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Kultur: Ritter Mord

Salzburger Festspiele: Peter Stein und Riccardo Muti wuchten Verdis „Macbeth“ auf die Bühne der Felsenreitschule

Das Spektakulärste an dieser durch und durch spektakulären Operninszenierung ist zweifellos – dass es überhaupt zu ihr gekommen ist. Peter Stein und Riccardo Muti heißen die Protagonisten, zwei Künstlerpersönlichkeiten, die „nicht an einem unterentwickelten Ego“ leiden, wie es Markus Hinterhäuser, der heurige Salzburger Intendant, formuliert. Zweimal schon war der italienische Maestro mit dem Vorschlag an den deutschen Regisseur herangetreten, gemeinsam Giuseppe Verdis „Macbeth“ zu realisieren. Und obwohl das Stück ein Favorit von Steins Gattin ist, handelte sich Muti zweimal eine Absage ein, vor allem, weil sich der Theatermann nicht mit Verdis Kunstgriff anfreunden mochte, aus den drei Hexen des Shakespeare’schen Originals gleich einen ganzen Chor zu machen.

Für diesen Sommer hatte Hinterhäuser sich in den Kopf gesetzt, die zwei Giganten nun doch für einen „Macbeth“ zusammenzubringen. Ein Vierstufenplan wurde also erarbeitet. Zunächst traf man sich in Ravenna, wo Muti die Oper mehrere Stunden lang am Klavier vorspielte und dabei sämtliche Rollen sang, nur gelegentlich unterbrochen von zweckdienlichen Fragen des Regisseurs: „Eine der beeindruckendsten Künstlerbegegnungen, die ich je erlebt habe“, sagt Hinterhäuser. Im zweiten Schritt demonstrierte dann Stein in München mit kleinen Puppen dem Dirigenten den genauen Ablauf seiner Inszenierung. Dass man sich dabei tatsächlich auf eine Mischform der beiden Versionen der Oper einigen konnte, mag, so Stein, auch daran gelegen haben, „dass Muti noch nie einen Regisseur wie mich getroffen hat, der die Musik nicht nur liebt, sondern auch durchschaut“. Zu Beginn der szenischen Proben erläuterte der Dirigent dann – Phase 3! – den Sängern in Steins Beisein nochmals alles, was ihm am „Macbeth“ musikalisch wichtig ist, bevor die eigentliche Regiearbeit in der Felsenreitschule dann als finale Phase beginnen konnte.

Dieser historische Ort mit seinen 1697 direkt in den Fels geschlagenen drei Arkadengängen ist Peter Steins Revier. Hier hat er in seiner Zeit als Salzburger Theaterleiter in den 1990er Jahren Shakespeares Königsdramen herausgebracht. Und dabei durchgesetzt, dass der Blick auf das schrundige Gestein des fast senkrecht hinter den Festspielhäusern aufragenden Mönchsbergs nicht mehr, wie früher üblich, durch Kulissen verstellt wird.

In seinem Krimi „Silentium“ lässt Wolf Haas ein Opfer direkt vom Panoramaweg auf die Bühne der Felsenreitschule stürzen. Das geht jetzt nicht mehr so leicht, denn in den vergangenen Monaten wurde das Segel, das man bis dato über die Naturbühne spannte, durch ein bewegliches Metalldach ersetzt. Am Premierenabend bleibt es allerdings geschlossen – denn es schnürlregnet mal wieder in Salzburg.

Peter Stein, das zeigen die folgenden dreieinhalb Stunden, weiß mit der gigantischen Spielstätte meisterlich umzugehen. Er kennt alle Effekte, die sich hier zaubern lassen: Scheinwerfer schräg von oben, wandernde Lichtflächen, innere Beleuchtung der Arkaden. Lady Macbeth schlafwandelt im vierten Akt selbstverständlich über die gesamte obere Etage. Was noch angenehm auffällt: Stein, der Weise, braucht keine Videos, ohne die ja sonst derzeit kein Regisseur auskommt. Nicht einmal für jene Ballettszene, von der Riccardo Muti auf keinen Fall lassen wollte und die darum nun – ganz ohne Tanz – als zwölfminütige erratische Konzerteinlage erklingt.

Weil „Macbeth“ ein Stück ist, in dem es vor allem um die uralte Frage geht, wie sich die Macht eines Einzelnen über viele andere legitimieren lässt, findet es Markus Hinterhäuser wichtig, „auf keine triviale Aktualisierung zu verfallen“. Stein liefert ihm gleich auf drei Ebenen historisierende Ansätze. Märchenhaft stilisiert sind die Hexen-Szenen. Die Wiener Staatsopernchor-Damen hat man als Bäume verkleidet (Kostüme: Annamaria Heinreich), zu ihrem Gesang bewegen drei grotesk gewandete Schauspieler stumm die Münder, während sie, Shakespeares Original folgend, mit Stummfilmgesten in einem Kessel rühren. Wenn laut Libretto im dritten Akt „Elfen“ den ohnmächtigen Macbeth wiederbeleben, schickt Stein 16 Kinder in weißen Kleidchen los, die ganz allerliebst über Ferdinand Wögerbauers wellige Bühnenlandschaft hüpfen. Peterchens Mondfahrt.

Für die Ritterwelt dagegen wird der ganze Plunderfundus eines Hollywood- Historienschinkens aufgeboten, Kettenhemden, Herrschergewänder in schwerem Brokat, Schwerter mit Endlosklingen. Und dann sind da noch diese Inseln von Hyperrealismus, beispielsweise, wenn Giuseppe Filianoti als Macduff seine erschlagene Familie beweint. Zarte Kinderkörper und ein blutüberströmter Frauenleib werden hereingebracht, schockierend lebensecht auf tot geschminkt. Das Orchester setzt ein, der Tenor lässt seine bittersüße Melodie erblühen – und, zack!, da schnellt sie nach vorne, die Sängerhand. Seht, ich bin bewegt, zeigen die ausgestreckten Finger an. Ein Reflex, dessen Vermeidung die Hauptarbeit jedes Operndeuters wäre.

Peter Stein aber nimmt die konventionellen Gesten hin. Was besonders bei Zeljko Lucic schmerzt. Der Serbe ist mit einer jener raren Baritonstimmen gesegnet, die sich prachtvoll verströmen können, weil sie heldisch klingen und zugleich warm. Ein Spezialist, der als Macbeth musikalisch alles richtig macht. Aber eben auch ein lausiger Darsteller, der dringend Hilfe bräuchte.

Wenn diese Inszenierung nachhaltig beeindruckt – die Menschenaufmärsche! die Kostümwechsel! die technische Handwerksperfektion! –, aber nicht berührt, wenn der Abend bei aller Monumentalität keine dramatische Wucht entwickelt, dann liegt das auch an Riccardo Muti. Er dirigiert die Wiener Philharmoniker mit Liebe, mit intimster Partiturkenntnis, aber ohne Radikalität. Um die Grausamkeiten der Handlung in Töne fassen zu können, hat Verdi die traditionellen Formen der Arien und Duette aufgebrochen, dem Mörderpaar eine zerklüftete Musik geschrieben, die tief ins Psychische vordringt. Muti glättet hier zu viel, ebenso wie Tatjana Serjan, die für die Lady zwar herrliche hohe Töne hat, sich aber nicht zu jener dumpfen Deklamation durchringen mag, jener Seelenhässlichkeit, die der Komponist sich so wünschte.

Am Ende springen Stein und Muti von der späten Pariser in die frühe Florentiner Fassung. Weil das Unhappy End hier schneller eintritt: Metallklingen krachen aufeinander, Macbeth wird in einer filmreifen Kampfchoreografie von dem am Boden liegenden Macduff durchbohrt. Todesmonolog, Krönung des neuen Königs in wenigen Takten, Schluss. Erschreckend kurzer Applaus.

Frederik Hanssen

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