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Ein stilles, seltsames Werk: "Pelléas und Méllisande" in Dresden.
© Matthias Creutziger

„Pelléas und Mélisande“ an der Semperoper: Sächsisches Spukschloss

Himmlische Höhen, treibende Seelen: Debussys „Pelléas und Mélisande“ wird an der Semperoper großartig inszeniert - doch dem verantwortlichen Intendanten ist längst gekündigt worden.

Ein Pelléas, der junge Liebende, im weißen Haar! Das befremdet, verheißt Magie und Bühnenzauber, ein Regiekonzept jedenfalls, das eigene Wege geht. So ist es an der Dresdner Semperoper zu erleben, wo Alex Ollé „Pelléas et Mélisande“ von Claude Debussy in einer großartigen Inszenierung präsentiert. Dass es dazu gekommen ist, verdankt die Sächsische Staatsoper einer vorbereitenden Arbeitsfrist des designierten Intendanten Serge Dorny, dem im Februar 2014 fristlos gekündigt wurde, bevor er sein Amt antreten konnte. Was der Belgier, aus dem Umfeld von Gerard Mortier kommend, dem Haus an Erneuerung hätte einbringen können, gibt diese Aufführung zu bedenken. Ein Rechtsstreit läuft in Sachsen. Die derzeit intendantenlose Semperoper wird von dem allmächtigen Staatskapellenchef Christian Thielemann dominiert, über den jedoch gesagt wird, dass er sich allzu rar macht.

Alex Ollé gehört der berühmten katalanischen Theatertruppe La Fura dels Baus an. Seine Regie in den magischen Bühnenbildern von Alfons Flores und den sensibel angepassten Kostümen von Lluc Castells wirkt Stoff zum Träumen. Denn das symbolistische Drama lässt zwischen kleinen skizzenhaften Szenen und Metaphern die Vorahnung des Bösen ein.

Alex Ollé macht die Isolation fühlbar

Ein stilles, seltsames Werk. Der betagte König Arkel, altersweise beinahe wie ein später König Lear, hat zwei Enkel, Golaud und Pelléas, die, wie hier auf der Bühne zu sehen, auch schon weißhaarig sind. Selbst der Urenkel, Golauds Sohn Yniold, mutiert während der Handlung zum weißhaarigen Kind, das den Erwachsenen, zumal seinem Onkel Pelléas, im Outfit immer ähnlicher wird.

Golaud bringt die wunderschöne Mélisande, die nichts von ihrer Herkunft weiß, als seine Frau in Arkels Residenz Allemonde. Dort leben die Männer in sektenhafter Abgeschiedenheit mit Geneviève, der Mutter von Pelléas und Golaud. Die Gärten sind dunkel und die Wälder dicht. Reisen werden auf später verschoben, weil die Menschen von dem Ort nicht loskommen. Das düstere Wasserschloss bedrückt Mélisande, sie weint, weil sie den Himmel nicht sieht. Im Schloss liegt der kranke Vater von Pelléas, der nie auftaucht. Die Personen gehen seltsam leidend ihren Weg.

Regisseur Ollé macht ihre Isolation fühlbar, selbst wenn er sie von den Zinnen des Schlosses, eines riesigen rissigen Kubus aus versteinerten Pflanzen, herabschauen lässt. Darin findet in kleinen Parzellen pseudogemütlich ihr Alltag statt. Mit Wohnzimmerlampe, Esstisch und Dienstmädchen spiegelt sich dieser Tageslauf im Wasser, das die ganze Enklave umgibt. Dass der Wald lebt und seine schlanken weidenartigen Zweige Zugänge versperren, schafft eine unheimliche Atmosphäre – märchenhafte Veranschaulichung des tragischen Konflikts.

Liebestod wie von Richard Wagner erdacht

Am Pult der Sächsischen Staatskapelle, die sich bemerkenswert beteiligt für die Interpretation einsetzt, musiziert der französische Dirigent Marc Soustrot diskret und mächtig. So einfühlsam, dass sich die kurzatmige Thematik der Partitur doch zu großen Bögen summiert. Die Gesangslinien, die der französischen Sprache folgen, werden von einem wohllautenden Ensemble vertreten: den tiefen Stimmen von Tilmann Rönnebeck (Arkel), Oliver Zwarg (Golaud) und Christa Mayer (Geneviève). Der für solche Aufgaben unverzichtbare Tölzer Knabenchor stellt alternierende Mitglieder für die anspruchsvolle Rolle des Kindes Yniold.

Obwohl der Dichter Maurice Maeterlinck sich über Debussys Streichungen in seinem Drama beklagt hat, behauptet die Oper als lyrisches Gegenstück zu Wagners „Tristan“ ihre unbestrittene Position. Das unschuldig-schuldige Liebespaar spielen Phillip Addis und Camilla Tilling. Es ist berührend, den Titelhelden gleichsam in der Fessel des weißen Haares zu sehen, während er mit Mélisande alterslos naive Spiele spielt und ihr die Steinchen ins flache Wasser legt, damit sie darauf balancieren kann. Der Sänger ist hoher Bariton, wie die Tenorrolle öfter besetzt wird, seine Partnerin die schwedische Sopranistin Camilla Tilling, deren Lyrik himmlische Höhen erreicht.

Nach dem Eifersuchtsmord Golauds an seinem Halbbruder Pelléas führt Mélisandes Erschütterung über diese Tat zu ihrem Tod. Ihr Sterbebett, so die Inszenierung, gehört nicht mehr dem Schloss und seinen Bewohnern. Der Unterschied zwischen schuldiger und unschuldiger Liebe, wie Golaud ihn versteht, ist der scheuen Mélisande fremd geblieben. Und so treibt ihre Seele, der einzig die des getöteten Pelléas sich noch einmal nähern darf, auf dem Lager über das Wasser ins Nichts. Es ist ein inszenierter Liebestod, wie er auch von Richard Wagner erdacht sein könnte.

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