiten“ zu tragen – und nahm so nach fast einem Vierteljahrhundert die Diskussion erneut auf.
Sie und Chabon organisierten mit der von ehemaligen israelischen Soldaten gegründeten und die Besatzung bekämpfenden Organisation „Breaking The Silence“ Reisen namhafter Autorinnen und Autoren nach Israel, 24 an der Zahl, von Taiye Selasi und Rachel Kushner über Mario Vargas Llosa und Colm Tólbin bis hin zu Dave Eggers und Colum McCann. „Keinerlei politische Erwartungen an die Autoren“ hätten sie gehabt, schreibt Waldman noch, und doch ist die Perspektive, die die Autoren und Autorinnen in ihren Reportagen und Essays größtenteils einnehmen, jene der Menschen in den von Israel besetzten Gebieten, im West-Jordanland, in Gaza oder Ost-Jerusalem.
Allein, wie Michael Chabon das Schicksal des in Amerika geborenen und ins Land seines Vaters zurückgekehrten Unternehmers Sam Bahour aufzeichnet, offenbart den ganzen Wahnwitz und die Tragik der in den besetzten Gebieten lebenden Bevölkerung. Irgendwann nützt Bahour sein amerikanischer Reisepass nichts mehr, da bekommt er einen Stempel mit der Aufenthaltserlaubnis für das Westjordanland verpasst, der alle anderen Vorteile für ihn quasi außer Kraft setzt: „Ich wohne also im Käfig Ramallah, ganz genau steht hier Käfig Al-Bireh. Das heißt, dass ich nicht in den Käfig Gaza kann, obwohl Gaza ebenfalls besetzt ist. Ich kann auch nicht in den Käfig Ost-Jerusalem, auch wenn Jerusalem genauso besetzt ist. Ich kann nicht mal in 40 Prozent des Jordantals. Dort ist der Zutritt allen verboten, die nicht ihren Wohnsitz im Jordantal haben.“
So wie Chabon mit Bahour immer weiter in dessen Lebens-Labyrinth herumirrt, einem Labyrinth, das aus Genehmigungen, Passierscheinen und unterschiedlichen Autokennzeichen besteht, aus schlechten Telefonnetzen und den Schwierigkeiten, in Ramallah ein modernes Einkaufszentrum zu finanzieren und zu bauen, so begleiten viele andere der Schriftstellerinnen den Alltag der Palästinenser. Rachel Kushner ist mit einer Art Jugendbetreuer im Flüchtlingslager Shuafat unterwegs („Baha hatte ein rares Charisma, Lagerleiter-Charisma könnte man sagen“) und beobachtet wie nebenher den Drogenhandel dort, direkt am israelischen Checkpoint; Eva Menasse versetzt sich in die Lage eines achtjährigen Mädchens, dessen Zuhause eines Tages von einem Bulldozer dem Erdboden gleichgemacht wird; Emily Raboteau besucht das Dorf Susiya, dessen Einwohner nach der Entdeckung einer Synagoge aus dem sechsten Jahrhundert vertrieben wurden, ein paar Kilometer weiter, seitdem gibt es ein Dorf mit israelischen Siedlern, das Susiya heißt und eines mit gleichen Namen, das von Palästinensern bewohnt wird.
In ihrer Gesamtheit ergeben die Reportagen ein Pandämonium des Schreckens. Bürokratische und militärische Willkür sowie eine im Vergleich zu Israel ungleich schlechtere Versorgungslage bestimmen das Leben der palästinensischen Bevölkerung. Gerade die Checkpoints machen denen, die in Israel arbeiten, das Leben zusätzlich schwer. Natürlich ist „Oliven und Asche“ parteiisch. Und natürlich weiß man, dass auch das Leben in den israelischen Städten nicht immer ein ruhiges, angenehmes und die Angst vor Terrorakten allgegenwärtig ist. Doch zum einen machen Waldman und Chabon aus ihrer Parteinahme für die Besetzten keinen Hehl, zum anderen kommen hier selbst israelische Siedler zu Wort, gibt es nicht zuletzt in Israel zahlreiche Besatzungsgegner. Überdies ist es ja nicht so, dass die jungen Israelis, die an den Checkpoints und in den Palästinensergebieten ihren Dienst tun, diesen gern ausüben. So wie es Dave Eggers beschreibt: „Sie werden gefühllos, irrational und finden Gefallen an der willkürlichen Ausübung von Macht.“
Auch der norwegische Schriftsteller Lars Saabye Christensen erinnert sich an eine jüdische Freundin seiner Mutter, die 1942 deportiert wurde und in Auschwitz ums Leben kam. Christensen erwähnt den islamischen Fundamentalismus und den IS und stellt fest, dass vor diesem Hintergrund Israel kein Goliath ist (wie gegenüber den Palästinensern), sondern ein David – und schließt das dann mit der Situation in den besetzten Gebieten kurz, mit den „besetzten Worten“ oder was „Besetzung“ vor allem bedeutet: „Schlange stehen. Schlange stehen bedeutet die Hölle. Die Hölle bedeutet Wiederholung: jeden Morgen stets das Gleiche“.
Dave Eggers wiederum, der hier eine beeindruckende Reportage aus dem „Freiluftgefängnis“ Gaza beigesteuert und dafür ein junges Paar begleitet hat, hört häufig, dass es neben Israel und Ägypten auch die Hamas ist, die den Einwohnern des Gazastreifens das Leben erschwert. So sagt ein Landwirt zu ihm: „Die tun nichts. Die sind nicht unsere Regierung. Die Hamas trägt unsere Haut zu Markte“. (Und die Hamas hat dann auch gleich nach Trumps Jerusalem-Beschluss zu einer neuen Intifada aufgerufen).
Von einer „Monotonie“, die diesem Buch in einer Rezension wegen seiner vermeintlich eindeutigen Perspektive schon attestiert wurde, kann keine Rede sein. Vielmehr sorgt der Band für Aufklärung, schärft er das Bewusstsein für die komplexe Gemengelage in der Region – und eben in den Sackgassen, in die sich die Konfliktparteien hineinmanövriert haben. Sie da raus zu bekommen und gerade das Leben der Besetzten, aber auch das der Besetzer, lebenswürdiger, lebenswerter zu machen, ist die Hoffnung, die Waldman, Chabon und Co mit ihren Texten hegen. Doch nach der aktuellsten Lage der Dinge dürfte das einmal mehr nur eine fromme Hoffnung bleiben.
Ayelet Waldman/Michael Chabon (Hrsg): Oliven und Asche. Schriftstellerinnen und Schriftsteller berichten über die israelische Besatzung in Palästina. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2017. 560 S., 28 €.
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