Eigentlich fährt Sebastian Fester nach Namibia, um dort den Markt für touristische Bierreisen zu sondieren. Aus der ehemaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika sollte doch noch etwas herauszuholen sein! Seine delirierenden Tagträume schicken ihn aber immer wieder in die Vergangenheit. Der Gouverneur des „Schutzgebiets“, Theodor Leutwein, der Reeder Adolph Woermann und der Herero-Chief Samuel Maharero geben sich ein fiktives Stelldichein. Und natürlich ist Generalleutnant Lothar von Trotha mit von der Partie. Der hatte vor 100 Jahren den Herero-Aufstand niedergeschlagen, indem er die Krieger mit ihren Familien in die Wüste jagte. Sein Befehl, keine Gefangenen zu machen, beschwor den ersten Genozid der deutschen Geschichte herauf.
Jetzt, da in Namibia eine Liste von Farmen veröffentlich worden ist, deren deutsche Besitzer enteignet werden sollen, beschäftigt man sich in Berlin mit der literarischen Verarbeitung des Kolonialkriegs, den das deutsche Kaiserreich von 1904 bis 1908 gegen die Herero und Nama führte. Zu Gast im Literarischen Colloquium sind Christof Hamann mit „Fester“ (Steidl) und das Autorenduo Andrea Paluch und Robert Habeck. In deren „Schrei der Hyänen“ (Piper) wird die unterbelichtete deutsche Kolonialgeschichte anhand von vier Frauen verschiedener Generationen erzählt – vom Ende des 19. Jahrhunderts bis heute. Hamann dagegen spürt kolonialen Allmachtsfantasien in der Gegenwart nach und verschränkt sie mit anderen deutschen Geschichtstraumata. In Halluzinationen seines Helden Fester hat auch ein gewisser Peter Moor seinen Auftritt. Er ist der Prototyp des deutschen Kolonialabenteurers und Protagonist in Gustav Frenssens finsterem „Feldzugsbericht“ von 1906: „Peter Moors Fahrt nach Südwest“.
Noch in den Zwanzigerjahren hatte das Thema des Herero-Aufstands in einigen Kolonialromanen und zahlreichen Groschenheften seinen festen Platz. Nach dem Zweiten Weltkrieg aber wurde es bald vom Holocaust überblendet. Erst in den letzten Jahren haben Schriftsteller den Blick wieder auf Afrika gerichtet. Der in Namibia geborene Giselher W. Hoffmann beschreibt in „Die schweigenden Feuer“ (1994) den Kolonialkrieg aus der Perspektive der Herero. Im letzten Jahr sorgte der Polit-Cartoonist Gerhard Seyfried mit seinem „Herero“-Roman für Aufsehen. Und Stephan Wackwitz umkreist in „Ein unsichtbares Land“ (2003) auf subtile Weise den Konnex zwischen Völkermord in Afrika und Holocaust. Den ästhetisch avanciertesten und beeindruckendsten Roman hat allerdings ein Amerikaner geschrieben. Thomas Pynchons „V.“ erschien bereits 1961, als man hierzulande die Kolonialgeschichte noch als vernachlässigbares Intermezzo betrachtete.
Eine der wenigen Ausnahmen war Uwe Timm. In „Morenga“ (1978) hat er sich früh mit der deutschen Schuld auf diesem vermeintlichen historischen Nebenschauplatz beschäftigt. Timms langjähriger Lektor Martin Hielscher wird die Veranstaltung am LCB moderieren.
Heute um 20 Uhr im Literarischen Colloquium (Am Sandwerder 5, Wannsee)
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