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Kultur: Rückkehr der Bohème

Zwei Ausstellungen würdigen den einst verfemten Maler Heinrich Maria Davringhausen.

Seine Zeitgenossen haben sich über ihn die Köpfe heiß geredet. Bis zum Gang ins Exil 1933 war Heinrich Maria Davringhausen ein Avantgardist und enfant terrible der Kunstszene. Heute kennt den 1894 in Aachen geborenen Maler kaum noch jemand. Nun können in Berlin, organisiert durch die sonst auf Zeitgenössisches spezialisierte White Square Gallery und Davringhausens Nachlassverwalterin Dorothea Eimert, insgesamt rund 20 Werke des Künstlers entdeckt und erworben werden. Einige der Gemälde und Mischtechniken waren noch nie öffentlich zu sehen.

Davringhausen gehört zu jener „verschollenen Generation“ von Künstlern, die von den Nazis als „entartet“ diffamiert wurden und nach Kriegsende nicht mehr an ihre gewaltsam unterbrochene Karriere anknüpfen konnten. Noch posthum wirkt die Verunsicherung auf dem Markt nach, gerade mit Blick auf das Oeuvre, das im Exil entstand. Immerhin konnte in der diesjährigen Frühjahrsauktion der Villa Grisebach das Großformat „Haus in Cala Ratjada“, das zwischen 1933 und 1936 auf Mallorca entstand, mit knapp 38 000 Euro (inklusive Steuern und Aufgeld) den moderaten Schätzpreis überflügeln. Seit gut zwanzig Jahren werden Künstler der „verschollenen Generation“ durch Ausstellungen und Publikationen rehabilitiert. Sie selbst hatten meist nichts mehr davon. Davringhausen starb 1970 in Südfrankreich, wo er mit seiner jüdischen Frau und der Tochter nach jahrelanger Flucht vor den Deutschen wieder heimisch geworden war. Sein künstlerischer Nachlass wurde von 1989 bis 2009 am Leopold-Hoesch-Museum Düren betreut, dessen Direktorin Dorothea Eimert gewesen ist.

Die Kunsthistorikerin hat mit dem 1995 vorgelegten Werkverzeichnis und mehreren Ausstellungen Davringhausens Wiederentdeckung energisch vorangetrieben. Und doch ist es ihr nicht gelungen, den Nachlass dauerhaft in Düren zu platzieren. Privat plant Eimert, die 2010 für ihre Leistungen als Kulturmanagerin und Museumspädagogin mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet worden ist, den Umzug nach Berlin. Auch für den Nachlass sucht man im Einvernehmen mit Renata Davringhausen, der 82-jährigen Tochter, neue Perspektiven. So kam das Angebot der Berliner VW-Dependance im Automobil Forum Unter den Linden gerade recht, in einer Verkaufsausstellung mit dem Titel „Parcours 11“ aktuelle und historische Positionen der Kunst in und aus Berlin zu vereinen. Nun hängen Bilder von Davringhausen, der 1915 nach Berlin gezogen war und dort zum Bohème-Kreis um George Grosz, Else Lasker-Schüler und die Brüder Herzfelde gehört hat, in friedlicher Koexistenz neben jüngeren „Altmeistern“ wie Jörg Immendorff und Wolf Vostell. Weitere Werke Davringhausens sind in einer parallelen Präsentation in der White Square Gallery zu sehen.

Dass Davringhausens im Exil entstandenes abstraktes Spätwerk ein jüngeres Publikum anspricht, fiel Eimert schon in ihrer Dürener Zeit auf – eine Beobachtung, die Elena Sadykova, Galeristin von White Square, mit Blick auf die meist noch jungen Künstler ihrer Galerie bestätigt. Warum jedoch Davringhausen einst zu den Hoffnungsträgern seiner Generation zählte, wird erst vor den raren Bildnissen der Frühzeit wie dem koloristisch großartigen „Weiblichen Porträt im karierten Kleid“ von 1913/14 deutlich (85 000 Euro). Hier erweist sich der Künstler als Meister psychologischer Feinsinnigkeit, der die künftige Bürgerschreck-Ästhetik seiner neusachlich-veristischen Phase kaum vorausahnen lässt.

Mit dem Abstand eines knappen Jahrhunderts ist der Vorwurf der Blasphemie, der gegen Davringhausen einst erhoben wurde, längst verjährt. Was bleibt, ist vitale Lebensfreude. „Es macht einem Mut, diese Bilder zu sehen“, sagt die Tochter Renata Davringhausen. „Sie sind überhaupt nicht deprimierend. In unserer Welt ist das schon viel.“

Automobil Forum Unter den Linden, bis 11. Dezember; White Square Gallery, Mauerstraße 77, bis 21. Januar 2012.

Michael Zajonz

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