Kunst: Rot ist Liebe, Wärme, Kraft
Feier des Lichts: Zum Tod von Rupprecht Geiger, dem großen abstrakten Maler der Nachkriegszeit
Wenn es in Deutschland einen Maler der Farbe gibt, dann Rupprecht Geiger. Keiner hat wie er das Rot vergöttert, es von Gelb bis Violett in allen Tönen moduliert, zum Strahlen, Strömen, Vibrieren gebracht. Die deutsche Kunstgeschichte der Nachkriegszeit kann nicht ohne diesen Virtuosen des Lichts geschrieben werden. Er gehört zu den wichtigsten abstrakten Malern der frühen Jahre, erfand in der Abgeschiedenheit seines Münchner Ateliers noch vor den Amerikanern den „shaped canvas“, die individuelle Formung der Leinwand. Die in den 60er Jahren aufkommenden neuen technischen Möglichkeiten mit Spritzpistole und fluoreszierenden Acrylfarben setzte er sofort ein, um seine Bilder noch stärker erglühen zu lassen, als wären sie der spektrale Abglanz des Regenbogens.
Die lebenslange Begeisterung für die reine Farbe, die Feier des Lichts musste sich Geiger erkämpfen. Der studierte Architekt war 1940 als „Kriegsmaler“ an die Ostfront und nach Griechenland geschickt worden. Der Trauer auf den Schlachtfeldern, der kargen Landschaft hielt er nur stand durch die tröstlichen Abendhimmel, das Rot der untergehenden Sonne. Der Künstler erzählte später auch davon, dass der knallrote Pullover einer jungen Amerikanerin, die inmitten seiner zerbombten Heimatstadt München einem Jeep entstiegen war und durch die Trümmer lief, für ihn zur Initialzündung wurde. „Rot ist Leben, Energie, Potenz, Macht, Liebe, Wärme, Kraft. Rot macht high,“ lautete sein Credo. „Ein Leben ohne Farbe kann ich mir nicht vorstellen.“
Bis ins hohe Alter ging er täglich ins Atelier. Aus Anlass seiner großen Retrospektive zum 100. Geburtstag im Münchner Lenbachhaus und Haus der Kunst, die anschließend in der Berliner Nationalgalerie zu sehen war, legte er sogar eine neue Edition auf, die wie eine Essenz seiner Bildideen erschien: Eine rote Scheibe schiebt sich vor gelben Grund. Die Kreisform, das Bild der Sonne, gehörte neben Rechteck und Quadrat zu den Grundelementen seiner Kompositionen. Die Retrospektive vor zwei Jahren wurde für den Künstler zum Triumph. Plötzlich erschien seine Malerei, die im Ausstellungsbetrieb zuletzt keine besondere Rolle mehr spielte, als frisch, geradezu aktuell. Verbindungen zu jungen Positionen wie Anselm Reyles fluoreszierenden Bildern, Katharina Grosses weiträumige Farbräusche aus der Spritzpistole oder auch Anish Kapoors Pigmentarbeiten stellten sich plötzlich her. Im Zuge einer Wiederkehr der Sechziger-Jahre-Ästhetik in Kunst und Design, eines neu erwachten Interesses auch an Viktor Vasarély und Max Bill erlebte Rupprecht Geiger sein eigenes Comeback.
Der Künstler nahm es gelassen; schon auf den ersten Erfolg hatte er lange warten müssen. In München, der einstigen Hauptstadt der Bewegung, war seine abstrakte Malerei nach Kriegsende alles andere als angesehen. Doch für den Sohn des von den Nationalsozialisten als entartet verfolgten Künstlers Willi Geiger gab es dazu keine Alternative: „Die Abkehr vom Gegenständlichen, der Ekel vor den Dingen, die auf die Menschen bezogen sind, hat seinen tiefen Grund. Diese Menschheit ist zutiefst verdächtig,“ notierte er 1949 in sein Tagebuch. Im gleichen Jahr gründete er unter anderem mit Fritz Winter, Willi Baumeister und Brigitte Matschinsky-Denninghoff den Verbund „Zen 49“, der sich anfänglich noch „Gruppe der Gegenstandslosen“ nannte. Gemeinsam versuchte man einen künstlerischen und moralischen Neuanfang, der vom Publikum nicht verstanden wurde. Umso mehr hat die Stadt München Rupprecht Geiger später an ihre Brust gedrückt, indem sie ihm zahlreiche Aufträge zukommen ließ, etwa für eine 30 Meter lange Reihung aus Neonröhren, die den Ankömmling noch heute im Hauptbahnhof begrüßt.
Rupprecht Geiger malte nicht nur mit Farbe, er inszenierte sie auch. So schuf er ganze Räume wie die Rote Trombe, die für seine Retrospektive in Berlin und München ein Vierteljahrhundert später wieder aufgebaut wurde: ein sieben Meter hohes zeltartiges Objekt, dessen Stoffbahnen vollkommen in Rot eingefärbt sind und den auf einer Filzmatte lagernden Besucher nach und nach mit Energie aufladen. Diese Unruhe, das Vibrieren wurde auch in dem aus vier Bildern bestehenden Raum spürbar, den Geiger 2001 für die Biennale in São Paulo baute. Mehrere Stunden täglich arbeitete der damals 95-jährige Künstler an den bis zu drei Meter hohen Leinwänden und beschwor damit noch einmal eindrucksvoll Farbe als sein Lebenselixier. Am vergangenen Sonntag starb der Maler mit 101 Jahren in München.
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