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Kultur: Robinson ist eine Frau

Melancholie und Apokalypse: Julian Roman Pölslers stiller Katastrophenfilm „Die Wand“.

Ihr verschlossenes, wettergegerbtes Gesicht. Ihre leicht angeraute, von Tapferkeit und Duldsamkeit grundierte Stimme aus dem Off. Ihr minimalistisches Spiel, das ganz auf die schiere Körperlichkeit zurückgeworfen ist. Sie streift durch die Berge, sitzt auf der Bank, versorgt ihre Tiere, mäht Heu, hackt Holz, geht dem blutigen Geschäft des Jagens nach. Die Knochenarbeit des Weiterlebens als einziger, womöglich letzter Mensch, nachdem die Welt abhandenkam: Das ist Martina Gedeck in „Die Wand“.

Kann man diesen Romanklassiker von Marlen Haushofer überhaupt verfilmen, den erschütternd nüchternen, glasklaren Bericht einer Frau, die sich allein im Wald findet, in der Jagdhütte der Freunde, die am Abend ins Dorf gingen und nicht zurückgekehrt sind? Die vom Rest der Welt durch eine unsichtbare Wand abgeschnitten ist? Eine lautlose, unerklärliche Katastrophe muss damals, vor über zwei Jahren, hereingebrochen sein: Die Natur, die Tiere, alles lebt weiter, nur die Menschen auf der anderen Seite der Wand sind versteinert (Hans-Michael Rehberg verkörpert einen dieser Steinmenschen). Als sei die Zeit stehen geblieben. Die Frau jedenfalls, die namenlos bleibt, denn es spricht ja keiner mit ihr, bewegt sich wie in einer Blase, umgeben von stillgestellter Zeit. Außer ihr ist da nur der Hund Luchs, die trächtige Kuh Bella, die ebenfalls schwangere Katze, die Berge, der Wald, die Hütte. Und um nicht von der Furcht überwältigt zu werden, schreibt sie auf, was seit der Katastrophe geschah.

Als Haushofers Roman 1963 erschien, fand das Buch der österreichischen Schriftstellerin zunächst wenig Beachtung, wurde aber bald zur Bibel der Friedensaktivisten, der Zivilisationskritiker und der Feministinnen. Fernsehregisseur Julian Roman Pölsler, 1954 in der Steiermark geboren, hat fast zwanzig Jahre lang versucht, die Rechte zu erwerben, es sei sein Lebensbuch, sagt er. Kein einfacher Dreh: 63 Tage im Gebirge, am Dachstein im Salzkammergut, Arbeit mit Tieren, und nach wenigen Minuten nur noch eine Darstellerin. Ein Kraftakt, dem sich Martina Gedeck gewachsen zeigt; bei der Weltpremiere auf der Berlinale wurde die Intensität und Aura ihrer Figur zu Recht gefeiert.

Pölsler hält sich eng an die Vorlage; unentwegt zitiert Gedeck Romanpassagen aus dem Off. Es ist vor allem Haushofers Sprache, die die Bilder mit Magie auflädt, Cinemascope-Bilder vom Wald, dem Jagdhaus, dem weiten Himmel über der Sommeralm, der Gebirgslandschaft, den Jahreszeiten im Salzkammergut. Die Kamera hält sich ruhig, das Licht unten im Tal ist oft trüb, Jenseitslicht, Todeslicht. Von der Wand geht ein dumpfes, elektronisches Dröhnen aus, manchmal erklingen kurze Sequenzen aus Bachs Violinpartiten. Und immer wieder: Gedecks Gesicht.

Klar, man kann dieses Buch verfilmen, aber etwas weniger Ehrfurcht hätte gutgetan. Zwar entspricht die Sparsamkeit der Mittel der Konzentration der Heldin auf das Überlebensnotwendige. Pölslers atmosphärisch dichte Meditation kommt ohne Dialog und Action aus (außer jener im Buch nicht vorhandenen Szene, in der die Frau in einem Anfall von Verzweiflung das Cabrio der Freunde gegen die Wand fährt). Aber man vermisst Momente, in denen sich etwas verdichtet, wie in jener raren Szene, in der die Frau ein gefrorenes Hirschherz aufhängt. Ein eiskaltes Herz in kühler Nacht, Inbild von Melancholie und Apokalypse. Das Archaisch-Kreatürliche, die Vermessung der Einsamkeit, das Philosophieren über die Koexistenz von Mensch und Tier, die Frage, warum Selbstmord keine Option ist, die Zivilisationskritik, die matriarchalische Naturmystik, das Traum- und Albtraumhafte – all das bleibt ansonsten allein der Hauptdarstellerin aufgebürdet. Und den Romanzitaten.

Der Roman ist auch ein Krimi. Ein grausamer Mord geschieht; im Wissen dieser zweiten Katastrophe schreibt die Frau: Aufzeichnungen unter Schock, jeder Satz ein Nachbeben. Der Film begnügt sich bei der dramatischen Szene mit dem Standardtrick der Zeitlupe und kommt über die redliche Hommage an Haushofers meisterliches Buch nicht hinaus. Die kongeniale Vorstellung einer Welt, in der der Mensch „aufhört, ein einzelnes, abgesondertes Ich zu bleiben, ein kleines, blindes, eigensinniges Leben“ (Haushofer) – diese Vision bleibt er schuldig. Christiane Peitz

In acht Berliner Kinos

Christiane Peitz

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