Kultur: Schatten der Wahrheit
Ein Tag im September: Steven Spielbergs Politthriller „München“
Als im Morgengrauen des 5. September 1972, am 11. Tag der Olympischen Sommerspiele in München, acht Mitglieder der palästinensischen Terrororganisation „Schwarzer September“ über den Zaun des Olympischen Dorfs kletterten und elf israelische Sportler als Geiseln nahmen, schlug die Geburtsstunde eines modernen globalen Krieges, der bis heute andauert. Erstmals wurde die an den Fernsehern versammelte Weltöffentlichkeit zum Zeugen einer gegen Zivilisten gerichteten erpresserischen Aktion: Der Versuch, 234 in Israel einsitzende Palästinenser freizupressen, mündete in ein Blutbad auf dem Flugplatz Fürstenfeldbruck.
Das Zeitalter des Terrorismus, der sich gegen die Zivilgesellschaften richtet und sie zugleich schleichend verroht, hatte begonnen. Damals benutzte er ein Großereignis, um konkrete erpresserische Ziele durchzusetzen; inzwischen schafft er sich – mit dem 11.9.2001 als vorläufig spektakulärstem Höhepunkt – als purer Schrecken die Weltöffentlichkeit selber.
Steven Spielberg geht in seinem von „realen Ereignissen inspirierten“ Spielfilm „München“ an die Anfänge dieses Kriegs zurück. Zugleich könnte sein historischer Stoff aktueller nicht sein. Nur in den packenden Eingangssequenzen, in denen er Dokumentarmaterial mit nachgestellten Szenen vermischt, und in wenigen Rückblenden interessiert er sich für das Attentat selber, bei dem alle elf Geiseln, fünf Terroristen und ein Polizist umkamen. Über diese 23 Stunden – und das katastrophale deutsche Katastrophen-Management – hat Kevin MacDonald 1999 seine oscar-prämierten BBC-Dokumentation „One Day in September“ gedreht.
Spielbergs Thema dagegen sind die Mechanismen der Rache, die tödliche Vergeltungsspirale, die geweiterten und zugleich grausig auf der Stelle trampelnden Feldzüge der Gegenwart. Längst ist der israelisch-palästinensische Konflikt zum amerikanisch-arabischen geworden – und das jüngst fehlgeschlagene, einem Al-Qaida-Führer geltende Bombardement mit Dutzenden toter Zivilisten in Pakistan wirkt wie das ferne, verzweifelt höhnische Echo auf jene Aktionen des israelischen Geheimdienstes Mossad, die nach dem Olympia-Attentat mit der Jagd nach den Drahtziehern begannen.
Ein vom Mossad mit Segen der israelischen Premierministerin Golda Meir beauftragtes Killer-Quintett ist es auch, das Spielberg in den Mittelpunkt von „München“ stellt – und in dessen Zentrum wiederum mit Avner (Eric Bana) einen vergleichsweise jungen Anführer. Doch Avner ist kein geradliniger Exekutor, er zweifelt am Sinn des Tötens und schwört der Gewalt schließlich ab. Am Ende einer Serie von Auftragsmorden siedelt der in Israel Geborene sich mit Frau und Kind in New York an und ist trotz heftigsten Werbens seines Verbindungsoffiziers Ephraim (Geoffrey Rush) nicht zur Rückkehr zu bewegen. „So lange diese Typen leben, sterben Israelis“, versucht Ephraim ihn vom weiteren Undercover-Kampf gegen die Palästinenser zu überzeugen, und Avner antwortet nur: „Es gibt keinen Frieden am Ende von all dem.“
Drehbuchautor Tony Kushner hat unlängst (Tsp. vom 18. 1.) bekräftigt, „München“ sei kein Leitartikel, sondern ein Kunstwerk. Dennoch ist das größte Verdienst des Zweieinhalb-Stunden-Films, der unaufwändig effizient zwischen Action und Psychogramm oszilliert, ein politisches. Der wohl wirkungsmächtigste Jude Hollywoods riskiert es, in seinen Seelenheimaten Amerika und Israel missverstanden zu werden. Prompt haben ihn konservative Kommentatoren in den USA von der Liste der „Freunde Israels“ gestrichen. Kein Wunder: Dem vom Bush-Vergeltungswahn gesteuerten Amerika, das sich in die irakische Terror-Falle begeben hat, und den Hardlinern in Israel kommt „München“ gar nicht zupass. Spielberg redet niemandem nach dem Wort, sondern allen ins Gewissen. Auch den Palästinensern übrigens, zu deren Sympathisanten mancher ihn stempelt, nur weil auch ein PLO-Mann in „München“ seine Sehnsucht nach Heimat formuliert.
Vor dieser Souveränität, die das ewige große Kind Steven Spielberg in neuer, sehr gereifter Rolle zeigt, verblassen alle Einwände. „München“ ist eine eindringliche Metapher auf das Trauma des Terrorismus, das längst das gesamte globale Dorf erfasst hat – da mag die Quellenlage im konkreten Fall noch so umstritten sein. Spielberg und Kushner stützen sich auf das Buch „Vengeance“ (dt.: Schwarzer September) des kanadischen Journalisten George Jonas von 1984. Er will darin die Erlebnisse eines Mossad-Agenten aufgeschrieben haben, der im Film zur Avner-Figur wurde Nur war dieser Yuval Aviv nach unlängst in der „FAZ“ veröffentlichten Recherchen nie beim Mossad, sondern bloß New Yorker Wachmann der israelischen Fluggesellschaft El Al.
Auch der Jerusalemer „Time“-Korrespondent Aaron J. Klein, der mit „Die Rächer“ die bislang historisch seriöseste Annäherung an die Tage von München und die folgenden Vergeltungsjahre vorgelegt hat, hält „Vengeance“ für ein schlampig verfasstes Konvolut, zusammengeschrieben aus bereits bekannten Fakten und angereichert mit blühender Fantasie. So lassen sich die Ungereimtheiten im Detail erklären, die angesichts von „München“ immer wieder stutzig machen. Der Rückgriff des straff organisierten Mossad ausgerechnet auf Sympathisanten der deutschen Terror-Szene, die Meret Becker und Moritz Bleibtreu zu pittoresken Kleinstrollen verhelfen, gehört wohl ebenso dazu wie das Angewiesensein des Mossad-Quintetts auf einen französischen Vater-Sohn-Privatgeheimdienst, der für 200 000 Dollar pro Name immer wieder neue Opfer nennt. Diese French Connection hat es historisch nie gegeben – mit Michael Lonsdale und Matthieu Amalric bringt sie allerdings ordentlich Kolorit ins Geschehen.
Überhaupt agierte nicht ein einziges Mossad-Killerkommando, sondern eine Vielzahl von hit teams mühte sich rund 20 Jahre, die Hintermänner von damals zu liquidieren. Aber: Wollen wir das wissen, wenn die hübsch erfundenen Figuren Avner als Chef, der Fälscher (Hanns Zischler), der Fahrer (Daniel Craig), der Bombenbastler (Matthieu Kassovitz) und der Spurentilger (Ciaran Hinds) so elegant miteinander harmonieren? Und: Wollen wir auch das spannungsreich umgesetzte Eliminierungsbedürfnis der Gegenseite unbedingt historisch verbürgt sehen?
Andererseits, manche ernüchternde Relativierung, die sich vor allem aus den Recherchen Aaron J. Kleins ergibt, ist unbedingt hilfreich – letztlich auch im Sinne des politischen Skeptikers Spielberg. Klein zufolge waren die meisten der PLOOpfer, die der Film als dubiose Hintermänner inszeniert, leicht zu ortende Nebenfiguren des palästinensischen Apparats. Nur einmal, bei der nächtlichen Tötung dreier PLO-Chefs in Beirut, gelang dem Mossad ein wirklicher Schlag – während „München“ die größte Panne, die Ermordung eines mit einem Top-Drahtzieher verwechselten marokkanischen Kellners in Norwegen, unterschlägt.
Aber ein Spielfilm ist ein Spielfilm ist ein Spielfilm – und „München“, überwiegend gedreht in Budapest (für fast alles Mitteleuropäische) und Malta (fürs Mittelmeerische), ist sehr ansehnlich geraten: sparsam und hochwirksam in den Actionszenen, fast verspielt männerbündisch in den Tagen des Leerlaufs. Und zumindest optisch, stilistisch, dramaturgisch mit jenem Augenzwinkern komponiert, das wir von Spielberg kennen: Als wär’s selber ein Film aus jenen siebziger Jahren, als das Schlimme noch ganz in seinen Anfängen war.
„München“ kommt am Donnerstag ins Kino. Literatur: Aaron J. Klein: „Die Rächer“, „Spiegel“-Buch bei DVA, 288 S., 17,90 €; George Jonas: „Schwarzer September“, Knaur, 512 S., 8,95 €; Simon Reeve: „Ein Tag im September“, Heyne, 446 S., 8,95 €.
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