Kunst erleben: Schallwellenbad im Berghain
Wiederbelebung: die Klanginstallation „Eleven Songs“ von „tamtam“, dem Künstlerduo aus Sam Auinger und Hannes Strobl, liefert akustische Abenteuer.
Zwei Jungs sitzen am Rand eines abgenutzten Schwimmbeckens, mit Steinen und Stöckchen versetzen sie das lichtdurchflutete klare Wasser in Bewegung. Immer neue Wellenmuster zeichnen sich flüchtig auf seiner Oberfläche und in der Tiefe des Beckens ab. So ein Bild stellt sich ein, wenn man mit den Klangkünstlern Sam Auinger und Hannes Strobl durch ihre Installation in der Halle des ehemaligen Heizkraftwerks Friedrichshain flaniert. Eine Drittelsekunde benötigen Schallwellen von einer Ecke des Raums zur anderen, ehe sie von den schrundigen Betonwänden reflektiert werden. Töne brechen sich an zwanzig Meter hohen Pfeilern und Betonschütten unter der Decke, durch die früher wohl Kohle mit gewaltigem Radau in Heizkessel polterte.
Nun bringen die langen Wellen eines gewaltigen Subwoofers eine rostige Metalltür vor einem dumpf mitschwingenden Treppenhaus zum Schnarren. „Unser Mitspieler“, sagt Sam Auinger mit breitem österreichischem Akzent und freut sich wie ein Schneekönig an dem schnöden Geräusch. Für andere Konzertveranstalter wäre die Industriekathedrale ein akustischer Alptraum. Auinger erinnert sie an die katholischen Kirchen, mit deren Sound er in Österreich aufgewachsen ist. Für seinen Mitstreiter Hannes Strobl ist so ein Bau wie ein Lebewesen, das durch akustische Interventionen zum Sprechen gebracht werden kann.
Oder vielmehr zum Singen: „Eleven Songs“ nennt das Künstlerduo mit dem klangmalerischen Namen „tamtam“ seine Installation. Ihre exakt auf die vorgefundene Architektur zugeschnittene Komposition dauert etwa 50 Minuten und besteht aus elf Abschnitten, also Songs, die unterschiedliche Charaktere des Raums erlebbar machen.
Es ist nicht das erste Projekt dieser Art, das die beiden Grenzgänger realisieren, seit Jahren befassen sie sich mit dem Klang moderner Städte und ihrer Architektur. In Berlin haben sie mit ihrer Werkreihe „Raumfarben“ schon die Ruine der Klosterkirche und einen Saal im Humboldt-Forum zum Schwingen gebracht. Die Installation „A 100 – Der Klang der Stadtautobahn“ war vor zwei Jahren in der CLB Galerie zu erleben. Nun benutzen die beiden die Industriehalle in Friedrichshain als gigantisches Instrument, das wie ein Cello oder ein Kontrabass ganz unterschiedlich gespielt werden kann: sanft, druckvoll oder auch perkussiv. Nur sitzt das Publikum eben nicht außerhalb, sondern hat reichlich Auslauf, um innerhalb des Resonanzkörpers auf akustische Entdeckungsreise zu gehen.
Was an einem Platz wie ein monotoner Orgelton klingt, verwandelt sich im Weiterschreiten in einen schwingenden Glockenklang. Auf eine allmählich bedrohlich anschwellende, immer schrillere Klangwolke folgt ein Song, der aus vier Minuten Stille besteht. Sogar ein lyrischer, naturhafter Höreindruck ist in diesem Industrieambiente möglich. Ganz still wird es nie, von draußen versetzt der Autoverkehr die Halle in Schwingung – oder kommt das Geräusch eines über die Halle dröhnenden Flugzeugs doch aus den gut versteckten Lautsprechern? Die Soundquellen bleiben unsichtbar, die Musiker auch, die vom Klang gesättigte Architektur ist hier der Star.
Die Halle stammt aus den Fünfzigerjahren, damals wurde das Heizkraftwerk errichtet, um die Wohnpaläste der Stalinallee mit Wärme und Strom zu versorgen. Einige Beschriftungen, Rohre und Leitungen an den Wänden stammen noch aus dieser Zeit. Das hat Aura. Nur eine einsame rote Glühbirne neben einer Treppe weist darauf hin, dass wir uns im legendären Berghain befinden. Hinter einer mit Schallschutzmatten präparierten hohen Wand liegen die verruchten Clubräume. Die große Halle wurde wohl auch schon als Darkroom und für Events genutzt, ansonsten dient sie den Clubbetreibern als Getränkelager und Rumpelkammer. Zum ersten Mal seit zwanzig Jahren flutet wieder Tageslicht durch die sonst zwecks Schallschutz abgedeckten Fenster.
Corona hat das Clubleben stillgelegt, umso einfacher war es jetzt, die Halle für die Installation komplett freizuräumen. Geplant war das vom Hauptstadtkulturfonds geförderte Kunstprojekt schon länger, nun konnte es sogar einen Monat früher realisiert werden, da die Kunstaktion keine Rücksicht auf das Nachtleben nehmen musste. Die Installation passt perfekt in diese eventarme Zeit: In der Riesenhalle können sich die Besucherinnen und Besucher unbesorgt aus dem Weg gehen. Sie müssen nicht wie sonst üblich vor den Berghain-Zerberussen stundenlang Schlange stehen, um endlich mal einen Blick in das zum Berlinmythos gewordene Industriedenkmal zu werfen. Und für aufregende Erfahrungen ist ja nicht immer enger Hautkontakt nötig. Das Hören ist hier Abenteuer genug. Michael Bienert
Halle am Berghain, Am Wriezener Bahnhof, Friedrichshain, bis So 2. August, Mi – So 14 – 20 Uhr, 8/5 Euro, singuhr.de