Andreas Homoki: Risiko schlägt Routine
Adieu, Komische Oper: Intendant Andreas Homoki wechselt von Berlin nach Zürich. Ein Gespräch über Politik auf der Bühne, die Liebe zum Publikum und den Kampf um Glaubwürdigkeit.
Herr Homoki, Ihr Engagement begann im Herbst 2002 mit einem Missverständnis ...
Sie meinen die „Verkaufte Braut“, meine Antrittsinszenierung?
Ja, da haben Ihnen viele übel genommen, dass Sie Smetanas Stück in den Osten Deutschlands verlegt haben und Leute zeigten, die die Bierflaschen aus dem Westen nicht aufbekamen und sich um Bananen balgten.
Ich habe die Welt nicht mehr verstanden. Es war ja nicht das erste Mal, dass wir uns hier über den untergegangenen Ostblock lustig machten. Noch bei der „Lustigen Witwe“ hatten sich alle über die Apparatschiks und Altstalinisten totgelacht. Ich dachte mit der „Verkauften Braut“ eine charmante Komödie à la „Good bye, Lenin“ präsentiert zu haben. Natürlich war es auch als Statement gedacht zu dem, was nach der Wende passiert ist, mit der Goldgräberstimmung unseriöser Geschäftemacher aus dem Westen.
1996 haben Sie mit „Falstaff“ an der Komischen Oper debütiert. Wie erlebten Sie damals das Haus?
Es war ein ganz besonderes Haus mit einem hohen Ethos und Traditionsbewusstsein. Viele taten sich schwer, eine andere künstlerische Handschrift als die ihres amtierenden Chefs anzunehmen. Das war irritierend und zwischenzeitlich auch beängstigend. Aber die Premiere wurde ein Erfolg und damit war das Eis gebrochen. Meine zweite Arbeit, die „Liebe zu drei Orangen“, hätte ich ohne das neue Vertrauen sicher nicht so konsequent realisieren können. Die „Lustige Witwe“ war dann ein Heimspiel, da war ich ja schon der designierte neue Chef. Als ich dann allerdings Intendant wurde und das Spektrum um Handschriften von Regisseuren wie Bieito oder Konwitschny erweitert habe, gab es zu meiner Überraschung eine zweite Phase der Irritation. Das hatte ich nicht erwartet.
Vielleicht muss das so sein, wenn ein Hausherr zu lange amtiert. Bei Götz Friedrich war das ja ähnlich.
Zumal, wenn sich die Welt außerhalb des Theaters so stark verändert wie in den neunziger Jahren. Trotzdem hatte man versucht, mit alten Rezepten weiterzuwursteln. Es brauchte eine grundsätzlich neue Betriebskultur mit mehr Transparenz und einer verbesserten internen Kommunikation. Wir mussten die Leute auf dem Weg der Erneuerung mitnehmen, immer wieder erläutern, welche Idee hinter unserem neuen Prinzip der größeren Vielfalt stand. Ich habe dabei viel gelernt, denn man muss als Intendant in jedem Moment wissen, wohin die Reise gehen soll. Darum ist es so wichtig, dass die Komische Oper von einem Regisseur geführt wird und nicht von einem Manager. Nur der Regisseur ist ganz nah dran an den künstlerischen Arbeitsabläufen.
Da hilft es natürlich auch, dass Sie ein Typ sind, der gute Laune versprüht ...
Finden Sie? In der Tat kommuniziere ich gerne mit Leuten, stehe auch gerne im Mittelpunkt. Das ist nicht in jeder Situation des Lebens angesagt – aber als Theatermensch kann man das ausleben.
Lässt man die zehn Jahre Musiktheater an der Behrenstraße Revue passieren, könnte man zu dem Schluss kommen: Von den Regisseuren, die hier regelmäßig gearbeitet haben, war der Chef der bravste.
Keine Ahnung. Ich habe meinen eigenen Stil, der sich dem vordergründig Skandalträchtigen oft verweigert, das ist richtig. Was meine inszenierenden Kollegen angeht, so wollte ich Leute ans Haus holen, die gut sind in Personenregie, die die Stücke genau lesen und mir etwas Interessantes darüber sagen. Ganz im Sinne des berühmten Diaghilev-Spruchs: Setze mich in Erstaunen!
Die Regisseure werden an der Komischen Oper aber durchaus animiert, weiter zu gehen als üblich – weil die Belegschaft hier alles mitmacht.
Bestimmte unkünstlerische Widerstände, auf die man sonst trifft im Theaterbetrieb, gibt es bei uns tatsächlich nicht. Weder bei der Technik noch bei den Solisten oder den Chorsolisten, noch beim Orchester. Das Ensemble ist neugierig und lädt ein zum Theatermachen. Da ist eine große Motivation.
Wann kam der Moment, wo Sie gefühlt haben: „Jetzt habe ich es geschafft!“?
Ein wichtiger Schritt war sicher die „Entführung aus dem Serail“ 2004. Viele im Haus hatten Angst, dass diese Produktion den endgültigen Bruch mit unserem Stammpublikum bedeuten würde. Aber am Ende waren doch diejenigen Zuschauer in der Mehrheit, die sich durch die Qualität haben überzeugen lassen, die gesagt haben: Kunst darf das. Solche Aufführungen haben unseren Ruf begründet, ein Haus mit großer Offenheit zu sein. Darauf bin ich stolz.
Das Publikum der Komischen aber hat sich während Ihrer Amtszeit komplett ausgetauscht. Jetzt kommen die jungen Leute zu Ihnen, die alle haben wollen.
Zu uns kommen alle Altersgruppen. Allerdings sind unsere Zuschauer heute viel spontaner und selektiver. Die kaufen keine Abos und sind nicht auf Oper festgelegt. Unser durchschnittlicher Besucher kommt dreimal pro Saison – an der Deutschen Oper sind es acht Mal.
Welchen Einfluss die Skandalinszenierung "Entführung aus dem Serail" hatte
Obwohl Bieitos „Entführung aus dem Serail“ mit ihren drastischen Sex- und Gewaltszenen so wichtig für den neuen Stil der Komischen Oper war, wurde sie seit 2004 nur 48 Mal gezeigt.
Die „Entführung“ war nach der Premiere das Event der Saison mit ausverkauften Vorstellungen. Allerdings ist es ein Phänomen, dass die Komische Oper nicht übers Repertoire wahrgenommen wird, sondern fast ausschließlich über die Neuproduktionen. Hat man eine erfolgreiche Premiere, wollen das alle sehen. In der folgenden Spielzeit, wenn das Stück wieder aufgenommen wird, fangen wir immer wieder mit niedrigerer Auslastung an, so auch bei der „Entführung“.
Dabei ist es Ihnen so wichtig, dass im Opernalltag keine Routine herrscht, auch die Wiederaufnahmen noch Premierenqualität haben.
An der Komischen Oper wird jede Wiederaufnahme sorgfältig einstudiert. Je nach Umfang der Umbesetzungen oft über Wochen, damit die Darsteller ihre Figuren seriös erarbeiten können. Mit diesem Qualitätsanspruch stehen wir aber leider häufig allein da. Nicht umsonst wird die Oper von Teilen des Theaterpublikums immer noch nicht ernst genommen. Gehen Sie mal in irgendeine Repertoireaufführung an irgendeinem großen deutschen Opernhaus, dann wissen Sie, warum. Die Frage, die sich keiner stellt: Wie viel wird ein solches Theater dem Steuerzahler in Zukunft noch wert sein?
Dafür stehen Sie regelmäßig wegen Ihrer geringen Platzauslastung in der Kritik.
Unsere sorgfältigere Arbeit bedingt ein kleineres Repertoire. Ein großes Repertoirehaus zeigt jede Menge alte Produktionen mit wechselnden Stars, die nur wenige Tage proben, aber den Saal voll machen. Da stimmt dann die Auslastung, szenisch bleibt aber fast alles auf der Strecke. Leider stört sich das klassische Opernpublikum allzu häufig nicht daran.
Lässt sich die Komische Oper im Schnitt wirklich nicht mehr als zu zwei Dritteln füllen?
An der Komischen Oper steht und fällt alles mit dem Erfolg unserer Neuproduktionen. Das ist ein Beleg für unsere Vitalität, bedeutet aber auch ständiges Risiko. Meinen Kritikern halte ich entgegen, dass ich mit zehn Millionen weniger Zuschuss als beispielsweise die Deutsche Oper, und sogar 14 Millionen weniger als die Staatsoper nicht nur deutlich mehr Vorstellungen anbiete, sondern vor allem mehr Neuproduktionen herausbringe.
Früher spielten die Dirigenten an der Komischen Oper eher eine Nebenrolle. In Ihrer Amtszeit hat sich das geändert.
Das war mir von Anfang an sehr wichtig, und mit Kirill Petrenko ist uns damals ein echter Glücksgriff gelungen. Das Niveau des Orchesters zeigt das bis heute. Das erhöht natürlich die Attraktivität für Gastdirigenten. Unsere guten Probenbedingungen tun ihr Übriges. Was mich besonders freut, ist, dass auch unser derzeitiger Chefdirigent Patrick Lange von Wien bis London bereits heiß gehandelt wird.
Kirill Petrenko hatte allerdings auch den Mut, sich hinter extreme szenische Lösungen zu stellen wie im Fall der „Entführung“ von Calixto Bieito oder Peter Konwitschnys „Don Giovanni“.
Ja, das erlebt man leider nicht mit allen Dirigenten. Aber Pultprimadonnen werden an der Komischen Oper nicht glücklich. Warum dirigiert denn jemand Oper? Das Faszinierende für Dirigenten am Musiktheater ist doch, dass ihre Arbeit hier in einem größeren Kontext aufgehen kann.
Seit 2009 gibt es in den Stuhllehnen kleine Bildschirme, auf denen man den Text mitlesen kann. Ist das nicht eine Lizenz zum undeutlichen Singen?
Naja, der Sänger denkt ja nicht: Hihi, die können den Text ja mitlesen, da darf ich ruhig nuscheln. Aber wir müssen uns der Tatsache stellen, dass seit der Nachkriegszeit die Textverständlichkeit abgenommen hat. Warum? Weil es für Sänger nicht mehr selbstverständlich ist, in der eigenen Muttersprache vor einem muttersprachlichen Publikum zu singen. Die Verwässerung beginnt bereits in den Hochschulen, wo die Studenten alles in Originalsprache singen und die Artikulation der Muttersprache offenbar zu kurz kommt. Ein Sänger muss meinen, was er singt, damit man ihn versteht. Darum habe ich eine kontinuierliche Betreuung unserer Ensemblemitglieder in Sachen „deutsche Sprache“ eingeführt, durch einen Coach von der Schauspielschule.
Ein Problem, das Sie unerledigt hinterlassen müssen, ist die Generalsanierung des Hauses.
Der Grundgedanke war, die Nachbargrundstücke der Oper an einen Investor zu verkaufen, um Gelder für die Sanierung zu erhalten und zugleich die Baulücke an der Glinkastraße zu schließen. Es wurden im Jahr 2000 Verträge mit einem Investor abgeschlossen, der der Komischen Oper am liebsten ein Luxushotel übergestülpt hätte. Es kam sogar der Vorschlag, wir könnten doch auf unsere Künstlergarderoben verzichten und je nach Bedarf ersatzweise Hotelzimmer anmieten – völlig irre! Nachdem der Investor gewechselt hat, sind solche Diskussionen gottlob vom Tisch. Es wird jetzt darauf hinauslaufen, dass die Komische Oper ihr Verwaltungsgebäude Unter den Linden aufgibt und ersatzweise das Theatergebäude bis zur Glinkastraße verbreitert wird. Erfreulicherweise sind von Seiten des Senats zusätzliche Gelder eingestellt worden. Das macht uns vom Investor ein wenig unabhängiger.
Existiert denn mittlerweile ein Zeitplan für die Renovierung?
Zunächst müssen die Kaufverträge mit dem Investor neu verhandelt werden. Gebaut werden kann erst, wenn die Sanierung der Staatsoper abgeschlossen ist und dann die Komische Oper für zwei Spielzeiten ins Schillertheater einzieht. Bis dahin gibt es aber noch viel Planungsarbeit.
Das Gespräch führte Frederik Hanssen.
Andreas Homoki wurde 1960 in Marl geboren. Schon während er Schulmusik und Germanistik an der Hochschule der Künste und der Technischen Universität Berlin studierte, konnte er an der Komischen Oper dem inzwischen legendären Regisseur Harry Kupfer bei mehreren Produktionen assistieren. 1987 trat Homoki sein erstes Engagement als Abendspielleiter an der Oper Köln an. 1992 wurde er mit einer Inszenierung von Richard Strauss’ „Frau ohne Schatten“ in Genf bekannt. Seitdem arbeitet er an den großen Opernhäusern der Welt. 2002 wurde Homoki Harry Kupfers Nachfolger als Chefregisseur der Komischen Oper, seit 2003 ist er dort auch Intendant. 2007 wurde die Komische Oper Berlin zum „Opernhaus des Jahres“ gewählt . Zur nächsten Saison wechselt Homoki als Intendant ans Opernhaus Zürich. Er wird Nachfolger von Alexander Pereira, der diesen Sommer die Leitung der Salzburger Festspiele übernimmt.
Frederik Hanssen
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