Stadtplanung: Rufer in der Bauwüste
Der Architekt Stephan Braunfels hat große Ideen für Berlins Zukunft – und stößt doch oft auf taube Ohren. Eine Begegnung.
Eine Mail ans Büro, nach einer Stunde kommt der Rückruf. „Sie sehen, ich kann auch schnell sein“, sagt Stephan Braunfels. Er spielt auf seinen jüngsten Appell an, die Ostseite des Humboldtforums wegzulassen, das Schloss zu öffnen. Der Vorschlag kommt spät, gerade werden die Fundamente gegossen. Aber: „Eigentlich kam er viel zu früh“, meint er. Und schickt einen ganzseitigen Tagesspiegel-Artikel von 1996, in dem er seine grande idée bereits publiziert hatte – mit der Vision einer baumbestandenen Achse zum Fernsehturm, als Pendant zum Lindenboulevard und mit dem Schloss als Scharnier.
Architekt, Musikliebhaber, Kulturbürger, Quertreiber: Von keinem Vertreter seiner Zunft hört man so viel wie von Stephan Braunfels. Er ist einer, der sich immer wieder zu Wort meldet, sich einmischt, mitmischt. Und natürlich auch Gegner auf den Plan ruft. Schon das Haus, in dem sich sein Großraumbüro befindet (und das Restaurant von Tim Raue), kündet von Widerstand. Es steht in der Rudi-Dutschke-Straße, aber über dem Eingang prangt in großen, trotzigen Lettern „Kochstraße 60, seit 1734“. Hier arbeiten Köpfe mit historischem Bewusstsein. Die finden es blöd, einen 279 Jahre alten Straßennamen zu opfern.
Das Schloss also. Die Ostwand weglassen, den Schlüterhof öffnen. Das Ei des Kolumbus? Immerhin würde es einer Demokratie ganz gut anstehen, als Geste. Franco Stellas „Urnenloggia“ – Braunfels behauptet, er habe den Spitznamen geprägt – würde doch niemand gut finden. Sein Vorschlag sei ein „letzter, verzweifelter Ruf“. Die Sache hat nur einen Haken. Weil der historische Schlüterhof keine Barockfassade an der Westseite besaß, dreht Braunfels den Hof sozusagen um, macht die östliche Innenfassade zur neuen Westfassade, wo sie nie stand.
Vermutlich, denkt er, flog er deshalb 2007 aus dem Architektenwettbewerb – und dass die Teilnahmebedingungen geändert wurden, nachdem er seinen Entwurf veröffentlicht hatte. Wilhelm von Boddien, treibende Kraft der Schlossbefürworter, habe ihn erst hofiert. Und sich abgewandt, als er erfuhr, dass die Fassaden umgekrempelt werden sollen. Auch heute kommt der Vorschlag kaum besser an. Schlossarchitekt Stella nennt ihn ein „postmodernistisches Pastiche“, Florian Mausbach sprach im Tagesspiegel von einer „postmodernen Vergewaltigung“.
Braunfels spricht leise, aber so suggestiv, dass es einiger Anstrengung bedarf, seinen Redefluss zu unterbrechen. Im September hat er zum Kulturforum einen Plan veröffentlicht: Die Staatlichen Museen wollen einen Erweiterungsbau für die Kunst der Moderne, nutzen jedoch nicht die Jahrhundertchance, die Brache an der Potsdamer Straße zu bebauen, um das Problem Kulturforum zu lösen. Lieber weichen sie auf ein leichter zu bebauendes Grundstück hinter der Neuen Nationalgalerie aus. Braunfels schlägt stattdessen ein abgetrepptes Gebäude auf der Brache vor, das Scharouns mythenumwabertes, nie realisiertes „Gästehaus“ zitieren würde. Dazu den Abriss der im Wortsinn „schrägen“ Ebene vor der Gemäldegalerie und einen Verkehrskreisel vor Philharmonie und Kammermusiksaal.
Er denkt in großen Zusammenhängen. „Dies ist die Bundesstraße 1, die historische Reichsstraße 1 von Aachen nach Königsberg, eine 1500 Kilometer lange Schlagader. Mitten in der Hauptstadt will ich ein Gelenk einbauen.“ Er denkt viel in Gelenken und Scharnieren. Und hat auf alles eine Antwort. Störender Verkehrslärm bei Konzerten in der Philharmonie? Unsinn, im Kreisel würden die Autos langsam fahren, es wäre leiser als heute.
Die Idee, die unselige leere Fläche auf dem Kulturforum mit einem Museum der Moderne zu bebauen und zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen – denn die Moderne braucht Platz in Berlin –, stammt übrigens von Hermann Parzinger, dem Präsidenten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Sagt jedenfalls Braunfels. Noch vor einem Jahr habe Parzinger seine Pläne als genial bezeichnet. Jetzt halte er sich zurück. Genau wie Hans Stimmann, Ex-Senatsbaudirektor. Der schneidet Braunfels schon seit Jahren wegen der Bundestagsbauten, die er sich kleinteiliger gewünscht hätte. An Stimmanns 2012 erschienenem Buch „Zukunft des Kulturforums“ durfte Braunfels nicht mitwirken.
Er legt sich mit vielen an, exponiert sich, macht sich angreifbar. Warum? Natürlich weil er Aufträge bekommen will. Aber auch, weil er sich verantwortlich fühlt dafür, wie unsere Städte aussehen. Ein Blick auf die Familie erklärt ein wenig, was ihn antreibt. Sein Urgroßvater war der Bildhauer Adolf von Hildebrand, gestorben 1921 in München, ein Verehrer der italienischen Renaissance. Sein Großvater war der Komponist Walter Braunfels, sein Vater der Kunsthistoriker Wolfgang Braunfels. Eine deutsch-jüdische Künstlerfamilie, der sich Stephan Braunfels verpflichtet fühlt, auch als erster Architekt der Dynastie.
Er hat Karriere gemacht, kennt aber auch das Scheitern
Geboren 1950 in Überlingen am Bodensee im Haus des Großvaters, der die Nazijahre in der inneren Emigration verbrachte, haben ihn die Italienaufenthalte geprägt, vor allem Florenz. „Mittelalterliche Stadtbaukunst in der Toskana“ heißt ein Buch seines Vaters von 1953. Stadtbaukunst, das ist ein Kernbegriff seines architektonischen Credos. Tradition und Gegenwart miteinander zu versöhnen, darum geht es ihm. Dass die Moderne vor allem autistische Solitärbauten kennt, dass sich Häuser aber aufeinander beziehen müssen und jede Außenwand eines Bauwerks zugleich Innenwand des öffentlichen Raumes ist – das hat er in der Toskana gelernt. „Aber keine Verwaltung interessiert sich von sich aus für Stadt als übergreifendes Raumkonzept. Wir Architekten müssen das anbieten.“
Studiert hat er an der TU in München, 1978 dort sein Büro gegründet, 1996 folgte ein zweites in Berlin, seinem Lebensmittelpunkt. Braunfels wohnt am Ludwigkirchplatz. Er hat Karriere gemacht, aber er kennt auch das Scheitern. Schon in den 80ern kam er bei einem Umbau des Münchner Hofgartens nicht zum Zuge, nach der Wende erarbeitete er ein Leitbild für Dresden mit breiten Ringstraßen, das nie umgesetzt wurde. Dann die Erfolge: Die Pinakothek der Moderne in München, die Bundestagsbauten in Berlin, das Marie-Elisabeth-Lüders-Haus und das Paul-Löbe-Haus.
Die Erneuerung der Staatsoper dagegen wurde zum Reinfall. Er nahm mit einem modernen Entwurf am Wettbewerb teil, wurde nicht zugelassen, dann gewann ein ähnlicher Entwurf von Klaus Roth. Als der Wettbewerb neu ausgeschrieben wurde, legte Braunfels einen historisierenden, stark an Richard Paulick angelehnten Entwurf vor. „Ich mache euch den besten Paulick aller Zeiten“, sagte er – abermals gewann ein anderes Büro.
Gibt es in Berlin eine Anti-BraunfelsLobby? „Es gib Intriganten“, so weit würde er schon gehen. Über seine Erfahrungen mit der Staatsoper will er ein Buch schreiben. Sehr viel besser lief es an der Komischen Oper, wo er das Foyer umgebaut hat, sein „kleinstes, aber bestes Projekt in Berlin“, sagt er. Das neobarocke Treppenhaus hat er mit verspiegelten Wänden ummantelt, die Kosten blieben mit 200 000 Euro im Rahmen. Erst kürzlich sah man ihn bei der „Così fan tutte“-Premiere durchs Foyer schlendern.
Bis zu fünfmal die Woche geht Braunfels in die Oper oder ins Konzert. Gerne wäre er selbst Musiker geworden, wäre ihm nicht Le Corbusier in die Parade gefahren. Mit sechs Jahren sah er dessen Kirche in Ronchamp, eine Ikone der Moderne. Von da an war klar, dass er Architekt werden wollte. Wie viel Selbststilisierung in dieser Story steckt, weiß man nicht. Aber sie ist gut erzählt.
Immerhin kaufte er sich, nachdem er den Auftrag für die Bundestagsbauten bekommen hatte, einen Fazioli 308 („der Ferrari unter den Klavieren“). Den konnte er aber schon wenige Jahre später wegen einer Heberden-Arthrose nicht mehr spielen: „Eine Versteifung der obersten Fingergelenke“, erklärt er und hält seine Hände in die Höhe.
Also: Musik jeden Abend, auch als Kompensation. Seine legendäre Leidenschaft für Anna Netrebko ist allerdings abgekühlt. Ja, sie hat ihn einst in den Bann gezogen – „Wen nicht? Um keine Sängerin seit der Callas gab es so einen Hype“. Inzwischen verehrt er auch Anja Harteros, Elina Garanca, Juliane Banse. Und: „Viel wichtiger als Anna Netrebko ist für mich mein Großvater.“ Dessen Werk propagiert er unermüdlich, an Christoph Schlingensiefs Inszenierung der „Scenen aus dem Leben der Heiligen Johanna“ an der Deutschen Oper war er zwar nicht direkt beteiligt, aber veranlasste immerhin, dass die Erbengemeinschaft kein Veto einlegte. Walter Braunfels sei der bedeutendste deutsche Spätromantiker neben Richard Strauss gewesen. Und dass Schlingensief daraus eine Meditation über Tod und Todesriten machte, fand er absolut richtig: „Es ist schwierig, so etwas im Stil von Peter Stein zu inszenieren.“
Natürlich wäre es sein größter Wunsch, in Deutschland oder Europa ein Opern- oder Konzerthaus zu bauen. Vorerst muss er sich mit China begnügen. In Zhangzhou plant sein Büro ein Kulturzentrum, vier Pagoden, die sich wie Pilze aus dem Wasser erheben, in einem davon wird auch ein Opernhaus untergebracht sein, nach dem Vorbild des Münchner Prinzregententheaters. Und dann ist da noch Mauritius. Auf dem Inselstaat im Indischen Ozean errichteten die Franzosen 1822 das erste Opernhaus südlich des Äquators, es steht leer und soll wiedereröffnet werden. Braunfels leitet den Umbau – ein Projekt für reiche Touristen. Vielleicht kommt ja doch noch der große Auftrag in Deutschland. Bei der Hamburger Elbphilharmonie war Braunfels übrigens der einzige Architekt, der sich zu klagen traute, weil das Projekt ohne Ausschreibung durchgezogen wurde.
Udo Badelt
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