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Kultur: Salzburger Zockerln

Zum Start der Festsaison: Personalquerelen – und die Neuinszenierung des „Jedermann“.

„,Jedermann‘ als heiße Sex-Show“ titelte eine österreichische Boulevard-Zeitung im Vorfeld der Premiere des Stücks, das seit 1920 die Salzburger Festspiele alljährlich eröffnet. Mit der Ankündigung von Strapsen und einem nur spärlich verhüllenden Transparentoberteil der neuen Buhlschaft Brigitte Hobmeier wurde der erste Skandalfunke in Salzburg gezündet. Doch das lärmende Spiel der Comédie humaine begann bereits in den Wochen vor Festspielbeginn. Intendant Alexander Pereira, eher bekannt für seinen gewieften Umgang mit dem Mammon als für seine künstlerischen Ambitionen, verspekulierte sich und muss nun frühzeitig abdanken. Doch ganz im Sinne des Happy End im „Jedermann“ fand auch Pereira durch ein Nadelöhr in sein Himmelreich: Ab 2014 übernimmt er die Leitung der Mailänder Scala.

Monatelange Querelen mit dem Salzburger Festspielkuratorium gingen Pereiras neuem Lebenstraum voran, gepaart mit Rücktrittsdrohungen bereits zu Beginn seiner ersten Saison. Budgeterhöhungen führten bereits im Frühjahr zu Streitigkeiten und der Ankündigung des Salzburger Oberbürgermeisters Heinz Schaden (SPÖ), er wolle Pereiras Vertrag über 2016 hinaus nicht verlängern. Als ruchbar wurde, dass Pereira seinen Intendantenvertrag an der Scala unterschrieben hatte und vorhabe, in Doppelfunktion in Salzburg und Mailand zu regieren, folgte der Rauswurf. „Bigamie kommt nicht in Frage“ zeterte Schaden und löste Anfang Juni Pereiras Vertrag, der eine Nebenbeschäftigung explizit ausschließt, mit 30. September 2014. Danach übernimmt Salzburgs Schauspielchef Sven-Eric Bechtolf als Ideenverwalter Pereiras zusammen mit der Festspielpräsidentin Helga Rabl-Stadler die interimistische Leitung, um die Planungen seines Mentors für 2015 und 2016 umzusetzen

Ab Oktober nun übernimmt Salzburgs Schauspielchef Sven-Eric Bechtolf als Ideenverwalter Pereiras zusammen mit der Festspielpräsidentin Helga Rabl-Stadler die interimistische Leitung, um die Pläne seines Mentors für 2015 und 2016 umzusetzen.

Just jenes Kuratorium, das sich von Pereira, dem großen Sponsoren-Geldauftreiber, ökonomische Stabilität für das Festival versprochen hatte, stolperte nun über seine einstigen Prämissen. Jetzt soll das Festival eine überschaubare Größe bewahren: Statt auf Expansion zielen die Fantasien auf einen gänzlich anders gepolten Intendanten, der – ohne Findungskommission – noch bis Ende 2013 ernannt werden soll: etwa auf den 55-jährigen Pianisten Markus Hinterhäuser, der vorrangig auf künstlerische Inhalte fokussiert ist und erst kürzlich bis 2016 zum Intendanten der Wiener Festwochen bestellt wurde. Dass Hinterhäuser, der die Festspiele 2011 interimistisch erfolgreich geleitet hatte, bei der Intendantensuche für Salzburg einst Pereira unterlag, spiegelt nur die Fahrlässigkeit und Orientierungslosigkeit des Kuratoriums. Das ist die eigentlich skandalträchtige Offenbarung der Saison.

Angesichts dieses turbulenten Treibens erscheint das „Spiel vom Sterben des reichen Mannes“ auf dem Salzburger Domplatz geradezu als beruhigende Konstante. Mit der Neuinszenierung des „Jedermann“ durch den für seine Puppenspiele berühmten Briten Julian Crouch und den durch seine Tschechow-Freiluftinszenierungen in New York bekannten Amerikaner Brian Mertes, setzt Schauspielchef Bechtolf in seiner zweiten Saison weniger auf einen avantgardistischen Paukenschlag, geschweige denn auf eine zeitgemäße Interpretation. Die Inszenierung, die am Sonnabend auf dem Domplatz Premiere feierte, erweist sich als ein naiv-restaurativer Rückschritt in die Aufführungstradition Max Reinhardts und in jene Zeit, auf die Hofmannsthals Stück von 1911 Bezug nimmt: das mittelalterliche Mysterienspiel – selbst wenn die Buhlschaft lustig strampelnd auf dem Fahrrad auftritt.

Als ein „menschliches Märchen im christlichen Gewand“ bezeichnete Hofmannsthal seinen „Jedermann“, der auf die Erlösung einer durch Geld entseelten Welt mittels Gottes Gnade zielt. Von den Regisseuren beim Wort genommen, entpuppt sich Hofmannsthals neo-mittelalterliches Welttheater als Dorfplatzspektakel mit übergroßen Pappmaché-Teufelsköpfen und klapprigen Skeletten. In einer von New-Orleans-Blasmusik begleiteten Prozession zieht der Schaustellerpulk vom Festspielhaus auf den Domplatz, wo ein hölzernes Spielgerüst bereitsteht wie zu Reinhardts Zeiten: Mädchen in Zwanziger-Jahre-Kleidchen mit Blütenkränzen im Haar, ein mittelalterlicher Narr in bunt gestreiften Hosen neben einem zotteligen Bären. Sie alle knien vor Gott, der Gerichtstag halten will. Ein kleiner Junge steht in der Öffnung eines Riesenmegaphons, um den Tod (Peter Lohmeyer im weißen Nachthemd ein Spukgespenst auf Kothurnen) den Jedermann holen zu lassen.

Gab bereits in den 1930er Jahren sein Großvater, Attila Hörbiger, in der Regie von Reinhardt den Salzburger Jedermann, so präsentiert ihn nun Cornelius Obonya, sein Enkel, als freundlich-gewieften Geschäftsmann: der Kapitalist als Realist. Im zeitlos schwarzen Anzug belehrt er geduldig den armen Nachbarn (Johannes Silberschneider) über den verantwortungsvollen Umgang mit Geld, verhandelt besonnen mit dem Tod und gestaltet seine Beziehung konservativ, als er seiner Buhlin brav einen Verlobungsring übergibt. Brigitte Hobmeier – im Glitzertrikot mit aufgemalten Brustwarzen und rotem, lang wallenden Rock eine kokette, selbstbewusste Varieté-Prinzessin – stottert und presst ein „Ja!“ heraus, ehe sie mit Jedermann zum Liebesspiel unterm Tisch verschwindet.

Versprüht Hobmeiers Buhlschaft erotische Lebenslust, so steigert sich Obonyas Jedermann in religiöses Pathos: „Ich glaube!“, ruft er inbrünstig, während sich ein Strahl Wasser über ihn ergießt. Der kommt von Hans Peter Hallwachs, der als Glaube eine Waschschüssel über ihn entleert. Was folgt, ist katholischer Kitsch mit durch die Luft segelnden Engeln sowie Harfe spielenden Mädchen, der von einer wilden Schrei- und Tanzeinlage des Ensembles abgelöst wird.

Getragen wird das Stück von einer heterogenen Schar versierter Theaterschauspieler (Sarah Viktoria Frick als Werke, Julia Gschnitzer als Jedermanns Mutter) und TV-Stars (Simon Schwarz als Teufel und Jürgen Tarrach als geldfurzender Mammon). Doch die Regie kann sich zwischen Krippenspiel, Jahrmarktsspektakel und Slapstick nicht recht entscheiden. Umso deutlicher wird da rückblickend die Leistung des Regievorgängers Christian Stückl, der mittels kluger Textbearbeitung in einer sprachgenauen Inszenierung die Frage des Glaubens in den Hintergrund gerückt und die Erlösung des Jedermann ganz irdisch in der Liebe verortet hatte. Diesmal aber endet ein kunstgewerbliches Spektakel als moralisierendes Weihespiel: mit dem Läuten der Domglocken nach dem Begräbnis des geläuterten Jedermann.

Christina Kaindl-Hönig

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