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Kultur: Salome im Härtetest

Einar Schleefs Düsseldorfer Inszenierung beim TheatertreffenVON GÜNTHER GRACKGeduld ist etwas, das der moderne Mensch, namentlich der Großstädter und ganz besonders der Berliner, nur ungern aufbringt.Da geht man ins Schiller-Theater, in dem das Düsseldorfer Schauspielhaus mit Einar Schleefs "Salome"-Inszenierung gastiert, und muß sich eingangs eine Ansprache des Regisseurs anhören.

Einar Schleefs Düsseldorfer Inszenierung beim TheatertreffenVON GÜNTHER GRACKGeduld ist etwas, das der moderne Mensch, namentlich der Großstädter und ganz besonders der Berliner, nur ungern aufbringt.Da geht man ins Schiller-Theater, in dem das Düsseldorfer Schauspielhaus mit Einar Schleefs "Salome"-Inszenierung gastiert, und muß sich eingangs eine Ansprache des Regisseurs anhören.Schleef, im Frack an die Rampe tretend, erinnert an seine "Faust"-Inszenierung, die er 1993 in diesem Unglückshaus hatte herausbringen wollen, er spricht von der vertanen Arbeit, die er und sein Ensemble, ohne einen Pfennig Lohn, in dieses Projekt gesteckt hätten, er zeigt sich stolz darauf, daß er jetzt, mit 54 Jahren, zwei Inszenierungen beim Theatertreffen zu bieten hat - und er muß sich aus dem Parkett darauf hinweisen lassen, man sei nicht zu einer "Talkshow" ins Theater gekommen.Als Schleef, sich verteidigend, mehr und mehr ins Stottern gerät, schallt es knapp und klar zurück: "Haben Sie uns noch etwas zu sagen?" Schleef: "Nein!"Schwerlich die rechte Einstimmung für das, was nun folgt: eine Geduldsprobe, die als integraler Teil der Inszenierung zu verstehen ist.Der Vorhang hebt sich und zeigt das Ensemble als Gruppenbild in monumentaler Erstarrung; von bläulich kaltem Licht umflossen, in stehende oder sitzende Posen gebannt, im Zentrum ein Mann mit einem Schwert, das, so groß wie er selbst, die Form eines Kreuzes hat - wie aus der Tiefe der Geschichte blickt uns diese fremde Menschheit an, reglos, lautlos, endlos.Fünf Minuten, zehn Minuten, fünfzehn Minuten provozieren Husten, Räuspern, Klatschen, schließlich Zwischenrufe, platte wie "Rührt euch", hintersinnige wie "Wir sind ein Volk", scheinfreundliche wie "Können wir Ihnen helfen?".Als wollte sich Schleef für die anfangs erlittene Unbill rächen, läßt er erst nach zwanzig Minuten den Vorhang wieder fallen und die Zuschauer in die Pause gehen - eine Pause, ehe auf der Szene auch nur ein einziges Wort gesagt ist, sei es eines von Oscar Wilde, sei es eines von Einar Schleef.Wenn etwas für Schleefs "Salome"-Mix spricht, dann der Erfolg, den die Aufführung, trotz solcher Handicaps, dann doch auch beim Berliner Publikum erzielt hat.Das Schiller-Theater, schon seiner Größe wegen für das Theatertreffen unentbehrlich, erwies sich gleichwohl dem Düsseldorfer Schauspielhaus als unterlegen, so daß Schleef sein raumfüllendes Bühnenbild hatte umbauen und den geringeren Maßen anpassen müsmüssen.Das spannungsvolle Gegenüber zwischen dem Palast des Königs Herodes, errichtet an der Rückwand des Parketts, und dem Kerker des Propheten Johannes, eingefügt in die Brandmauer der Hinterbühne, ist hier aufgegeben zugunsten einer neuen, buchstäblich atemberaubenden Lösung: Johannes hängt nun, fest angeschnallt, hoch über den Köpfen der Zuschauer an einem Kreuz, das wie ein Flugzeug unter der Decke schwebt.Eine Position, die dem gefesselten Darsteller schier übermenschliche Kräfte abfordert: Robert Beyer bringt sie nicht nur auf, sondern fesselt überdies durch die Kraft, mit der er, die heidnische Welt anklagend, seine Stimme durch den Raum schwingen läßt und sich damit gegen Leute behauptet, die alles andere als Leisetreter sind.Die Honoratioren von Judäa huldigen der römischen Oberherrschaft in chorischem "Caesar"-Gebrüll, und auch Herodes (Helmut Mooshammer), ein Schwächling von Mann, und seine frustrierte Gattin (Bibiana Beglau) tragen ihren Ehezwist ohne alle Scheu vor Ohrenzeugen aus.Salomes obsessive Liebe zu dem asketischen Propheten rast vollends die Tonleiter der Hysterie auf und ab: Ursina Lardi, in hauchdünnem Chiffon eine Elfe, eine gleißende Verkörperung von kindfraulichem Eigensinn, versagt uns Voyeuren zwar den Tanz der sieben Schleier, fordert von Herodes jedoch trotzdem den Kopf des Heiligen.Der Autor-Regisseur hat eine neue Konzeption dieser alten Geschichte, versäumt indes, ihren politisch-religiösen Hintergrund - die Frau als Märtyrerin in eigener Sache - wünschenswert deutlich zu machen: Salome endet in blutiger Düsternis.Und ersteht mit ihrer Truppe wieder auf zur Entgegennahme des Beifalls, rechts im Glied Hauptmann Schleef, stolz und glücklich.Na also! Noch einmal heute, 12.Mai, 19 Uhr.

GÜNTHER GRACK

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