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Tiefe Einblicke in die türkische Gesellschaft. Murat Mahmutyazicioglu, Autor und Dramatiker, im "Duru Tiyatro" (Duru Theater) im Stadtteil Kadiköy in Instanbul. Wärehnd der "Langen Nacht der Ideen 2018" wird er im Gorki-Theater auftreten.
© Özlem san

Lange Nacht der Ideen 2018: Risse in der Demokratie

Der Schriftsteller und Ex-Soldat Murat Mahmutyazicioglu stellt sich seinem Tagebuch im Gorki-Theater am 1. Juni bei der "Langen Nacht der Ideen 2018"

Murat Mahmutyazicioglu hat seinen Wehrdienst in Tandogan abgeleistet, im Zentrum Ankaras. Dort, wo er auch seine Kindheit verbrachte. Sechs Monate zwischen August 2008 und Januar 2009, in denen die Rekruten auf die kriegsähnlichen Bedingungen im Land vorbereitet und trotz ihrer verschiedenen Herkünfte unter einem türkischen Einheitsgefühl zusammengeschworen werden sollten. „Allerdings“, sagt Mahmutyazicioglu, „habe ich das so nie erlebt“. Was ihm stattdessen bewusst wurde – zum ersten Mal in seinem Leben als junger Erwachsener – waren die sozialen Verwerfungen und gesellschaftlichen Gräben in seiner Heimat.

Der Soldat, der wie andere Universitätsabsolventen eine Art Schreibtischdienst verrichtete, erinnert sich etwa an diese eine Nacht, in der ein kurdischer Kamerad ihm von seinen Kindheitserinnerungen erzählte. Wie ein Polizeitrupp die elterliche Wohnung stürmte, weil im Fernsehen eine Dokumentation in kurdischer Sprache lief und die Stimmen darin bis auf die Straße zu hören waren. Vorfälle, die Murat bis dato nie wirklich zur Kenntnis genommen hatte.

Es waren lange Nächte in Ankara. Mahmutyazicioglus Dienst dauerte von 19 Uhr abends bis zum Morgengrauen, er musste notieren, wer ein- und ausging und den diensthabenden Soldaten ihre Magazine aushändigen. Um sich die Zeit zu vertreiben, führte er Tagebuch. Notizen, die er danach fast zehn Jahre lang nicht mehr anrührte. Er begann eine Karriere als Dramatiker, gründete 2016 sein eigenes Theater, Bam genannt, in Istanbul. Dass sich Mahmutyazicioglu schließlich doch der Wiederbegegnung mit dem naiven Rekruten von damals stellt und auf Basis seines Tagebuchs den Text „Bis zum Sonnenaufgang ist es noch eine Weile“ verfasste, verdankt sich dem Projekt „60pages“. Das in Berlin angesiedelte internationale Autoren-Netzwerk startete 2013 als experimenteller Blog – unter anderem von den Journalisten Georg Diez und Murat Suner initiiert – und ist mittlerweile zu einer hoch spannenden Publikationsplattform avanciert, die Autorinnen und Autoren aus Ländern in krisenhafter Situation mit zumeist biografisch gefärbten längeren Texten hierzulande hörbar macht.

"60 pages" bietet Autoren aus krisenhaften Regionen ein Forum

In Kairo veranstaltete „60pages“ 2013 einen ersten Workshop mit 30 Teilnehmern, ein weiterer – zu dem über eine Kollegin vom Theater auch Mahmutyazicioglu stieß – fand 2017 mit Unterstützung des Auswärtigen Amts in Istanbul statt. Zwei Wochen vor der Abstimmung über das Referendum in der Türkei.

Türkische Patrouille im türkisch-irakischen Grenzgebiet in der Provinz Sirnak (2008).
Türkische Patrouille im türkisch-irakischen Grenzgebiet in der Provinz Sirnak (2008).
© AFP

In seinem Memoir „Bis zum Sonnenaufgang ist es noch eine Weile“, das Mahmutyazicioglu anlässlich der Langen Nacht der Ideen nun im Gorki-Theater vorstellt, erinnert er sich an die ehemaligen Kameraden aus verschiedenen sozialen, religiösen und ethnischen Milieus, die er aufgrund verblasster Erinnerungen sämtlich Osman getauft hat: Lastwagenfahrer-Osman, Faschisten-Osman. Zugleich reflektiert er, wie durch das Militär, von der Staatsgründung bis zur Gegenwart, „eine dauerhafte Erfahrung von Demokratie immer wieder gewaltsam unterbrochen wurde“. Und stellt sich den eigenen Verstrickungen in der Türkei der Gegenwart: „Meine Phantasie als Bühnenautor ging auf eine Reise, die mich zu schmerzhaften Realitäten führte“.

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